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Darf Dresden Strom- und Gassperren einfach aussetzen?

Wer seine Strom- und Gasrechnung nicht zahlen kann, muss damit rechnen, im Dunkeln und Kalten zu sitzen. Der Dresdner Stadtrat hat dazu jetzt einen Beschluss gefasst. Sachsen-Energie sieht diesen aber kritisch.

Von Julia Vollmer & Andreas Weller
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Stromsperren drohen, wenn die Rechnung nicht bezahlt werden kann - Dresden will das verhindern.
Stromsperren drohen, wenn die Rechnung nicht bezahlt werden kann - Dresden will das verhindern. © dpa/David Ebener

Dresden. Die Energiepreise steigen, selbst wenn die Bundesregierung die Gaspreisabschlagsverordnung und damit die Senkung der Mehrwertsteuer beschlossen hat. Viele Dresdnerinnen und Dresdner haben bereits eine Abschlagsinformation des Versorgers Sachse-Energie erhalten.

Viele Bürger, die sich die Erhöhungen nicht leisten können und keine Unterstützung erhalten, fürchten nun, dass Strom und Gas gesperrt werden. Damit das nicht eintritt, gab es unlängst eine Entscheidung. Doch hat diese Bestand?

Wann kommen die Briefe mit der Abschlagserhöhung?

Die grundsätzlichen Abschlagsinformationen an die Stromkunden hat Sachsen-Energie bereits verschickt, teilt das Unternehmen mit. Bei allen Kundinnen und Kunden, deren Strompreis sich zum 1. November ändert, wurden die Abschläge und Rechnungsparameter betrachtet.

"Aber nicht bei jedem Kunden, dessen Strompreis sich zum 1. November ändert, ändert sich der Abschlag, sodass nicht jeder automatisch eine Abschlagsanpassung bekommt", erläutert eine Sprecherin.

Wie berechnen sich nun die Gas-Abschläge?

Für die Höhe des Abschlags sind der Wegfall der Gasbeschaffungsumlage als auch die Senkung der Mehrwertsteuer, die erst am vergangenen Freitag final beschlossen wurde, entscheidend. "Wir berechnen und prüfen gerade die Gasabschläge neu. Alle Kunden, deren Abschlag sich ändern, werden zeitnah per Brief oder im Onlineservice darüber informiert", heißt es von Sachsen-Energie.

Die Bundesregierung hat die Gaspreisanpassungsverordnung am 3. Oktober erlassen. Für Erdgaskunden bedeute das, dass sie entlastet werden - ihre Preisanpassung also niedriger ausfällt als angekündigt. "Der Wegfall der Umlage und die Senkung der Mehrwertsteuer bedeutet zum Beispiel für einen Vier-Personen-Haushalt in Dresden mit einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden Erdgas eine Ersparnis von 75 Euro im Monat", sagt die Sprecherin.

Werden in Dresden Stromsperren verhindert?

Der Dresdner Stadtrat hat am vergangenen Donnerstag zumindest beschlossen, dass Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) als Aufsichtsratsvorsitzender der Sachsen-Energie bei der Geschäftsführung des Unternehmens darauf hinwirkt, dass es bis Ende 2023 keine Energiesperren - also Versorgungsunterbrechungen für Strom und Gas - mehr geben wird. Die Sachsen-Energie soll darauf verzichten und die Schulden sozusagen aufschieben.

Der Antrag dazu stammt von der Dissidenten-Fraktion. In diesem wird OB Hilbert zusätzlich aufgefordert, mit der Ostsächsischen Sparkasse Dresden und der Sachsen-Energie einen Nothilfefonds einzurichten, um Betroffenen einen Zuschuss oder ein zinsloses Darlehen zu ermöglichen.

"Viele Dresdnerinnen und Dresdner sind verunsichert und haben Angst, ihre Energierechnungen nicht mehr bezahlen zu können", so Dissidenten-Stadtrat Michael Schmelich (Grüne). "Da ist es extrem wichtig, den Bürgerinnen und Bürgern die Sicherheit zu geben, dass ihnen in der Not nicht der Hahn zugedreht wird. Das ist ein extrem wichtiges Signal."

Wie reagiert Sachsen-Energie darauf?

Der Stadtratsbeschluss allein könne die rechtlichen Grundlagen zur Durchführung von Strom- und Gassperren nicht außer Kraft setzen, heißt es vom Unternehmen. Verbraucherinnen und Verbraucher benötigten angesichts der Preissteigerungen Unterstützung, so nehme die Nachfrage nach Zahlungsaufschüben zu. Entscheidend werden jetzt die konkreten Entlastungsregelungen der Regierung für die einzelnen Kundengruppen sein.

Grundsätzlich seien Sperrungen der Energieversorgung das letzte Mittel. Deshalb sollen sich Betroffene so früh wie möglich bei der Sachsen-Energie melden, so der Versorger. Ziel sei es immer, eine individuelle Lösung gemeinsam mit den Kunden und auch in Zusammenarbeit mit den Sozialämtern und Jobcentern zu finden.

Das beschlossene Moratorium für Strom- und Gassperren sehe das Unternehmen aber kritisch, da damit das Problem nicht gelöst werde, sondern es sich nur in die Zukunft verschiebt. Hinzu komme, dass ein solches Moratorium massive Auswirkungen auf die Liquidität der Energieunternehmen habe und diese schnell in finanzielle Schieflage geraten könnten. Denn die Versorger gehen bei der Lieferung der Energie in Vorleistung und seien mit extrem hohen Kosten für ihre Energiebeschaffung konfrontiert.

"Die Absicherung von Kunden mit Zahlungsschwierigkeiten muss über die bestehenden Systeme und staatliche Hilfsprogramme erfolgen", heißt es vom Unternehmen. Ein Verbot der Versorgungsunterbrechung trotz Zahlungsrückständen wäre auch gegenüber allen "redlich zahlenden" Verbrauchern nicht nachvollziehbar zu vermitteln.

Ist dieser Ansatz nachvollziehbar?

Laut Stadtrat Schmelich nicht, denn es gehe ja nicht darum, die Schulden zu erlassen, sondern die Zahlungspflicht aufzuschieben. "Das ist lächerlich, weil es eine rein betriebswirtschaftliche Sicht ist und die sozialen Folgen nicht betrachtet werden. Der Energieversorger hat auch eine soziale Verantwortung und die Menschen, die in Not geraten, werden der Sachsen-Energie nicht das Betriebsergebnis verhageln."

Die Liquidität der Sachsen-Energie werde nicht gefährdet, weil erwartete Einnahmen von einigen Kunden nicht zur geplanten Zeit eingehen. "Bei einem Unternehmen mit rund 1,48 Milliarden Euro Jahresumsatz und einem Jahresüberschuss von mehr als 121 Millionen Euro im Jahr 2021 sind die möglichen ausstehenden Summen lächerlich", so Schmelich weiter. Schließlich gehe es pro Kunde um maximal 200 Euro durchschnittlich, da erst ab 100 Euro Schulden die Energiesperre greift.

Wie viele Mahnungen verschickt Sachsen-Energie?

Im September 2021 hat Sachsenenergie in Dresden 8.505 Mahnungen und 969 Einstellungsandrohungen an Privatkunden versendet. Im September 2022 waren es 7.723 Mahnungen und 1.153 Einstellungsandrohungen. Bei Gewerbekunden waren es sowohl 2021 als auch 2022 im September 70 Einstellungsandrohungen.

Allerdings galten laut Unternehmen unterschiedliche Voraussetzungen. So wurden die Sperren coronabedingt im ersten Halbjahr 2021 ausgesetzt. Danach wurden die Sperrgrenzen erhöht und schrittweise wieder gesenkt, damit nicht plötzlich viele Kunden direkt in die Sperrung kommen.

Wie viele Stromsperren verhängt die Sachsen-Energie?

Auch hier waren die Sperrbedingungen 2021 und 2022 unterschiedlich - wegen des Verzichts auf Sperren im ersten Halbjahr 2021.

Im August 2021 gab es 236 Stromsperrungen, im September 2021 waren es 207. Im August 2022 wurde dagegen bei 196 Kunden der Strom abgestellt, im September 2022 waren 156 Kunden davon betroffen.