Dresdner Schulleiter: "Kinder müssen zurück in die Schule"

Dresden. Es gibt Schüler, die das Schulgebäude seit Beginn der Pandemie im März 2020 nicht mehr betreten haben. Seit fast zwei Jahren lernen sie von Zuhause - ohne Unterricht, ohne Lehrer, ohne Mitschüler. "Das sind zwar Einzelfälle, die auch begründet sind. Aber wann und wie die Kinder zurückkehren, wissen wir nicht", sagt Thomas Kunz. Er ist Schulleiter der Freien Evangelischen Schule, die Grund- und Oberschule vereint. Er macht sich um einige Schüler ernsthaft Sorgen.
Seit 25. November 2021 ist die Schulbesuchspflicht in Sachsen aufgehoben. Schüler können also vor Ort am Unterricht teilnehmen, müssen aber nicht. Die Entscheidung liegt bei den Eltern. Schriftlich müssen sie der Schulleitung mitteilen, wenn das Kind Zuhause bleibt. Das ist jedoch keine Entscheidung von Tag zu Tag, sondern auf unbestimmte Zeit. "Die Abmeldung muss mit dem Infektionsschutz begründet werden. Oft wissen wir aber, dass auch andere Motivationen dahinterstecken", sagt Thomas Kunz.
Es gebe Kinder, die aufgrund einer Erkrankung zur Risikogruppe gehören, oder vulnerable Gruppen in ihrem unmittelbaren Umfeld haben. Das könne man nachvollziehen und das sei eher der Ausnahmefall, so der Schulleiter. Manche Eltern jedoch halten die regelmäßigen Corona-Tests und das permanente Tragen des Mund-Nasen-Schutzes für eine Zumutung. Einige sind übervorsichtig, andere verleugnen. "Ich verurteile das nicht. Aber wenn ich das Gefühl habe, dass das dem Kind nicht guttut, dann kommuniziere ich das auch", so Kunz.
Verhaltensauffälligkeiten bei Schülern bemerkt
Doch der Schulleiter warnt: "Das kann schwerwiegende Folgen für die Schüler haben." Nach den bundesweiten Schulschließungen und dem damit verbundenen Homeschooling bemerke die Lehrerschaft vermehrt Verhaltensauffälligkeiten, geschürte Ängste bis hin zu Depressionen bei den Schülern. "Ich kann nicht wissenschaftlich nachweisen, dass hier ein Zusammenhang zur Pandemie besteht, aber die Vermutung liegt sehr nahe", betont er. "Die Kinder müssen zurück in die Schule."
Schule sei nicht nur ein Lernort, sondern dort finden auch kind- und jugendgemäße Entwicklungsschritte statt. "Schüler brauchen die Gruppe der Gleichaltrigen, um sich altersgemäß zu entwickeln", ist Thomas Kunz sich sicher. Viele Kinder und Jugendliche hätten in der Zeit der Schulschließungen "wirklich gelitten", betont er. Nun gibt es einige, die Zuhause weiter leiden.
Insgesamt 600 Schüler besuchen die Grund- und Oberschule in freier Trägerschaft. Der Großteil der Kinder und Jugendlichen lernt in der Einrichtung, nur ein geringer Prozentsatz sei derzeit vom Unterricht abgemeldet. Doch genau dort entsteht ein Problem: Einen Anspruch auf Beschulung der Schüler durch Lehrkräfte, wie im Präsenzunterricht, gibt es laut Kultusministerium nicht. Das sei in der angespannten Situation von den Schulen nicht zu leisten.
Lehrer sind erschöpft
Das bedeutet: Lehrer können das Unterrichtsmaterial für einzelne Schüler zur Verfügung stellen, müssen dies aber nicht. In der akuten Phase des Wechselunterrichtes im vergangenen Jahr mussten die Lehrer Klassen doppelt beschulen - bei der Gruppe in Präsenz und der Gruppe Zuhause. Das hinterlässt Spuren. "Bei der Lehrerschaft hat eine schleichende Erschöpfung Einzug gehalten", sagt der Schulleiter.
In den vierten Klassen, wo nach dem ersten Halbjahr die Bildungsempfehlung für die weiterführende Schule ansteht, wird es brenzlig. Denn wenn bis dahin durch den ausbleibenden Schulbesuch keine Noten erbracht wurden, könne diese Entscheidung eigentlich nicht adäquat getroffen werden. Erst vor einer Woche musste sich das sächsische Kultusministerium rechtfertigen, weil die Bildungsempfehlungen bei einigen Schülern im Homeschooling infrage gestellt wurden.
Wenn Kinder langfristig allein Zuhause lernen, werden sie wahrscheinlich mit Wissenslücken zurückkehren. Wie jedoch mit zurückgekehrten Kindern mit Lernrückstand umgegangen wird, kann Thomas Kunz nicht abschätzen. "Sicher werden viele Lehrer die Kinder auffangen und ihnen helfen. Das ist aber keine Selbstverständlichkeit", sagt er. Je nach Lernrückstand müssten die Kollegen Zeit und Arbeit investieren, um das Kind wieder in die Spur zu bekommen. Für alle Beteiligten werde das ein Kraftakt - mit unklarem Ausgang.