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Bedrohte Filmgalerie Phase IV in Dresden: "Aufhören ist erst mal nicht drin"

Bei einem Aus der Filmgalerie Phase IV würde nicht nur ein gigantischer Filmschatz verloren gehen, sondern auch ein wichtiger Begegnungsort in Dresden verschwinden. Die Situation des Vereins ist symptomatisch dafür, wie es der Soziokultur nach Corona geht.

Von Dominique Bielmeier
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Der Filmgalerie Phase IV auf der Königsbrücker Straße in Dresden droht das Ende. Sven Voigt und Alexander Stark geben sich aber noch nicht geschlagen.
Der Filmgalerie Phase IV auf der Königsbrücker Straße in Dresden droht das Ende. Sven Voigt und Alexander Stark geben sich aber noch nicht geschlagen. © Sven Ellger

Dresden. Eigentlich ist die Phase IV noch für zwei Stunden geschlossen, aber der Mann im dunklen Cordsakko huscht trotzdem mit hinein, als Alexander Stark gerade die Getränke für den bevorstehenden Filmabend hereinträgt. Ob er seine beiden DVDs schnell zurückgeben darf? Dazu könnte er auch die Klappe unterhalb des Schaufensters zur Königsbrücker Straße hin nutzen, die jederzeit geöffnet ist. Doch der Cineast hat Redebedarf, gibt zu jedem Film eine kurze Kritik ab.

"Die Piefke-Saga", ein vierteiliger österreichischer Fernsehfilm aus den frühen Neunzigern: skurril, witzig, fast schon dadaistisch. "Caspar David Friedrich - Grenzen der Zeit", ein Dokumentar-Spielfilm von Peter Schamoni aus dem Jahr 1986: funktioniert wunderbar, auch wenn der berühmte Maler darin gar nicht selbst vorkommt. Ach, und gibt es eigentlich endlich den oscarprämierten "Tár"? - Nein, aber "Im Westen nichts Neues". - "Was, echt?" Das Kriegsdrama wird kurzerhand ausgeliehen. Dabei gibt es den Film schon seit Ende Oktober bei Netflix.

Filmgalerie Phase IV ist Streamingdiensten überlegen

Wer in die Phase IV kommt, für den sind Streamingdienste, von denen man als Film- und Serienfan gerade gefühlt immer mehr braucht, keine Alternative. Entweder, weil er auf der Suche nach wahren Filmschätzen ist, die es nur hier gibt, oder weil er den Ort mit den roten Wänden und deckenhohen Regalen voller Filme - etwa 9.000 stehen im Laden, rund 6.000 weitere sind im Archiv - als solchen schätzt und für Dresden bewahren will: einen Ort, "an dem Filmgeschichte geatmet und bewahrt wird", wie Gründer Sven Voigt es ausdrückt.

Rund 14.500 Filme gibt es in der Filmgalerie Phase IV in der Dresdner Neustadt, viele davon waren noch nie irgendwo digital verfügbar. Auch wer das Gesamtwerk eines Regisseurs oder einer Regisseurin sucht, ist hier richtig.
Rund 14.500 Filme gibt es in der Filmgalerie Phase IV in der Dresdner Neustadt, viele davon waren noch nie irgendwo digital verfügbar. Auch wer das Gesamtwerk eines Regisseurs oder einer Regisseurin sucht, ist hier richtig. © Sven Ellger

Knapp 90 Veranstaltungen hat Phase IV, seit 2018 ein Verein, im vergangenen Jahr ausgerichtet, darunter ausverkaufte Filmreihen wie die "Tour du Cinéma" mit dem Thalia-Kino oder "Architektur im Film", eine langjährige Kooperation mit dem Zentrum für Baukultur, bei der abwechselnd Spielfilme und Dokumentationen rund um das Thema Architektur gezeigt werden.

Soziokulturelles Zentrum statt reine Videothek

Längst ist die Phase IV nicht mehr nur das, was sie eigentlich nie war, selbst zur Gründung Anfang 2006 nicht: eine bloße "Videothek", ein Dinosaurier, der künstlich am Leben gehalten wird und für den es heute eigentlich keinen Bedarf mehr gibt. Von Anfang an ging es nicht allein um den Filmverleih, sondern um das Bewahren von Filmgeschichte und -kultur, mit der Wandlung zum Verein entwickelte sich die Filmgalerie ganz bewusst immer mehr zum soziokulturellen Zentrum, das heute seinesgleichen in Dresden sucht.

Eines allerdings stimmt an der Dinosaurier-Metapher: Die Phase IV ist vom Aussterben bedroht.

"Pleite" oder "bankrott", so nennen es die Co-Leiter Sven Voigt und Alexander Stark nicht gerne. Aber de facto ist es so: Wenn es keine Finanzierung "von außen" gibt, hält die Phase IV nur noch bis spätestens November durch. Wie kam es so weit?

Die Filmgalerie Phase IV auf der Königsbrücker Straße ist natürlich benannt nach einem Film: In "Phase IV" (1974) stellen sich Ameisen gegen die Menschheit und wollen die Weltherrschaft übernehmen.
Die Filmgalerie Phase IV auf der Königsbrücker Straße ist natürlich benannt nach einem Film: In "Phase IV" (1974) stellen sich Ameisen gegen die Menschheit und wollen die Weltherrschaft übernehmen. © Sven Ellger

"Vor Corona war eigentlich alles super, da hat sich das alles getragen", sagt der 33-jährige Stark, der seit 2017 dabei ist. Mit der Schließung während der Lockdowns kamen die Umsatzeinbrüche, die durch die Coronagelder vom Staat einigermaßen abgefangen werden konnten. Außerdem war der Verein umtriebig, mit dem Fahrrad wurden die DVDs persönlich zu den Kunden nach Hause gebracht, selbst im Winter. Der Crash kam erst nach Corona - wie für viele Akteure in der Kulturszene.

"Man konkurriert mit einer unendlichen Bequemlichkeit"

"Dann hat sich gezeigt, dass sich das Konsumverhalten der Menschen doch sehr geändert hat", sagt Stark. Etwas deutlicher drückt es Voigt aus: "Die Leute kriegen heute den Hintern nicht mehr hoch für Kultur." Sein Kollege stimmt zu: "Man konkurriert mit einer unendlichen Bequemlichkeit." Er habe einen Bekannten, der am Martin-Luther-Platz wohne, eine knappe Viertelstunde Fußweg entfernt. "Der meint, das ist ihm zu weit hierherzukommen."

Nach Corona also bleibt die Laufkundschaft aus, während die Zahl der rund 650 Vereinsmitglieder, die im Monat 10 Euro zahlen und dafür zwei Filme pro Tag kostenlos leihen können, konstant bleibt. Nicht wenige sind nur noch dabei, um die Phase IV, die schon 2016 akut von Schließung betroffen war, zu bewahren.

Als Voigt damals nicht mehr kann, sich sogar hoch verschuldet, "tobt nach den Presseartikeln dazu ein Orkan durch die Phase IV", erzählt der 48-Jährige - ein Orkan der Hilfsbereitschaft. "Die Leute haben gesagt, das geht nicht, wir müssen etwas machen." Eine Crowdfunding-Aktion rettet damals die Filmgalerie, trägt sie bis zur Vereinsgründung, die die Phase IV erst einmal den harten betriebswirtschaftlichen Erfordernissen entzieht, auch wenn es am Jahresende immer knapp ist. Bis jetzt.

Förderung durch "Neustart Kultur" abgelehnt

Zu den fehlenden Einnahmen kommen nun steigende Betriebskosten - und schließlich wird auch eine weitere Förderung durch den "Fonds Soziokultur" im Programm "Neustart Kultur" abgelehnt, die Stelle einer Projektkoordinatorin, die gerade einmal zehn Monate da war, muss wieder gestrichen werden. Das tut besonders weh, weil mit ihr auch die vielen Projekte sterben, die sie gerade erst angestoßen hatte. "Damit wären wir förderbar gewesen und hätten zum Beispiel auch an die Stadt herantreten können", erklärt Voigt. Nun sind er und Stark wieder allein mit dem Minijobber am Tresen - und den vielen Ehrenamtlichen, die hinter dem Verein stehen und ihn über mittlerweile fünf Jahre getragen haben.

Genau das wird nun zum Problem für die Zukunft der Filmgalerie: Weil sie nicht bereits seit Jahren öffentliche Gelder für Projekt um Projekt bei der Stadt beantragt hat, könnte es schwer werden, nun institutionelle Förderung zu erhalten. Voigt vermutet, beim Termin mit der Stadt zu hören: "Macht erst mal noch fünf Jahre Projektförderung." Diese Zeit hat die Filmgalerie aber nicht mehr. "Insofern war dieses ehrenamtliche Engagement ein Schuss ins eigene Knie."

Situation in der Dresdner Kulturszene verschärft sich weiter

Ein mehr als schwacher Trost: Mit dem Problem der ausbleibenden Projektförderung ist die Filmgalerie nicht allein, es trifft gerade viele Akteure der Kultur und Soziokultur. Immer sei in den Newslettern der Kulturstiftung Sachsen von einer "Rekordanzahl der Anträge" die Rede, sagt Stark. "Das klingt immer, als seien sie so gefragt, aber eigentlich ist es schlimm, denn alle brauchen jetzt dieses Geld, aber sie können nur etwa ein Drittel der Leute fördern, die anfragen."

Gerade im Bereich der mittleren und kleinen Akteure bahnten sich Flurschäden an, befürchtet Voigt, "die so massiv sind, dass man sich davon noch gar keinen Begriff macht". Dass die Förderung für so viele nun wegbreche, verschärfe die Situation in der Kulturszene noch einmal.

Sponsoren und Förderung statt Preiserhöhung

Trotzdem: "Aufhören ist erst mal nicht drin", sagt Alexander Stark entschieden. Die Phase IV macht weiter, solange es geht, will noch mehr als Soziokulturzentrum wahrgenommen werden, noch mehr Kooperationspartner finden. Auch Sponsoren oder Subventionierung seien eine Möglichkeit, das Überleben zu sichern, das Treffen mit der Stadt steht außerdem noch aus.

Eine weitere Crowdfunding-Aktion schließt Sven Voigt allerdings aus. Erstens, weil es die bereits einmal gab, und zweitens, weil auch sie das strukturelle Problem nicht lösen würde. Was auch nicht infrage kommt: eine pauschale Preiserhöhung. "Es ist ja nun mal Inflation und die Leute haben nicht mehr so viel Geld für alles", sagt Voigt. Wer die Phase IV unterstützen will, hat die Möglichkeit einer freiwilligen Support-Mitgliedschaft für 15 Euro im Monat sowie von Spenden.

Phase IV hat dienstags bis freitags noch von 16 bis 21 Uhr, samstags von 14 bis 21 Uhr geöffnet. Am Samstag, 20 Uhr, wird im Rahmen von "Off Europa" der Film "Rebellinnen" von Pamela Meyer-Arndt in der Filmgalerie, Königsbrücker Straße 54, gezeigt. Eintritt 6 Euro, 5 Euro ermäßigt.

Am Sonntag, 19 Uhr, zeigen der Gerede e. V. und Move It! Young zum Internationalen Tag gegen Homo-, Bi- und Transfeindlichkeit den Film Rafiki. Der Eintritt ist frei.

Weitere Termine findet man im Kalender auf der Website.