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Dresdner Kinderärztin: "Essen dient oft als Seelentröster"

Medizinerin Maria Philipp behandelt Kinder und Jugendliche mit Übergewicht und Adipositas. Seit der Corona-Pandemie beobachtet sie eine Zunahme von Patienten, die aufgrund von Kummer zu viel essen.

Von Julia Vollmer
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Kinderärztin Maria Philipp
therapiert Mädchen und Jungen mit Gewichtsproblemen am Krankenhaus Neustadt. Sie beobachtet, dass Essen aus Kummer bei Kindern und Jugendlichen zunimmt.
Kinderärztin Maria Philipp therapiert Mädchen und Jungen mit Gewichtsproblemen am Krankenhaus Neustadt. Sie beobachtet, dass Essen aus Kummer bei Kindern und Jugendlichen zunimmt. © Marion Doering

Dresden. Mathilda ist elf Jahre alt und ein Schulkind. Doch die kleine Dresdnerin, die ihren echten Namen für sich behalten möchte, kämpft mit starkem Übergewicht. Bei einer Größe von 1,54 Meter wiegt sie 76 Kilogramm und damit so viel wie manche eine erwachsene Frau. Ihr Body-Mass-Index (BMI) liegt bei 32. Dabei wird nach dem Verhältnis von Größe und Gewicht geschaut. Ab einem Wert von 30 sprechen Mediziner von Adipositas - starkes Übergewicht.

Fälle wie diese gibt es immer häufiger in Dresden. Am Klinikum Neustadt kümmern sich Kinderärztin Maria Philipp und ihr Team um die Mädchen und Jungen, die unter Übergewicht leiden. In einem eigens aufgelegten ambulanten Programm aus Ernährungsberatung und Sport. Hier soll niemand verurteilt werden, sondern den Kindern soll geholfen werden.

Mehr Jungs von Übergewicht und Adipositas betroffen

"Zu uns kommen Kinder zwischen sieben und 18 Jahren, aber unsere Hauptzielgruppe sind die 10- bis 14-Jährigen", sagt Kinderärztin Maria Philipp. Mehr Jungs als Mädchen sind betroffen von Übergewicht und Adipositas, erzählt sie. Meist werden die Kinder vom Kinderarzt an die Klinik überweisen, manche kommen aber auch auf Eigeninitiative.

"Manche Kinder und Jugendliche sind auch schon Patienten in unseren Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) und kommen dann zu uns, da Essstörungen oft mit ADHS, Lernschwäche oder Entwicklungsverzögerung einhergeht", so die Ärztin. Die Abkürzung ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung.

"Viel Sitzen und Süßigkeiten führen zu Übergewicht"

Fragt man die Mediziner zu den Ursachen des Übergewichts, nennt sie das Essen aus Frust oder Langeweile. Aber Kinder und Jugendliche essen teils auch übermäßig viel, um Probleme in der Schule oder mit Freunden zu kompensieren. "Essen dient oft als Seelentröster", sagt sie. Auch Mobbing ist oft ein Grund. Ein nicht aufzuhaltender Teufelskreis: Je stärker das Übergewicht, desto mehr wird es oft, sagt Philipp. Schlimm für die Betroffenen.

Sie beobachtet eine deutliche Zunahme der Probleme der Kinder mit und während der Pandemie. Viele Kinder und Jugendliche waren sehr viel zu Hause, saßen am Rechner oder vor dem Fernseher und haben sich wenig bewegt. Dazu wurde viel Ungesundes und Süßes nebenbei gegessen und Softdrinks wie Cola oder Fanta getrunken.

Wichtig ist ihr, niemanden zu verurteilen, weder die Betroffenen selbst noch die Familien. "Viele Eltern kochen nicht mit Absicht ungesund, sondern aus Unwissenheit über versteckte Kalorien oder weil sie ihren Kindern etwas Gutes tun möchten", sagt sie. Oft "belohnen" sich die Betroffen auch bei schlechten Noten oder einem anstrengenden Schultag mit Schokobrötchen oder süßen Getränken. "Kritisch sind diese Zwischenmahlzeiten, nachdem es schon ein warmes Mittagessen gab", sagt Maria Philipp.

"Die Dunkelziffer in dem Bereich ist höher"

Monatlich behandeln Philipp und ihr Team um die 15 Patienten, im Jahr rund 80. "Die Dunkelziffer der Kinder und Jugendliche, die Hilfe in dem Bereich bräuchten ist natürlich höher, aber nicht alle finden den Weg zu uns."

Der Zulauf ist riesig und Wartezeit vor Therapiebeginn muss eingeplant werden. Zwölf Monate dauert die ambulante Therapie. Im Schnitt sind die Patienten dann einmal pro Woche in der Klinik. Vor dem Start wird erstmal genau geschaut, wie der Gesundheitszustand der jungen Menschen ist. Denn starkes Übergewicht geht oft mit Bluthochdruck, Diabetes oder Fettstoffwechselstörungen einher. Außerdem ist es schädlich für die Gelenke und das Herz-Kreislauf-System.

Dann folgen Gespräche über eventuellen Probleme in der Schule und Familie oder psychische Erkrankungen wie Depressionen. "Wir behandeln meist in Gruppentherapien, da müssen wir vorher genau schauen, wer gruppenfähig ist", erklärt die Medizinerin.

"Der Spaß am Sport ist manchen verloren gegangen"

Die Eltern sind teilweise dabei, teilweise nicht. Vor allem beim gemeinsamen Kochen ist es aber sinnvoll, dass sie teilnehmen. Einmal in der Woche steht gemeinsamer Sport auf dem Programm, meist Ballspiele oder Tischtennis. "Der Spaß am Sport ist bei manchen verloren gegangen, zum einen, weil er anstrengend ist bei Übergewicht und weil viele im Sportunterricht gemobbt werden", so Philipp. Die Sporteinheiten in einer Turnhalle übernehmen Bewegungstherapeuten.

Nach den zwölf Monaten im Programm bietet das Klinikum noch 24 Monate Nachsorge an, wo die Kinder und Jugendlichen weiter begleitet werden. Dabei ist nicht Abnehmen das große Ziel, sondern das Gewicht zu halten und die Gewohnheiten bei Essen und Sport gesünder zu gestalten.