"Ich will nie wieder zu meinem alten Gewicht zurück"

Dresden. Bei Lissy Stephan ist es bereits zwei Jahre her, bei Jens Thiele sind es erst vier Monate. Beide sitzen im Sprechzimmer von Dr. med. Matthias Kandler, der Oberarzt in der Abteilung für Gastroenterologie und Endoskopie im Krankenhaus Dresden-Neustadt ist. Bei beiden Patienten hat er den Magen verkleinert und das mit einem noch relativ neuen Verfahren, das es in Dresden und sonst in nur wenigen hoch spezialisierten Kliniken in Deutschland gibt: "Wir bieten die endoskopische Magenraffung seit drei Jahren an, bei der während der Magenspiegelung ein Teil des Magens abgenäht wird", erklärt der Facharzt für Innere Medizin und Gastroenterologie.
Bei dieser Methode ist keine chirurgische Operation notwendig. "Die
Magenverkleinerung ist ohne Bauchschnitt möglich, indem wir einen
Teil des Magens mit einem speziell präparierten Endoskop abnähen",
sagt Matthias Kandler. Im Gegensatz zur operativen Magenverkleinerung
werden keine Teile des Magens entfernt.
Eine
der ersten Patientinnen, die auf diese Art operiert wurden, ist Lissy
Stephan. Zwei Jahre danach hat sie 27 Kilo verloren und sagt: "Ich
weiß, dass ich damals ein großes Geschenk bekommen habe und ich
will nie wieder zu meinem alten Gewicht zurück." Sie holt zwei
Fotos hervor, die sie kurz vor der Operation im September 2019
zeigen: "Das ist wirklich komisch, wenn ich mich jetzt auf den
Bildern sehe", sagt die 31-jährige Dresdnerin. Sie zeigen eine
junge Frau mit langen dunklen Haaren, einer ärmellosen Bluse, einem
Tattoo auf dem Dekolleté und mit vielen Kilos mehr im Gesicht und an
den Armen.
"Ich bin weniger müde und viel fitter"
Vor
dem Eingriff wog sie 121 Kilo. "Ab einem BMI von 25 zählt man als
übergewichtig", sagt Matthias Kandler. Bei Lissy Stephan lag er
damals bei 43. "Das ist bereits Grad drei des krankhaften
Übergewichts", erklärt der Arzt. Heute ist Lissy Stephan bei 94
Kilo angekommen. "Ich bin weniger müde, viel fitter und Sachen
shoppen macht wieder richtig Spaß", sagt sie.
Auch ihr Vater war
übergewichtig und hat sich den Magen verkleinern lassen. "Ich
denke, bei mir ist das Übergewicht genetisch, aber das Essen
schmeckt halt auch gut", sagt sie. Nachdem sie zu Hause ausgezogen
ist, habe sie sehr unregelmäßig gegessen und alles in sich
hineingefuttert. Wirklich gelitten hat sie unter ihren Kilos aber
nicht. "Ich war nur weniger mobil und meist faul und träge."
Laut
dem Robert-Koch-Institut ist über die Hälfte der Erwachsenen in
Deutschland übergewichtig und ein Viertel davon fettleibig. Die
Risiken, die damit einhergehen, sind unter anderem Diabetes,
Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall. Etwa 250 Eingriffe zur
Gewichtsreduktion werden im Krankenhaus Dresden-Neustadt jährlich
durchgeführt. "Von den endoskopischen Eingriffen sind es aber nur
etwa 20 im Jahr", sagt Mattias Kandler. Seine Abteilung arbeitet
eng mit dem Adipositaszentrum im Krankenhaus zusammen, wo unter
anderem Ernährungsberatung, Verhaltens- und Bewegungstherapie für
übergewichtige Menschen angeboten wird.
Der
58-jährige Jens Thiele war schon immer robust gebaut, sagt er, aber
ab dem Alter von 32 Jahren sei es immer mehr geworden, bis er am
Ende 124 Kilo gewogen habe. "Ich habe Diäten in Millionenhöhe
gemacht", sagt der Dresdner, der gern Scherze macht, "aber nichts hat
geholfen". Als Immobilienkaufmann hatte er viel Stress und eine
ungesunde Lebensweise: "Ich habe riesige Portionen gegessen und
hatte trotzdem überhaupt kein Sättigungsgefühl." Eine Operation mit Bauchschnitt kam für ihn aber nicht infrage. "Das wollte ich nicht, denn davor habe ich Angst und ich
meide Krankenhäuser eigentlich."
"Wir haben auch Patienten, die danach wieder zunehmen"
Doch sowohl die Ernährungsberaterin als auch Matthias Kandler halten die endoskopische Magenraffung bei ihm nicht für notwendig. Jens Thiele hat einen BMI von 36, aber keine Begleiterkrankungen. "Die Krankenkasse übernimmt die Kosten erst ab einem BMI von 35 und wenn der Patient unter Begleiterkrankungen leidet", sagt Matthias Kandler. Aber Thiele will den Eingriff unbedingt, auch gegen den Willen seiner Frau. "Ich wollte so nicht weitermachen und hatte alles andere schon versucht", sagt er.
Also entscheidet er sich
für die Operation als Selbstzahler und hat es nicht bereut. "Ich
möchte noch etwa zehn Kilo abnehmen, aber in meinem Tempo", sagt
er. Seit dem Eingriff im Mai hat er 15 Kilo verloren und sagt, dass
es ihm gesundheitlich tausendmal besser geht. "Ich nehme jetzt die
Treppen, statt den Fahrstuhl, ich gehe wandern und bewege mich viel
mehr."
Doch
ein Selbstläufer oder eine Garantie, nie wieder zuzunehmen, ist die
endoskopische Magenverkleinerung nicht, sagt Matthias Kandler. "Wir
haben auch Patienten, die danach wieder zunehmen, weil sie es nicht
schaffen, sich an die Ernährungs- und Bewegungsempfehlungen zu
halten." Die sehen pro Tag vier Portionsgrößen von je 150 Gramm
vor. "Das ist eine ziemlich krasse Umstellung", sagt Lissy
Stephan. Früher habe sie locker einen großen Döner geschafft und
heute ist sie nach einem Drittel schon satt. Beide sind sich bei
einer Sache ganz sicher: "Eine Kleidergröße größer kommt nie
wieder infrage."