Dresdner Urgestein: Mini-Baumarkt "Eisenfeustel" feiert 100-Jähriges

Dresden. Wer weiß, ob es den "Eisenfeustel" in der Dresdner Neustadt heute noch geben würde, wenn es Thomas Haaß 2003 nicht nach Dresden verschlagen hätte. Anfang 2020 hat der gebürtige Ravensburger den Kultladen an der Bautzner Straße von seinem Vorgänger übernommen. An diesem Sonntag feiert Haaß mit seinem Team und sicherlich vielen Gästen die 100-jährige Geschichte des Geschäftes, das aus der Neustadt nicht wegzudenken ist.
Eigentlich stand das Jubiläum schon im vergangenen Jahr auf dem Programm, doch die Corona-Regeln verhinderten Feierlichkeiten größeren Ausmaßes. Nun wird die Geburtstagsparty also nachgeholt. Grund genug, einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, ins Jahr 1921.
Damals gründete Namensgeber Karl Feustel gemeinsam mit dem Kaufmann Herbert Reinhold einen Eisengroßhandel an der Leipziger Straße. Die Geschäfte liefen gut, der Fuhrpark mit mehreren Lkw wuchs, ebenso die Zahl der Mitarbeiter. In Spitzenzeiten beschäftige Feustel 35 Männer und Frauen, die sich um die Auslieferung der Eisenwaren kümmerten.
Thomas Haaß hat in einem alten Fotoalbum der Firma ein Schwarz-weiß-Foto von der damaligen Belegschaft gefunden. "Es gefällt mir so gut, weil es zeigt, wie groß der Betrieb mal gewesen ist. Wir sind ja jetzt auch wieder ein paar Leute mehr." Drei weitere Mitarbeiter beschäftigt Haaß inzwischen - Hilfe, die er dringend benötigt.
Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs verlor Eisen Feustel nicht nur jede Menge Personal, ein Großfeuer vernichtete einen Teil des Betriebs. Aus dem Großhandel machte Herbert Reinhold einen Eisenwarenladen, der 1950 in das Haus Bautzner Straße 53 einzog. Es ist der Beginn einer tiefen Verbundenheit zwischen den Neustädtern und den Betreibern des Geschäfts, die bis heute ungebrochen ist, erzählt Thomas Haaß.
"Wie ein Tante-Emma-Laden ohne Lebensmittel"
Zu DDR-Zeiten entwickelte sich Eisen Feustel zum Geheimtipp für all jene, die unbedingt etwas brauchten und es nirgendwo bekamen. "Geh zu Eisen Feustel - der hat alles." Angesichts der zunehmenden Mangelwirtschaft etablierte sich das Geschäft vom Geheimtipp zum stadtweit bekannten Anlaufpunkt. "Hier wurde alles besorgt, was man in der Werkstatt, im Haushalt und im Garten brauchte", sagt Haaß. Und so sei das bis heute. Tatsächlich stehen an diesem Freitag kurz nach Ladenöffnung 9 Uhr vier Männer am Tresen und suchen Rat bei Thomas Haaß und seinem Mitstreiter Sebastian Veit.
Es geht unter anderem um Schrauben, spezielle Bauart, für die der handelsübliche Schraubendreher keinen passenden Bit hat. "Kein Problem, den suche ich dir raus", sagt Sebastian Veit. Seit Ende vergangenen Jahres ist der 42-jährige Informatiker die rechte Hand von Haaß. Im Duo hinter dem Verkaufstresen - auch das hat Tradition bei Eisen Feustel, dessen Schreibweise Haaß in Eisenfeustel geändert hat.
Von 1973 bis 1997 führten die Töchter von Herbert Reinhold den Laden. 1998 übernahm Haaß' Vorgänger Lothar Ollendorf mit seiner Frau das Geschäft, das 1988 in die Bautzner Straße 63 - das heutige Café Neustadt - umgezogen war. Mit Ollendorf folgte der Wechsel in das heutige Ladengeschäft. Immer mit dabei: der Tresen und das riesige Warenregal samt seiner berühmten Eisenleiter.
Noch heute sind die unzähligen Kästchen des Regals gut gefüllt mit Schrauben, Türgriffen und Metallösen. Die Leiter, die auf Rollen nach rechts und links geschoben werden kann, verrichtet nach wie vor ihren Dienst.
Auf den ersten Blick hat sich an der Verkaufspraxis in den vergangenen Jahrzehnten nur wenig verändert - und doch muss Thomas Haaß mit der Zeit gehen. Eine große Herausforderung: den Überblick zu behalten, vor allem im Lager, das sich im hinteren Teil des Ladens erstreckt und gut zwei Drittel der Gesamtfläche einnimmt. Meterhohe Regale mit Töpfen, Pfannen, Klobürsten, Gießkannen, Werkzeugen - das Sortiment umfasst mehr als 5.000 Artikel.
Wie Haaß und sein Team hier durchblicken, bleibt wohl ihr Geheimnis. Aber Haaß beteuert, dass keiner der Artikel ein Ladenhüter ist. "Früher oder später verkaufen wir alles", sagt der 45-Jährige lachend. Den Schritt weg aus dem Architekturbüro, in dem er früher gearbeitet hat, hin in seinen "Tante-Emma-Laden-ohne-Lebensmittel" hat Haaß nicht bereut. Zwar führte ihn das Architekturstudium 2003 nach Dresden, die Erfüllung fand er in seinem Job später aber nicht. So erfüllte er sich selbst den Traum vom eigenen Geschäft.
Und doch musste er schnell feststellen: Allein packt er den Laden nicht. 60 Stunden in der Woche war er zu Beginn im Einsatz, daheim kümmert er sich um seinen Sohn im Teenie-Alter. "Das war Wahnsinn!" Auch, weil er so viele Kunden hat, die es gewohnt sind, ausführlich beraten zu werden - und auch sonst zum Plaudern aufgelegt sind.
Kunden stellen Anfragen per Whatsapp
Nicht jeder will am Ende irgendetwas kaufen. "Kürzlich kam ein Stammkunde mit vier Pfannkuchen vorbei, die er uns einfach mal so bringen wollte." Das zeige doch, wie emotional die Dresdner mit dem Eisenfeustel bis heute verbunden sind. Angesichts riesiger Baumärkte mit Selbstbedienungsregalen und einem schier unendlichen Sortiment zeigt das kleine Ladengeschäft: Persönliche Beratung ist gefragt, nach wie vor.
Um jüngere Kunden anzusprechen - und davon wohnen in der Neustadt ja vergleichsweise viele - nutzt Haaß auch die sozialen Netzwerke. Unter dem Hashtag #derhatalles ist das Eisenfeustel inzwischen bei Instagram zu finden. Per Whatsapp können Kunden anfragen, was sie benötigen und ob der Artikel auf Vorrat ist. Übrigens - die meistgestellte Frage ist diese: "Ich benötige was ganz Spezielles, ich weiß gar nicht wie ich es beschreiben soll, wissen Sie, was ich meine?"
Die Geburtstagsparty im Eisenfeustel steigt am Sonntag von 15 bis 21 Uhr im Innenhof an der Bautzner Straße 51. Die kulinarische Versorgung kommt ausschließlich von regionalen Händlern, die musikalische Versorgung ebenso. Es spielen Cellcanto, Esmes snappy fishes und Tamtam Combony. Matthieu Anatrella verzaubert die Gäste.