Dresden
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Sinfonieorchester Kiew startet Deutschland-Tour in Dresden

Die Musikerinnen und Musiker aus der ukrainischen Hauptstadt wurde im Kulturpalast vom Publikum begeistert gefeiert.

Von Annette Binninger
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Sichtlich bewegt von der Stimmung im Dresdner Kulturpalast waren auch Dirigent Luigi Gaggero und Solo-Violinistin Diana Tishchenko.
Sichtlich bewegt von der Stimmung im Dresdner Kulturpalast waren auch Dirigent Luigi Gaggero und Solo-Violinistin Diana Tishchenko. © Oliver Killig

Es scheint ein ganz normales Konzert. Bis zu diesem Moment, als nach der Pause die Musikerinnen und Musiker wieder Platz genommen haben, der Dirigent hereinkommt – da ruft eine Frau aus dem zweiten Rang. „Slava Ukrajini“ („Ruhm/Ehre der Ukraine“), mit dem sich seit dem 24. Februar die Bürger des Landes gegenseitig Mut machen. Applaus brandet auf, bevor der erste Ton erklingt. Die Menschen im Saal stehen auf, klatschen, rufen, jubeln. Dirigent Luigi Gaggero dreht sich kurz um zum Publikum, neigt lächelnd den Kopf, wie zum Dank. Der Applaus will kaum enden. Die Welle des „Wir-sind-bei-euch“, ein Gefühl des Mit-Tragens und Getragenseins erfüllt den Saal.

Dann wendet sich der Italiener wieder seinem Orchester zu, den Musikern des Kiewer Sinfonie Orchesters. Es erklingen Stücke ukrainischer Komponisten, deren Namen nur wenige hierzulande geläufig sind. Die dritte Sinfonie von Borys Ljatoschynskyi wird gespielt, ukrainische Weisen erklingen. In Moll, schwer und getragen, aber kraftvoll, melancholisch, aber ermutigend. Die fünf Kontrabassisten haben ein kleines blau-gelbes Fähnchen an ihre Instrumente gesteckt. Zwei ukrainische Flaggen hängen über der Brüstung des zweiten Ranges

Schon vor Konzertbeginn hatten die Kontrabassisten blau-gelbe Fähnchen an ihre Instrumente gesteckt.
Schon vor Konzertbeginn hatten die Kontrabassisten blau-gelbe Fähnchen an ihre Instrumente gesteckt. © dpa

Es kann kein „normaler“ Konzertabend werden, den ein paar hundert Dresdner auch bei der Übertragung auf dem Schlossplatz mitverfolgen. Nicht jetzt, nicht mit diesem Orchester aus der kriegsgeschüttelten Ukraine. Dieser Abend ist der Auftakt einer einwöchigen Tournee durch Deutschland. Gerade jetzt sollte die Stimme der Ukraine auf der ganzen Welt gehört werden, begründet das Orchester seine Reise. Mit der Sprache der Musik wollen sie jedes Herz ansprechen. Auch das ihrer Landsleute im Dresdner Exil. Auffällig viele junge Frauen sind gekommen, mit Kleinkindern im Sitz neben sich kauernd.

Als das dauer-applaudierende Publikum die Musiker noch immer nicht ziehen lassen will, kehrt Luigig Gaggero zurück, dreht sich zum Publikum um und kündigt mit leiser Stimme die ukrainische Nationalhymne an. Nicht jeder hat das sofort verstanden. Doch schnell erheben sich alle im Saal. Viele Ukrainer legen eine Hand aufs Herz. Die Musik beginnt. Gaggero zieht die Musiker energisch in eine fast schon trotzig-widerständische Lautstärke und reißt das Publikum mit in der energisch-kämpferischen Melodie.

Passanten verfolgen auf dem Schlossplatz vor der Hofkirche auf einer Leinwand das Konzert des Kyiv Symphony Orchestras im Kulturpalast.
Passanten verfolgen auf dem Schlossplatz vor der Hofkirche auf einer Leinwand das Konzert des Kyiv Symphony Orchestras im Kulturpalast. © dpa
© Matthias Rietschel
© dpa
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© Matthias Rietschel

Viele singen still mit. Einige schreien den Text schon fast in den Saal, laut wie zum Trotz gegen den Krieg. Andere weinen still, umarmen sich. Eine junge Mutter drückt ihren schlafenden Jungen fest an sich.Die Melodie, die zur Hymne der Freiheit für viele in Europa geworden ist, brandet ein letztes Mal auf im Dresdner Kulturpalast. Man wolle allen Menschen „Hoffnung auf eine friedliche Zukunft und den Glauben an den Wiederaufbau der Ukraine geben, die stärker und schöner als je zuvor sein wird“ – dieses Ziel hatte das Orchester vor Antritt seiner Tournee formuliert.

An diesem Abend in Dresden mag man fast ein bisschen mehr daran glauben, dass es so kommen könnte. Noch am gleichen Tag geht es weiter in Kiews Partnerstadt Leipzig, nach Berlin, Wiesbaden, Freiburg und Hannover – an jedem Abend ein Konzert. In Hamburg wartet am Sonntag die ausverkaufte Elbphilharmonie auf die Musikerinnen und Musiker. Dann geht es zurück nach Hause, in ein Land im Krieg.