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Ukrainische Musikprofessorin in Dresden: "Ich konnte nicht in die Oper gehen. Wie sollte ich das genießen?"

Adelina Yefimenko ist Gastprofessorin an der Dresdner Hochschule für Musik. Russlands Krieg in der Ukraine macht ihr Angst. Warum sie jetzt trotzdem ihre Heimat besuchen will.

Von Christoph Pengel
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Adelina Yefimenko hält bis zum Ende des Jahres Vorlesungen an der Hochschule für Musik. Vor 18 Jahren war sie schon einmal in Dresden. Sie erinnert sich noch gut an ihren ersten Abend in der Semperoper. "Ich war in Trance", sagt sie.
Adelina Yefimenko hält bis zum Ende des Jahres Vorlesungen an der Hochschule für Musik. Vor 18 Jahren war sie schon einmal in Dresden. Sie erinnert sich noch gut an ihren ersten Abend in der Semperoper. "Ich war in Trance", sagt sie. © Marion Doering

Dresden. Die Tickets waren schon gebucht: Am 25. Februar 2022 wollte Adelina Yefimenko in die Ukraine fliegen. In Lwiw, wo sie Musikwissenschaften unterrichtet, waren Seminare geplant. Doch daraus wurde nichts. Am 24. Februar, einen Tag vor ihrem geplanten Flug, überfiel Russland die Ukraine.

Seit diesem Tag ist ihr Leben ein anderes. Zwar gibt Adelina Yefimenko noch immer Vorlesungen und spricht zum Beispiel über die "Regieoper als soziales Phänomen". In Dresden hat sie gerade als Gastprofessorin an der Hochschule für Musik angefangen. Aber der Krieg in ihrer Heimat lässt ihr keine Ruhe.

Vor allem die letzten Monate fielen ihr schwer. Ständig las sie die Nachrichten, schaute sich Kriegsbilder an und Videos von Massengräbern. "In so einem Zustand können sie nicht normal arbeiten", sagt sie. "Ich konnte nicht in die Oper gehen, weil ich dachte: Wie soll ich das genießen?"

Tausende sind bei Gefechten in der Ukraine gefallen oder durch Raketen gestorben. Auch Adelina Yefimenko hat schon Bekannte verloren. Geblieben ist ihre Liebe zur Musik, die in der Kindheit begonnen hat.

"Das Wort Spaß war nicht üblich"

Adelina Yefimenko stammt aus Saporischschja in der Südukraine, aus der Stadt mit dem Atomkraftwerk, um das zuletzt gekämpft wurde. In der Gegend kam sie 1965 zur Welt. Zuhause stand ein schönes Klavier mit vergoldeten Kerzenständern, Marke Schröder. Yefimenko klimperte schon früh auf den Tasten herum, sie war fasziniert von den Klängen.

Wenn Yefimenko über ihre Jugend erzählt, kommt ihr ein Bild in den Sinn: das Gesicht ihrer Musikschullehrerin, einer strengen Frau mit kurzen, dunklen Haaren und großer Brille. "Wir hatten ein bisschen Angst vor ihr", erzählt Yefimenko.

Doch sie war eine fleißige Schülern, lernte ihre Tonleitern und sang im Chor. "Das Wort Spaß war nicht üblich. Es war eine Lebensweise. Nach der Musikschule kommst du nach Hause, dann erledigst du deine Aufgaben und übst Klavier. Für mich ist heute schwer vorstellbar, wie ich das zeitlich geschafft habe."

Beethoven, Chopin, Bach - all das und mehr beherrschte die junge Frau auf dem Klavier. Doch statt Konzertpianistin zu werden, schlug sie einen anderen Weg ein: An der Hochschule für Musik in Lwiw lernte sie eine Professorin kennen. "Sie hat mich so begeistert mit ihren Vorlesungen, die sie mit dem Klavier begleitete, dass ich dachte: Ich will auch so werden."

Yefimenko wollte die Ursprünge der Musik erforschen, wollte darüber nachdenken, wie sich Stile in der Geschichte entwickeln. Sie fing an Artikel zu verfassen. In ihrer Dissertation schrieb sie über deutsche Kirchenmusik. Für Forschungsprojekte fuhr sie später quer durch das Land von Händel, Bach und Wagner.

Neben ihrem Lehrstuhl in Lwiw hat Yefimenko heute auch eine Professur an der Ukrainischen Freien Universität in München. Nun ist sie in Dresden zu Gast - nicht zum ersten Mal.

"Ich war in Trance"

Vor 18 Jahren war sie schon einmal an der Hochschule für Musik. Ihre Zeit in Dresden begann damals mit einer "Explosion". So beschreibt sie ihren ersten Abend in der Semperoper. "Ich war in Trance."

Der Rosenkavalier von Richard Strauß wurde aufgeführt. Yefimenko hatte keinen guten Platz, das Bühnenbild konnte sie kaum sehen. Aber das Orchester brachte sie in einen Zustand, der über die normale Wahrnehmung hinausging. "Transzendieren durch Musik", sagt sie. "Das passiert nicht oft, aber wenn, dann weiß ich, ich hab diesen Tag und mein Leben nicht umsonst gelebt."

Sich heute angesichts des Kriegs in die schönen Künste zu vertiefen, der Realität zu entfliehen - das klingt wie eine verführerische Idee. Das Problem ist nur: "Es funktioniert nicht", sagt Yefimenko. Ihre Angst, ihre Gedanken an die Gräuel in der Heimat wird sie so nicht los.

Yefimenko kann nicht vergessen, was mit ihrer Doktorandin in Lwiw passiert ist, dieser "schönen, klugen Frau", die mit ihrem Sohn zur falschen Zeit am falschen Ort war. Der Sohn überlebte den Raketenangriff, die Mutter starb. "Eine große Tragödie", sagt Yefimenko.

Wenn die Professorin ihre Studenten in Lwiw per Videokonferenz unterrichtet, hört sie manchmal die Sirenen aufheulen. Dann wird die Stunde unterbrochen. Die Studenten müssen einpacken und sich in Sicherheit bringen.

Trotz allem hat Yefimenko noch immer ihre Flugtickets, immer wieder hat sie umgebucht. Nun will sie tatsächlich wieder in die Ukraine. Nach Lwiw. Dort feiert der ukrainische Komponist Jewhen Stankovitsch bald eine Premiere in der Oper. Das Stück heißt "Schreckliche Rache".

Yemifenko schreibt vielleicht eine Rezension über die Generalprobe. Diese Woche hebt ihr Flieger ab. "Drücken Sie mir die Daumen, dass ich zurückkomme", sagt sie.