Was machen Sie besser als OB Hilbert, Frau Jähnigen?

Dresden. "Meine Familie und ich können die Mieten in Dresden nicht mehr zahlen, wir suchen eine neue Wohnung." Oder: "Gehen Sie weg, damit brauchen Sie mich nicht mehr nerven!" Wer an diesem heißen Sommertag mit Eva Jähnigen unterwegs ist, bekommt die ganze Bandbreite der Gefühle serviert. Von Hilfe suchenden Fragen über ehrliches Interesse bis hin zur völligen Ablehnung ist alles dabei, wenn die Grünen-Oberbürgermeister-Kandidatin Wahlkampf macht.
Donnerstagmorgen um 10.30 Uhr am Schillerplatz. Senioren schieben Rollatoren über das Pflaster und Eltern Kinderwagen. Gut gelaunt sucht die Umweltbürgermeisterin Schutz vor der Sonne unter dem grünen Sonnenschirm und verteilt Flyer und Basilikumpflänzchen.
"Ich habe Urlaub genommen für den Wahlkampf, aber das macht mir große Freude, die verschiedenen Menschen kennenzulernen in der Stadt", sagt sie. Genervte Sprüche von Bürgern nimmt sie wahr, aus der Ruhe bringen sie sie aber nicht. Dafür hat sie zu viel Routine im Wahlkampf. Bevor sie Umweltbürgermeisterin wurde, war sie 20 Jahre lang Stadträtin, von 1991 bis 2011, zwischen 2009 und 2015 auch im Landtag. 2015 hat sie der Stadtrat schließlich zur Beigeordneten für Umwelt gewählt.
Sie nutzt die weibliche Form. Immer.
Geboren wurde sie 1965 in Dresden. Nach einer Ausbildung zur Werkzeugmacherin arbeitete sie zunächst als Hilfskraft im Friedrichstädter Krankenhaus, bevor sie eine zweite Ausbildung zur Krankenschwester absolvierte.
Immer wieder kommt die Frage, was machen Sie anders als der amtierende Oberbürgermeister Dirk Hilbert? An den Infoständen, in den Wahlforen, aus der Politik-Bubble. Auch an der nächsten Station im Wahlkampf an diesem Tag vor der TU Dresden. Studierende bekommen eine Mate und Antworten.
Eva Jähnigen kennt die Frage und antwortet routiniert. "Dirk Hilbert lag vorn beim ersten Wahlgang, aber nicht so deutlich, wie gedacht. Ich kann den Stadtrat und die Verwaltung besser und kommunikativer führen", sagt sie und lächelt selbstbewusst. Als Oberbürgermeisterin müsse man in der Verwaltung dann aber auch Dinge mal durchsetzen können, nach der Kommunikation und auf deren Grundlage. Oberbürgermeisterin. Sie nutzt die weibliche Form. Immer.
Aber was genau will sie ändern? Im Stadtrat wird die Debattenkultur seit Jahren schlechter, der Ton rauer und die Redebeiträge unsachlicher. Im sozialen Netzwerk Twitter beschimpfen sich die Räte teils aufs Übelste.
"Ich habe einen Moderationskurs gemacht. Ich würde den Stadtrat auf Augenhöhe führen und das macht Dirk Hilbert nicht", betont Eva Jähnigen. Und inhaltlich? "Was ich anders machen möchte als Dirk Hilbert? Ich will die ökologischen Themen konsequenter angehen und möchte, dass Dresden bis 2035 klimaneutral wird." Im Winter musste die Stadt allerdings verkünden, dass Dresden seine eigenen Ziele in dem Bereich bisher verfehlt hat.

Ein Thema, welches in Dresden immer wieder diskutiert wird und die Menschen bewegt, sind die regelmäßigen rassistischen Übergriffe in der Stadt. Menschen werden beleidigt, angespuckt, Hakenkreuze geschmiert. OB Hilbert wurde immer wieder vorgeworfen, sich zu wenig eindeutig zu positionieren. Eva Jähnigen betont: "Dresden muss weltoffener werden und wir müssen entschieden gegen Rassismus vorgehen. Es ist wichtig, sich als Oberbürgermeisterin da klar dagegen zu positionieren." Wie genau das aussehen soll, bleibt aber unklar.
Nach dem Flyerverteilen an der Uni, ist Mittagspause. Die Alte Mensa ist gleich um die Ecke, Jähnigen kennt sich aus auf dem Campus. Nach der Wende studierte sie Jura und ist heute zugelassene Rechtsanwältin für Verwaltungsrecht.
Bei Kartoffeln, Hering und zuckerfreier Cola erzählt sie, wie sie die Politik für sich entdeckt hat. "Wir haben zu Hause in meinem Elternhaus über Politik diskutiert, auch bei uns in der Kirchgemeinde der Weinbergskirche", sagt sie. Ihren Einstieg in die Politik fand sie vor dem Mauerfall über die kirchliche Bürgerrechtsbewegung.
"Ich habe kein eigenes Auto"
Ob sie mit ihren Kindern zu Hause auch über Politik diskutiert, soll Familiensache bleiben ebenso wie alle anderen Details. Anders als Dirk Hilbert, der Frau und Sohn mit auf Wahlpartys bringt und auf seine Plakate druckt, sagt Eva Jähnigen klar: "Meine Töchter sind 16 und 19 Jahre alt, aber wir haben vereinbart, dass alles andere und ihr Privatleben auch privat bleibt. Auch das meines Mannes." Aber die Familie, das spürt man bei diesem Mittagessen, ist ihr Anker und dafür nimmt sie sich bewusst Zeit. "Ich plane regelmäßig Rückzugstage ein, an denen ich Handy und Tablet ausschalte. An Arbeitstagen, wenn abends keine Termine wie der Stadtrat mehr anstehen, versuche ich, ab 21 Uhr nicht mehr erreichbar zu sein." Nur, wer sich auch mal erholt, sei leistungsfähig auf Dauer für "die übliche 60-Stunden-Woche oder mehr."
Und diese Erholung findet sie eher nicht in wuseligen Kneipen, sondern zu Hause in Trachenberge. "Abends lese ich gerne Lyrik und trinke ein Glas Wein. Zum Entspannen arbeite ich gerne im Garten und koche gerne Gerichte aus dem selbst geernteten Gemüse", erzählt sie. Ihr Jahresurlaub geht in diesem Jahr für den Wahlkampf drauf. "Aber sonst besichtige ich gerne im Urlaub ich gerne Klöster oder verbringe Zeit mit meiner Familie im Saarland und in Frankreich, da mein Mann gebürtiger Saarländer ist."

Sie wird oft angesprochen auf dem Campus, man kennt sie nach vielen Jahren in der Politik und von den Plakaten. Zum letzten Termin an diesem Tag geht es mit dem Rad und ohne Kaffee, dafür mit Pizza. An der Lignerallee wartet die Dresdner SPD zum gemeinsamen Wahlkampf. "Ich habe kein eigenes Auto, sondern fahre Bahn und Rad, aber ich leihe mir für Besorgungen auch mal ein Auto beim Car-Sharing", so die Grüne. Locker und entspannt ist die Stimmung zwischen ihr und SPD-Chef Albrecht Pallas, Pallas war selbst Stadtrat, man kennt und schätzt sich. "Klar halten wir uns an unser Wort und machen zusammen Wahlkampf", sagt er. Auch, wenn dieser in den letzten Tagen vor der Wahl zuweilen etwas Ideen- und motivationslos bei allen Parteien erscheint. Die Luft ist raus und die Stimmung gleicht der der Schüler in den letzten zwei Wochen vor der Sommerferien. Alle warten auf die Zeugnisse der Lehrenden. Oder in Jähnigens Fall auf das Zeugnis der Wählerinnen und Wähler.