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Kult auf Schienen - Dresdner Straßenbahn in Torpedoform

Dresdner lieben ihre Straßenbahnen. Die einstigen Hecht-Wagen erlangten Kultstatus. Vor 60 Jahren wurde deren Ende in Dresden eingeläutet.

Von Ralf Hübner
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Technikgeschichte in Torpedoform: Ein Hechtwagen der Linie 11 um 1935 in der belebten Prager Straße in Dresden.
Technikgeschichte in Torpedoform: Ein Hechtwagen der Linie 11 um 1935 in der belebten Prager Straße in Dresden. © Sammlung Holger Naumann

Dresden. Das Interesse der Dresdner an ihren Straßenbahnen ist riesig. Das gilt auch jetzt für die neuen Bahnen der Verkehrsbetriebe, selbst wenn die bisher zwei neuen Züge seit ihrem Linienstart Ende November wohl mehr Zeit im Depot zugebracht haben als auf der Strecke. Das sei in der Anfangszeit normal, heißt es bei den Verkehrsbetrieben. Als die neuen Bahnen unlängst offiziell vorgestellt wurden, kamen die Dresdner in Scharen, um sie in Augenschein zu nehmen. Wann immer Dresden in der Vergangenheit neue Straßenbahnen auf die Gleise gesetzt hat, wurde das aufmerksam verfolgt - auch bei den legendären Hecht-Wagen.

"Neue Straßenbahn-Triebwagen in Torpedoform", titelten die "Dresdner Nachrichten", nachdem am 16. September 1930 der legendäre "Große Hecht" aus Anlass der Tagung des Verbandes deutscher Verkehrsverwaltungen am Stübelplatz das erste Mal öffentlich vorgestellt worden war. Trotz seiner "außergewöhnlichen Länge" von 15 Metern, wie es hieß, sei der Wagen in der Form schnittig und gefällig. Das Innere der Bahn wurde als luftig, hell und freundlich beschrieben.

Straßenbahnfahrer konnten das erste Mal sitzen

Auf den Straßenbahnlinien herrschte damals teilweise eine regelrechte "Hecht"-Euphorie. Lange Zeit galt der "Große Hecht" als Synonym für die Dresdner Straßenbahn schlechthin. "Mit solch einer Bahn zu fahren, war nicht nur für mich das Größte", erinnerte sich Hans-Dieter Müller, in den 1930er-Jahren Schüler des Staatsgymnasiums in der Holzhofgasse in der Neustadt. "Ja, es kam vor, dass ich nahe der Schule eine oder zwei der normalen Straßenbahnen vorbeifahren ließ und minutenlang auf den nächsten Hecht wartete."

Der "Große Hecht" kam einer Revolution im Straßenbahnbau gleich. Er war Experten zufolge seiner Zeit voraus. Er hatte mit den bis dahin meist zweiachsigen, an den Enden offenen Straßenbahnen in Holzbauweise kaum noch etwas gemein. Wagenkasten und Aufbauten bestanden größtenteils aus geschweißten Stahlprofilen und Blechen, die Lagerung auf Drehgestellen war bis dahin unüblich. Der Fahrzeugführer konnte seine Arbeit erstmals im Sitzen verrichten, denn Fahr- und Bremsschalter wurden elektromechanisch mit Druckknöpfen und Fußschaltern fernbedient. Neu war auch das umschaltbare Fern- und Abblendlicht. In den meisten Fällen verkehrten die "Großen Hechte" mit großen zweiachsigen Stahlbeiwagen.

Das Innere war im Bauhausstil gestaltet und die 36 Ledersitze anstelle der bis dahin üblichen Holzbänke machten einen gediegenen Eindruck. Es gab keine Trennwände und Stufen im Fußboden mehr. Von den Schiebetüren zum Ein- und Ausstieg wurde die vordere durch einen Seilzug vom Fahrer bedient. Der mit vier Elektromotoren mit je 55 Kilowatt Leistung ausgestattete "Große Hecht" kam nicht nur spielend auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 Kilometer je Stunde. Bei Testfahrten auf der Königsbrücker Landstraße wurden sogar fast 100 Kilometer je Stunde gemessen.

Gemeinschaftswerk aus Dresden und Niesky

Die Idee für den "Großen Hecht" ging auf den in Bochum geborenen Ingenieur Alfred Bockemühl zurück, der von 1928 an als Oberingenieur bei der Städtischen Straßenbahn Dresden für den Fahrzeugpark verantwortlich war. Für nur wenige Tausend Mark entwickelte er 1930 zusammen mit der Waggonbaufirma Christoph & Unmack in Niesky und der Sachsenwerk Licht- und Kraft-AG in Niedersedlitz den neuen Straßenbahnwagen.

Den Namen verdankten die Hecht-Wagen den zugespitzten Front- und Heckteilen, die den Bahnen ermöglichten, auch in engen Kurven gefahrlos aneinander vorbeizufahren Der erste Wagen wurde am 23. Dezember 1929 nach Dresden ausgeliefert. Ein zweiter folgte im Juli 1930. Gleich nachdem der erste Wagen eingetroffen war, wurde unter Geheimhaltung mit der Erprobung begonnen, denn die neuartige Steuerung sollte noch für ein Patent weiterentwickelt werden.

Weil der "Große Hecht" vor allem auf weniger frequentierten Strecken oft nicht ausgelastet war, wurde 1934 der zweiachsige "Kleine Hecht" herausgebracht. Der war keine einfache Verkleinerung des großen Bruders, sondern in vielen Dingen eine Neuentwicklung. Die Konstruktion war ausgereifter und das Ambiente dank der Deckenleuchten und Vorhänge etwas Besonderes.

Als in der Nachkriegszeit die Straßenbahnen stets überfüllt waren und Fahrgäste auch auf den Trittbrettern standen, sollen bis zu 90 Menschen mit dem Hecht mitgenommen worden sein. Mit Einführung des schaffnerlosen Verkehrs erwies sich dann als nachteilig, dass der Fahrer wegen der abgeschrägten Front- und Heckteile über den Spiegel den Ein- und Ausstieg nicht überblicken konnte. 1972 ging die Zeit des Hechts in Dresden zuende.

Ab 1962 kamen aus Gotha neue Großraumwagen. Doch die waren etwa für die steile Strecke nach Bühlau ungeeignet. Und so wurde mit Triebwagen des tschechoslowakischen Herstellers Tatra experimentiert. Für die Regierung war das der Anlass, den Straßenbahnbau in der DDR gleich komplett einzustellen. Die Triebwagen kamen fortan aus der CSSR.

Wenn jetzt die neuen Bahnen ihren Betrieb aufnehmen, kommt für die letzten noch verbliebenen Tatra-Wagen im DVB-Depot das Ende. Sie sollen zumindest für den Personentransport ausgemustert werden.