Dresden. Eigentlich möchte Thomas Jurisch gar nicht so gern über die Vergangenheit sprechen. "Ich möchte nach vorn schauen, auf den nächsten Kultursommer in diesem Jahr." Völlig überraschend hatte Jurisch im vergangenen Jahr vom Freistaat den Zuschlag für die Fläche am Japanischen Palais bekommen. Dort hatte in den Jahren zuvor der Dresdner Veranstalter Jörg Polenz recht erfolgreich den Palais Sommer organisiert, das Festival mit kostenlosem Yoga und viel Musik entwickelte sich zu einer Größe in Dresden.
Doch der Freistaat, dem die Fläche gehört, wollte die Karten neu mischen und schrieb sie im vergangenen Jahr aus. Thomas Jurisch nutzte die Chance und bewarb sich mit einem Konzept, das bereits seit 2006 fertig in seiner Schublade lag, wie er sagt.
Nach der anfänglichen Freude kam die Ernüchterung. Im Jahr Null nach Corona war der Veranstaltungsmarkt leer gefegt, sowohl mit Blick auf die Künstler, als auch auf Technik aller Art. Kurzum: "Wir hatten keine Möglichkeit, den Kultursommer so zu gestalten, wie wir es uns gewünscht hätten."
Festival in drei Monaten organisiert
In nur drei Monaten stellten Jurisch und sein Team dennoch das Festival auf die Beine. "Das hat noch niemand gemacht", sagt er. Alle seien an ihre Grenzen gekommen, der Stress und die logistische Herausforderung waren enorm groß, schildert Jurisch. Die Bilanz: Innerhalb des Kultursommer-Monats kamen rund 28.000 Besucher.
Mit 20.000 habe er gerechnet, deshalb sei das schon ein kleiner Erfolg. "Es gab ein kalkulierbares Risiko, mit dem wir von Beginn an arbeiten mussten, aber wir haben es gestemmt." Aber Thomas Jurisch will mehr. Mehr Gas geben, mehr Wohlfühlatmosphäre schaffen, mehr Besucher anlocken: "In diesem Jahr möchten wir gemäß unserem Konzept und der langen Vorbereitungszeit abliefern."
"Ich möchte nicht verglichen werden"
Was genau im Juli und August vergangenen Jahres schiefgelaufen ist, möchte er gar nicht weiter vertiefen. Vergangenheit sei Vergangenheit. Mit Kritik geht Thomas Jurisch relativ gelassen um. "Es gab positive wie negative Reaktionen, und alles hilft, das Konzept in die richtige Richtung zu schieben."
Immer wieder betont der 49-Jährige, dass er nicht verglichen werden möchte, dass er mit dem Kultursommer am Palais eine eigene Plattform schaffen und den Dresdnern etwas ganz Besonderes bieten will. "Wir haben wunderschöne Ideen und wollen etwas präsentieren, was es so noch nicht gab."
Die Zeit spielt ihm und seinem Team bei der zweiten Auflage in die Hände. Bereits seit September vergangenen Jahres werde geplant und vorbereitet, vieles neu konzipiert, wie etwa Workshops, anderes überarbeitet, wie das Logo. "Der Name Kultursommer bleibt, aber die Optik auf dem Gelände wird komplett anders sein." Mehr Details will er erst im Laufe des Februar verraten.
"Ich will wissen, wie ein Job funktioniert"
Ziel sei es, täglich zwischen 500 und 1.000 Besucher auf das Festgelände zu holen, sagt Jurisch. Auch mit bekannteren Künstlern und großen Werbeaktionen. "Keine Ahnung, ob das funktioniert", räumt er ein, aber seine Erfahrung habe ihm gezeigt, dass es sich durchaus lohnt, an eine Sache zu glauben und dranzubleiben. Seit 30 Jahren ist der gebürtige Dresdner im Veranstaltungsgeschäft unterwegs. Was Anfang der 1990er-Jahre mit ersten Technopartys in leerstehenden Fabrikhallen begann, gipfelte in seinem Erfolg mit dem Poetry Slam vor ausverkauften Häusern.
Sein Weg führte ihn von der Maurerlehre über Jobs als Schreiber für Dresdner Tageszeitungen, Bühnen- und Tontechniker im Theater, Pizzabäcker und Grafiker aber letztlich immer wieder in die Veranstaltungsbranche. Außerdem schrieb er ein Kinderbuch, gründete einen Verlag, gab ein Jugendmagazin heraus, sattelte später um auf eine Werbeagentur - und Musik macht er auch noch.
"Ich habe so viele Jobs ausprobiert, weil ich wissen will, wie sie funktionieren." Als Maurer bekam er Einblick darin, wie ein Haus entsteht. Als Bühnen- und Tontechniker habe er gelernt, wie man Künstler richtig in Szene setzt. "Heute kann ich eben selbst mit anpacken, wenn da Hilfe nötig ist."
Sein Erfolgsrezept: der Poetry Slam
Sein Herzensprojekt ist bis heute der Poetry Slam. 2006 hat er auf einer Internetplattform eine Art Kolumne über seine Erlebnisse im Alltag veröffentlicht. "Ein Freund sprach mich an und sagte, dass ich damit unbedingt mal bei einem Slam mitmachen müsste." Dabei handelt es sich um einen Wettbewerb, bei dem Künstler ihre selbst verfassten Texte auf einer Bühne vortragen. Mit seinen Texten kam Thomas Jurisch gut an und war daraufhin auf vielen Bühnen unterwegs, nicht nur in Dresden.
Weil es in der Stadt damals nur zwei Slam-Veranstaltungen gab - "beiden waren legendär, aber es fehlte ein Mittelding auf einer Kleinkunstbühne", ergänzt Jurisch - wollte er selbst so etwas auf die Beine stellen. Eher zufällig stieß er auf das Lingnerschloss, in dem er eigentlich eine Houseparty veranstalten wollte. "Die Location war ideal." Also fand im Juli 2006 das erste "Poetengeflüster" statt.
"Wir haben mit zehn Gästen und zehn Künstlern angefangen, und von Monat zu Monat kamen mehr Besucher." Ab dem vierten Mal sei die Veranstaltung immer ausverkauft gewesen. 150 Leute wollten alle vier Wochen die unterhaltsame Show mit Blick über Dresden erleben. "Beim Open-Air kamen sogar bis zu 400 Gäste."
"Das Yoga-Angebot müssen wir reduzieren"
Schnell macht er sich einen Namen in der Stadt, das "Poetengeflüster" bleibt nicht sein einziges Konzept, es folgen Jazz- und Comedy-Slams. "Beides hat sofort funktioniert." Neben dem Lingnerschloss wird die Schauburg sein zweiter wichtiger Veranstaltungsort. Das Kino in der Neustadt entpuppt sich als Glücksfall, Jurisch sei bis heute dankbar, dass er dort Fuß fassen konnte. 350 bis 400 Gäste kommen zu jeder Veranstaltung, neue Formate werden gut angenommen. "Egal, was ich angefasst habe, wir waren immer ausgebucht."
Später entdeckt Thomas Jurisch die Uni für sich. Den ersten Campus-Slam im Hörsaalzentrum der TU Dresden verfolgen 900 Zuschauer, beim zweiten Mal sind es schon 1.300. Absoluter Höhepunkt werden die Veranstaltungen auf den Dresdner Filmnächten.
"Erst dachte ich, das wird eine Nummer zu groß, doch dann kamen fast 3.000 Leute." Für einen Poetry Slam eine fantastische Zahl, meint Jurisch. "Mehr ging nicht." In diesem Jahr ist er mit seiner Veranstaltung zum achten Mal bei den Filmnächten dabei. Doch sein Fokus liegt auf dem Kultursommer - eine große Aufgabe, wie er sagt.
Auch wenn er sich noch etwas geheimnisvoll gibt - so viel verrät Thomas Jurisch schon jetzt: "Das Yoga-Angebot werden wir reduzieren." Auch wenn viele Dresdner die sportliche Aktivität auf der Wiese vor dem Palais liebgewonnen haben - organisatorisch sei es vor allem an den Nachmittagen vor Musikveranstaltungen schwer umsetzbar, weil die Fläche für den Aufbau der Konzerttechnik benötigt werde, erklärt Jurisch. "Das wird trotzdem großartig."