Notrufe in verschiedenen Sprachen: Wie Familie Zarour aus Dresden Menschen in Not hilft
Dresden. Ranim Zarours Handy muss immer aufgeladen und griffbereit sein. Sie hat das Gerät sogar in Reichweite, wenn sie duscht. Jederzeit könnte es klingeln, dann verlässt sich jemand am anderen Ende auf sie. Jemand, der verletzt ist, Angst hat oder bedroht wird.
Ranim Zarour arbeitet als Freiwillige bei der Helpline Sachsen. Die Helpline, das ist ein Notfall- und Unterstützungstelefon für Menschen ohne oder mit wenig Deutschkenntnissen. Die Helfer der Helpline sprechen Arabisch, Persisch, Ukrainisch, Russisch oder Polnisch. Sie übersetzen dort, wo Deutsch und Englisch als Sprachen nicht ausreichen.
"Ich weiß, wie es ist, wenn man fremd in einem Land ist"
Die Familie Zarour flieht 2017 aus ihrer Heimatstadt Damaskus. Damals wird die syrische Hauptstadt heftig umkämpft, Raketeneinschläge sind Alltag geworden. "Wir hatten oft kein fließendes Wasser, manchmal war stundenlang der Strom weg", sagt Ranim.
Ranims Bruder Monaf ist der erste, der schon 2019 mit der Helpline in Kontakt kommt. Das Projekt wird damals beim Welcome Center der TU Dresden vorgestellt. Ein paar Tage später geht Monaf zu einem ersten Treffen Und fängt kurz darauf als Freiwilliger an. Er vermittelt in Arabisch, Deutsch und Englisch. "Ich weiß, wie es ist, wenn man fremd in einem Land ist und einen keiner versteht", sagt er. "Ich hatte das durch und wollte anderen helfen."
So geht es auch seinen Geschwistern. Ranim und Sami melden sich kurze Zeit später ebenfalls als Freiwillige. Und irgendwann machen sogar ihre Eltern und der Cousin bei der Helpline mit. "Wir sind schon fast sowas wie die zweite Helpline-Zweigstelle in Dresden", sagt Ranim und lacht. "Mittlerweile macht echt die ganze Familie mit." Das habe große Vorteile: "Wenn man mal eine Schicht tauschen muss, dann kann man immer zuerst in der Familie fragen. Irgendwer hat dann immer Zeit."
Anrufe, die man nicht vergisst
Bei der Helpline haben die Geschwister schon viel erlebt. Manchmal melden sich Polizeibeamte, wenn beispielsweise jemand mit einem dringenden Anliegen auf der Straße oder im Polizeirevier nicht verstanden wird. Regelmäßig haben die Zarours mit dem Rettungsdienst zu tun. Und zuweilen rufen Menschen an, weil sie Hilfe bei Behördengängen brauchen.
Und dann gibt es die Anrufe, die die Zarours nicht vergessen. "Einmal wurde ich gegen Mitternacht von einer Sozialarbeiterin angerufen, weil eine Frau abgeschoben werden sollte", erinnert sich Ranim. "Ich habe mit der Frau gesprochen, musste ihr aber sagen, dass ich nichts für sie tun kann. Sowas vergisst man natürlich nicht."
Bei der Helpline erfahren die Freiwilligen nicht, was aus den Personen wird, die bei ihnen anrufen. "Es ist aber auch ganz gut, eine Distanz zu haben", sagt Monaf. Nach besonders anstrengenden und psychsisch belastenden Telefonaten können die Helfer mit einer Psychologin reden. Das sei aber bisher noch nicht nötig gewesen, so die Familie. Die Freiwilligen bekommen zudem eine kleine Aufwandsentschädigung für ihre Schichten.
Notruf-Zentrale: "Helpline ist für uns eine unfassbar große Hilfe"
Die Helpline wurden 2016 vom Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe und dem Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme gegründet. Zunächst war das Angebot für die eigenen Mitarbeiter gedacht. Diese waren Opfer rechter Übergriffe geworden, hatten teilweise mit Sprachbarrieren beim Absetzen von Notrufen zu kämpfen.
Seit 2018 ist die Helpline ein öffentliches Notfalltelefon für alle Menschen in Not. "Wir arbeiten eng mit der Dresdner Polizei und den Rettungskräften zusammen", sagt Katharina Wüstefeld, die das Projekt zusammen mit ihrer Kollegin Stefanie Dittrich koordiniert.
Wenn ein Notruf abgesetzt wird, landet dieser bei der integrierten Regionalleitstelle (IRLS) in Dresden. Und wenn der Anrufer kein Deutsch oder Englisch spricht, dann wird die Helpline verständigt. "Die Helpline ist für uns eine unfassbar große Hilfe", sagt Tilo Heschel, Leiter der IRLS. "Früher haben wir einfach immer Fahrzeuge geschickt, heute können wir über die Helpline genauer herausfinden, was vor Ort benötigt wird."
Bei über 160 IRLS-Mitarbeitern sei es einfach unrealistisch, diese in den verschiedenen Fremdsprachen auszubilden. "Deshalb sind wir sehr daran interessiert, dass die Helpline bestehen bleibt und weiter ausgebaut wird", so Heschel weiter.
Helpline: "Wenig Spielraum, falls die Förderung wegfällt"
Das Angebot der Helpline wurde so stark nachgefragt, dass nach und nach neue Standorte und Angebote entstanden sind. Seit zwei Jahren gibt es eine Helpline in Ostsachsen, die für die Landkreise Görlitz und Bautzen dolmetscht. Arabisch und Farsi können mittlerweile rund um die Uhr übersetzt werden, für andere Sprachen gibt es derzeit noch Sprechzeiten. Diese kann man auf der Homepage der Helpline einsehen.
Die Zukunft der Helpline nicht gänzlich geklärt. Gefördert wird das Projekt zwar seit 2018 vom Freistaat. Doch mittlerweile wird die Förderung nur noch für ein Jahr bewilligt - früher waren es drei Jahre. "Damit bleibt wenig Spielraum für einen Plan B, falls die Förderung wegfällt", sagt Katharina Wüstefeld. "Ich schaue da schon mit einer gewissen Unsicherheit auf die Lage nach den Landtagswahlen im September." Und weiter: "Wer weiß, wer dann die Förderung bewilligt - oder auch nicht." Aktuell sei man auf der Suche nach Stiftungen und Unternehmen, die das Projekt unterstützen wollen.
Die Familie Zarour steht jedenfalls auch weiterhin bereit, wenn das Telefon klingelt. "Wir hatten Glück, fühlen uns wohl in Dresden, haben hier Freunde gefunden", sagt Sami Zarour. "Irgendwie möchte ich da auch etwas zurückgeben."