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"So geliebt aufwachsen wie das eigene Kind"

In einer neuen Wohngruppe in Dresden werden speziell Säuglinge und Kleinkinder betreut, die das Jugendamt aus Familien holen musste. Gibt es einen Weg zurück?

Von Henry Berndt
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Viel mehr als nur Sicherheit geben: Pädagogin Patricia Träber spielt im Kinderhaus Wolkenstein mit der dreijährigen Jasmin.
Viel mehr als nur Sicherheit geben: Pädagogin Patricia Träber spielt im Kinderhaus Wolkenstein mit der dreijährigen Jasmin. © Marion Doering

Dresden. Ein Sandkasten im Garten. Kleine bunte Fahrräder stehen im Ständer. Aus dem Haus mit der leuchtend gelben Fassade in Striesen sind Kinderstimmen zu hören.

Ein Ort zum Wohlfühlen und gerne Leben. Dabei sind die Babys und Kleinkinder, die hier für die nächste Zeit ihr zu Hause haben werden, nur deswegen hier, weil sie nicht mehr in ihren Familien leben konnten. Das Jugendamt hat entschieden, dass es ihnen hier besser geht. Sachsenweit wohnen drei Prozent aller Kinder in Einrichtungen wie dieser.

Manche Eltern sind mit ihrem Nachwuchs einfach überfordert, andere nehmen Drogen oder trinken zu viel Alkohol. Auch Misshandlungen gibt es immer wieder. Wird ein solcher Fall von Kindeswohlgefährdung bekannt, muss das Jugendamt reagieren.

Im Kinderhaus Wolkenstein in Striesen, sollen die Kinder in aller erste Linie sicher sein - aber auch viel mehr als das.

Thomas Luding ist einer der beiden Gründer von Burmeister & Luding, die mit dem Kinderhaus Wolkenstein nun ihre siebte Einrichtung in der Region eröffneten.
Thomas Luding ist einer der beiden Gründer von Burmeister & Luding, die mit dem Kinderhaus Wolkenstein nun ihre siebte Einrichtung in der Region eröffneten. © Marion Doering

Ralph Burmeister und Thomas Luding arbeiten als privater Träger der Kinder- und Jugendhilfe und betreuen mit ihrem pädagogischen Team inzwischen sieben Kinder- und Jugendhäuser in Dresden und Freital. Anfang Mai wurde das erste Haus speziell für Säuglinge offiziell eröffnet, nachdem bereits im September vergangenen Jahres die ersten Kinder in das frisch sanierte Gebäude aus den 30er-Jahren eingezogen waren.

Auf zwei Etagen gibt es hier Kinderzimmer, an deren Türen jeweils zwei Vornamen stehen. Die Wände sind bunt gestrichen, die Betten voller Kuscheltiere. Auch Fotos sind zu sehen und alles sieht so aufgeräumt aus, wie man es in der Nähe von Kindern niemals erwarten würde.

Insgesamt werden im Haus Wolkenstein elf Kinder betreut, die bei der Aufnahme maximal drei Jahre alt sind. Der Betreuungsaufwand ist deutlich größer als bei älteren Kindern. 13 Pädagoginnen kümmern sich in drei Schichten rund um die Uhr um das Wohl ihrer Schützlinge.

Eltern dürfen mit übernachten

Das vorrangige Ziel ihrer Arbeit ist es, sich selbst überflüssig zu machen und den Kindern eine Rückkehr in ihre Elternhaus zu ermöglichen. Dafür ist allerdings ein besonderer Fokus nötig, den es sonst selten in Wohngruppen-Konzepten gibt. Gemeint ist die Beratung, Begleitung und Einbindung der Eltern, die jederzeit im Kinderhaus willkommen sind und auf Wunsch sogar übernachten dürfen.

Genau diesen Fokus hat Thomas Luding vermisst, als er selbst noch in einer stationären Einrichtung arbeitete. Da er die Arbeit mit den Eltern als Schlüssel zum Erfolg ansah, gründete der 48-Jährige 2007 gemeinsam mit Ralph Burmeister eine GmbH, die sich zunächst ambulant engagierte. Vor zehn Jahren eröffneten die beiden zwei- und dreifachen Väter dann ihr erstes Kinderhaus und setzten sich das Ziel, dass jedes Kind bei ihnen so behütet und geliebt aufwachsen solle, als sei es ihr eigenes.

Unter dem Motto "Erziehung gemeinsam gestalten" werden die Eltern gefördert und gefordert, um die Bindung zu ihrem Kind zu stärken, statt sie zu kappen. "Wir nennen das auch Coaching beim Liebhaben", sagt Thomas Luding. "Manche Eltern sind in einer Lebenssituation, in der sie schlicht überfordert sind, um den Alltag mit Kind zu meistern. Wir schauen uns jede Biografie an und versuchen, individuell zu helfen."

Mittag im Kinderhaus: Maria Wiedemann füttert die kleine Lisa.
Mittag im Kinderhaus: Maria Wiedemann füttert die kleine Lisa. © Marion Doering

Wenn es den Eltern gut ginge, dann ginge es in der Regel auch den Kindern besser, sagt Luding. "Wir begegnen den Eltern mit Respekt und auf Augenhöhe." Die Idee hat Erfolg: In einem Drittel der Fälle gelingt es, die Familien letztlich wieder zusammenzuführen.

Wenn das keine Option ist, dann kümmern sich die Pädagogen darum, eine neue Perspektive für die Kinder zu finden. In Regel ist das dann mit der Suche nach einer Pflegefamilie verbunden.

Jetzt, in Corona-Zeiten, gebe es besonders viele Anfragen, allerdings könnten aufgrund der begrenzten Ressourcen nicht mehr Kinder aufgenommen werden. Für die Teams in den Kinderhäusern bedeuteten Quarantäne-Maßnahmen und Homeschooling oft eine deutlich größere Arbeitsbelastung.

"Was Sozialpädagogen und Erzieher für die Gesellschaft leisten, wird in meinen Augen zu wenig gewürdigt," sagt Luding. "Wir wünschen uns eine besondere Anerkennung der sozialen Arbeit generell." Sich um die Kinder zu kümmern, sei doch die wichtigste Aufgabe des Staates.

Obwohl die Betreuung der Kinder in Obhut durch die Kommunen finanziert wird, seien die Kleinen in einigen Bereichen benachteiligt. Ferienfahrten und die Anschaffung von Fahrrädern und Rollern seien nicht Teils des Budgets, Spenden daher äußerst willkommen.

Auch Zeit darf gern geschenkt werden. Ob Musiklehrer oder Zauberer - ehrenamtliche Auftritte im Kinder- und Jugendhaus wären ein besonderer Höhepunkt für jeden der kleinen Bewohner.

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