Dresden
Merken

Dresdner Ostmoderne: Eigenheime made in GDR

Bisher wenig beachtet ist die individuelle DDR-Architektur privater Einfamilienhäuser. In Meußlitz gibt es sie sogar als einzigartige Plattenbauten. Nun feiert die Siedlung wie das Rundkino ihren 50. Geburtstag.

Von Peter Ufer
 4 Min.
Teilen
Folgen
"Interessengemeinschaft Neue Siedlung": Kettensiedlung in Dresden Meußlitz
"Interessengemeinschaft Neue Siedlung": Kettensiedlung in Dresden Meußlitz © Sven Ellger

Dresden. Im Stadtteil Leubnitz auf der Theodor-Storm-Straße sind sie zu bewundern: Ursprünglich zehn Einfamilienhäuser des Typs EW 58, Einfamilienwohnung 58, entstanden dort Ende der 1960er-Jahre. "Viereck, Dreieck, färdsch", hieß damals ein geläufiger Spruch unter den Dresdner Bauherren- und frauen, von denen nur noch vier leben. Inzwischen haben deren Kinder, Enkel oder neue Besitzer die Häuser bezogen, umgebaut oder erweitert, eines wurde sogar abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.

Der Grundriss des EW 58 ist fast quadratisch, das Dach mit der leicht ausgestellten Traufe ziemlich steil. Das verleiht den Häusern ein heiteres, fast beschwingtes Aussehen. Es gibt sie mit und ohne Dachgauben, Vorhäuschen und Terrasse, als Einfamilien- und Doppelhaus. Oft steht es auf hohem Sockel, im Keller gab es häufig einen Hobby- und Heizraum und/oder die beliebte Kellerbar. Sogar Tiefgaragen waren möglich.

"Viereck, Dreieck, färdsch": EW-58-Haus an der Dresdner Theodor-Storm-Straße.
"Viereck, Dreieck, färdsch": EW-58-Haus an der Dresdner Theodor-Storm-Straße. © Sven Ellger

Den Prototypen des unverkennbaren Typenbaus in Ziegelbauweise entwickelte ab 1954 der Architekt und Stadtplaner Wilfried Stallknecht, geboren 1928 in Geringswalde, gestorben 2019 in Berlin. Um der Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg zu begegnen, hatte der Ministerrat der DDR 1953 beschlossen, in Ergänzung zu den geplanten Neubauten von Mehrfamilienhäusern, den Neubau von Einfamilienhäusern zu fördern. Stallknecht sagte 2015 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: "Das EW 58 war der ideale Wohnhaustyp zum Improvisieren und Selbermachen."

1958 wurde der Stallknecht-Entwurf erstmals in einem Prospekt veröffentlicht. Zusammen mit einer Erlaubnis zum Kauf von Baumaterial, konnten die Pläne nun samt Baugenehmigung erworben werden. Von der DDR-Regierung wurde als maximal zulässiger Baupreis 75.000 Mark festgelegt. Bis 1989 sollen bis zu 500.000 dieses Eigenheims in der gesamten DDR gebaut worden sein. Das behauptet zumindest Ton Matton, Stadtplaner und Künstler aus Rotterdam, der sich mit den Bauten in Mecklenburg beschäftigte. Er exportierte 2014 eines davon in die Niederlande, ließ es in Mecklenburg ab und in Almere wieder aufgebaut. Er gewann damit in seiner Heimat den Architekturwettbewerb "Das einfache Haus". Selbst beim Außenputz ging er übrigens keine Kompromisse ein: Die Wände bekamen den üblichen Kratzputz in Grau.

Lisa Zorn von der Bauhaus-Universität Weimar schreibt in ihrer Dissertation über das Haus made in GDR, dass bis 1989 in der DDR rund 250.000 davon errichtet worden seien. "Das waren etwa 10 Prozent der gesamten Bauleistung im Land", erklärt die Wissenschaftlerin. Die Wohnfläche habe in der Regel um die 70 Quadratmeter betragen, vier bis sechs Zimmer, Küche, Bad und Diele. Obwohl das EW 58 standardisiert war, geriet doch jedes Haus zum Unikat. "Entweder aus Improvisationstalent oder wegen des Mangels an diesen oder jenen Baumaterialien", meint Zorn. Auch im Inneren unterschieden sich die Eigenheime bisweilen stark voneinander. "Der Eingangsbereich ist immer sehr individuell gestaltet gewesen, der Flurbereich. Jeder hat seine Treppe und die Garderobe ganz anders."

Flachdach in Meußlitz

Neben den EW 58, die sich nicht nur auf der Theodor-Storm-Straße, sondern in mehreren Stadtteilen Dresdens finden, existieren weitere Privatbauten aus der DDR, allerdings ganz anderer Art. In Meußlitz stehen beispielsweise in der "Kettenhaussiedlung" 40 Einfamilienhäuser mit Flachdach. Baubeginn für das außergewöhnliche Areal war am 7. Oktober 1972. Einzug feierten die meisten Hausbesitzer am 1. Mai 1973. Gewünscht hatte sich das das Politbüro in Berlin. In einem Gemeinschaftsprojekt kamen damals 20 Mitarbeiter vom Kombinat Robotron mit 20 Arbeitern aus dem Baukombinat Dresden zusammen. Sie gründeten die "Interessengemeinschaft Neue Siedlung".

Flach im Grünen: Einfamilienhäuser in Meußlitz.
Flach im Grünen: Einfamilienhäuser in Meußlitz. © Sven Ellger

Das Besondere an dem Plan: Gebaut sind die Gebäude aus WBS-70-Platten. Die nötigen Bauteile stammten aus dem Betonwerk Dresden-Sporbitz. Die Bungalows trugen Typennamen wie "Baukombinat Dresden (BKD) 4.5" mit vier Zimmer für fünf Personen sowie "BKD 5.7" mit fünf Räume für sieben Personen. Ende 2021 plante die Stadtverwaltung, die "Kettenhaussiedlung" als Zeugnis der "Ostmoderne" mit einer Erhaltungssatzung zu schützen. "Die Siedlung ist ein Zeichen ihrer Zeit mit eigenen, stets modernen Merkmalen", sagt Stefan Szuggat, Chef im Stadtplanungsamt. Im Stadtrat sind die Abgeordneten dazu unterschiedlicher Meinung. Es ist noch nichts entschieden.

Der Artikel ist Teil einer neuen Serie von Sächsische.de. Unter dem Titel "Die Dresdner Ostmoderne" befassen wir uns bis zum 7. Oktober mit charakteristischen Plätzen und Gebäuden. Die bereits erschienen Teile finden Sie hier:

Diskussion zur Dresdner Ostmoderne: Am 7. Oktober, ab 17 Uhr, lädt das Rundkino zum 50. Geburtstag ein. Gezeigt wird ein Film von Ernst Hirsch mit Architekt Landgraf und zum Aufbau Dresdens in den 1970er- und 1980er-Jahren. Außerdem gibt es eine Diskussion zur Rettung der Dresdner Ostmoderne. Karten gibt es im Rundkino oder unter www.cineplex.de/dresden.