Wann wird die Reicker Straße in Dresden für Radfahrer sicherer?

Dresden. Es ist schon einiges geschafft: Mehr als 90 Projekte hat die Stadt in den vergangenen Jahren umgesetzt, um das Radfahren in Dresden sicherer zu machen. Weitere 125 Radwegprojekte sollen folgen, darunter die Radvorrangroute im Dresdner Osten, die ab Mai gebaut wird und Ende 2024 komplett fertig sein soll.
Planungen für diese Bauprojekte dauern lange. Zu lange, sagt der Allgemeine Fahrrad-Club (ADFC) Dresden. Denn von den 2017 beschlossenen 480 Maßnahmen ist bislang nur ein geringer Teil abgearbeitet.
Auf einer besonders gefährlichen Straße hat die Initiative in dieser Woche einen sogenannten Pop-Up-Radweg eingerichtet, um darauf aufmerksam zu machen, dass Radfahrer damit deutlich sicherer unterwegs wären. Mit Planen wurde in Höhe der Kita an der Reicker Straße 30 auf beiden Straßenseiten ein Radweg markiert, der mit rot-weißen Baken vom Auto- und Straßenbahnverkehr abgetrennt war.

Damit will der ADFC den Druck auf die Stadtverwaltung erhöhen, damit in den ungeschützten Bereichen möglichst schnell etwas passiert. Deshalb sind derartige Aktion auch an anderen Stellen wie etwa auf der Carolabrücke geplant.
Wie auf der Reicker Straße sind Radfahrer auf vielen Dresdner Straßen ungeschützt unterwegs. Der ADFC listet insgesamt elf besonders brenzlige Stellen auf, an denen aus Sicht der Radfahrer dringend etwas unternommen werden müsste. In fünf Fällen hat die SZ bei der Stadt nachgefragt.
Reicker Straße: Zwei tödliche Unfälle
Die ADFC-Demo auf der Reicker Straße hat einen ernsten Hintergrund. Die viel befahrene Magistrale ist ohnehin vergleichsweise häufig Teil des Polizeiberichtes, denn hier passieren zahlreiche Unfälle. Bei zwei besonders schweren Kollisionen mussten ein junger Mann und eine 55-jährige Frau ihr Leben lassen.
Vor gut zwei Jahren wurde die Radfahrerin, die stadteinwärts unterwegs war, von einem Mercedes-Fahrer erfasst, der in zweiter Reihe und mit viel zu hohem Tempo unterwegs war. Der 18-jährige Fahrer, ein Mann irakischer Nationalität, hatte zuvor eine Kolonne von Fahrzeugen überholt und dabei sein Fahrzeug beschleunigt.

"Breite Reicker Straße lädt zum Rasen ein"
Die Folgen des Unfalls waren deshalb gravierend: Die Radfahrerin schlug auf dem Autodach auf, ihr Fahrrad wurde in zwei Teile gerissen. Der Rettungsdienst konnte ihr nicht mehr helfen. Sie verstarb noch am Unfallort.
Ein weißes Fahrrad, ein sogenanntes Ghostbike, erinnert an diesen Unfall. Und auch ein kurzes Stück weiter stadteinwärts steht ein solches Rad am Fahrbahnrand der Reicker Straße. An der Ecke zur Cäcilienstraße geriet 2014 ein 22-jähriger Mann unter die Räder eines abbiegenden Lkw. Einen ähnlichen traurigen Rekord gibt es auf der Bautzner Straße in der Neustadt zu verzeichnen. Auch hier stehen gleich zwei der weiß getünchten Fahrräder am Rand und erinnern an Todesfälle.
Das gravierende Problem an der Reicker Straße ist deren Breite, sagt Edwin Seifert vom ADFC. Neben der eigentlichen Fahrspur können Autofahrer auf die Straßenbahnschienen ausweichen. "Die Überholmöglichkeit auf gerader Strecke lädt zum Rasen ein." Tatsächlich war der junge Mercedes-Fahrer in zweiter Reihe damals mit fast 100 Stundenkilometern unterwegs und übersah dabei die Radfahrerin, die abbiegen wollte. "Seit 2020 verspricht die Stadt Radwege auf der Reicker Straße. Warum passiert hier nichts?", fragt Seifert.
Radwege kommen nicht vor 2023
Der damalige Baubürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (Grüne) kündigte an, dass bis Ende 2021 die Radwege im Bereich zwischen Rayski- und Gamigstraße, in dem auch die beiden Unfallorte liegen, auf der Reicker Straße markiert werden. Doch nach einer baldigen Lösung sieht es auch jetzt nicht aus. "Die Vorplanung zur verkehrsverträglichen Einordnung von Radverkehrsanlagen auf dem gesamten Streckenzug ist weitgehend abgeschlossen", teilen Stadtplanungsamt und Straßen- und Tiefbauamt auf SZ-Anfrage mit. Aber: "Die Umsetzung erfolgt in Etappen ab 2023."
Ein weiteres Jahr wird also vergehen, bis die Reicker Straße für den Radverkehr sicherer ist. Doch woran liegt das? Die Herausforderung sei, so die Ämter, die Ampeln auf der gesamten Strecke - das sind rund drei Kilometer - so aufeinander abzustimmen, dass die Straßenbahn nicht langsamer vorankommt. Edwin Seifert hat zwar Verständnis dafür, dass die Ampeln umprogrammiert werden müssen. Dass nun aber drei Jahre vergehen, bis die Radwegmarkierungen auf die Fahrbahn kommen, will er nicht akzeptieren.
Seifert und seine Mitstreiter fordern, dass die Radwege umgehend kommen. "Schließlich ist die Reicker Straße eine Rennstrecke, gefährlich für jede Radfahrer und jede Radfahrerin und an jedem einzelnen Tag, an dem noch kein Radfahrstreifen auf der Straße ist." Baubürgermeister Stephan Kühn (Grüne) solle dafür sorgen, dass es schneller vorangeht in dieser Sache und die Ämter "keine Wissenschaft daraus machen".
Zahl der Unfälle mit Radfahrern nimmt zu
Die Stadt investiert rund eine Million Euro in die beidseitigen Radwege entlang der Reicker Straße. Neben den Markierungsarbeiten wird davon auch die Anpassung der Ampeln, für die zum Teil auch Tiefbauarbeiten nötig sind, sowie neuer Asphalt bezahlt, der in einzelnen Abschnitten aufgebracht werden muss.
Aus Sicht des ADFC gibt es noch etliche weitere Stellen in Dresden, an denen Eile geboten ist, um Unfälle zu verhindern. Tatsächlich ist deren Zahl zuletzt angestiegen, auch, weil in Coronazeiten deutlich mehr Dresdner auf das Fahrrad umgestiegen sind. So gab es 2020 mit 1.545 Unfällen rund 150 Kollisionen mehr, als im Jahr zuvor. Aktuellere Daten liegen derzeit nicht vor. Die Zahl der Radfahrer, die sich bei einem Unfall verletzten, stieg um rund 200 auf knapp 1.300.
Auf radwatch-dresden.de finden Sie das ADFC-Monitoring des Dresdner Radverkehrskonzeptes.