Amtswechsel in den USA: Dresden blickt nach Amerika

Dresden. An manchen Tagen ist da eine scheinbar unüberwindbare Kluft zwischen Brigitte Georgi-Findlay und ihren Studenten an der TU Dresden. "Es gibt eine Sache, die die Studenten nicht verstehen und das sind die Republikaner", sagt die Professorin für Nordamerikastudien.
Georgi-Findlay beobachtet genau, was sich zurzeit in Übersee abspielt. Auch die heutige Amtseinführung des neuen Präsidenten Joe Biden hat die Professorin, die Anfang der 90er Jahre in Arizona lebte, natürlich im Blick.
Militarismus und Patriotismus: Vielen Studenten fremd
Während des Studiums lernte sie 1979 ihren mittlerweile verstorbenen Ehemann kennen, einen Kalifornier. Das Land zog sie immer weiter in den Bann, nicht nur der Liebe wegen. Zur USA gehören für sie vor allem faszinierende Risikobereitschaft und ein durchgängiger Optimismus.
Ihre Studenten sehen das anders: "Die jungen Leute hier schauen sehr kritisch auf die USA. Das liegt vor allem daran, dass sie diesen Militarismus und Patriotismus nicht kennen. Es geht ihnen vor allem um einen starken Sozialstaat, der in den USA eher abgelehnt wird", erklärt Georgi-Findlay.

Und die älteren Dresdner? Dort herrsche noch immer ein positiveres Bild von Russland als von den USA. Das habe mit der Nähe und der gemeinsamen Geschichte zu tun, schätzt die Professorin.
Und doch gebe es durchaus Parallelen zwischen Washington und Dresden. "Was ich hier entdecke, ist die Debatte, dass sich der Staat zu wenig um die Leute kümmert, dass in der Industrie viele Arbeitsplätze verlorengegangen sind. In den USA trifft das insbesondere weiße Männer im ländlichen Raum."
Zwar gebe es in Sachsen und den USA völlig verschiedene Bedürfnisse der Menschen. Aber Spaltung und Zerrissenheit zwischen links und rechts, die auch die Dresdner Stadtgesellschaft seit Jahren prägen, hätten doch ähnliche Ursachen und Auswirkungen, meint die Professorin.
"Die Arbeitsplätze gehen nicht zu den Menschen zurück, die sie verloren haben, sondern an junge Menschen mit guter Ausbildung. Das verursacht das Gefühl, dass die Hoheit der Meinung einseitig ist und das schafft Ressentiments."
Wer verstehen wolle, warum 74 Millionen Amerikaner einen Menschen wie Donald Trump gewählt haben, müsse sich mit Zukunfts- und Abstiegsängsten auseinandersetzen.
"Vier Jahre voller Lügen"
Kevin Manygoats, der in einem Indianerreservat in Arizona aufwuchs und heute in Striesen lebt, ist froh, wenn Trump ab heute nicht mehr im Weißen Haus sitzt. Regelmäßig berichten ihm seine US-Verwandten davon, was gerade in Übersee passiert.
Besonders der Sturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol in Washington hat Manygoats nachdenklich gemacht. "Das ist sehr schlimm", sagt er.
Rechte Gruppen und Verschwörungstheoretiker hätten die Amerikaner vor allem über das Internet aber auch über rechtskonservative TV-Sender wie Fox News aufgehetzt und den Rassismus befeuert, sagt Manygoats.
Vorwürfe macht er Donald Trump nicht nur für diese Stimmung, sondern auch dafür, dass er nichts gegen den Aufstieg von rassistischen Gruppen wie den "Proud Boys" unternommen hätte. Genauso dramatisch sieht Manygoats den Umgang Trumps mit der Corona-Krise.
Er hoffe, dass Joe Biden die Ausbreitung des Virus endlich in den Griff bekomme. "Trump hat Covid-19 in vielen Punkten verheimlicht", sagt der studierte Chemiker. Viele Lügen und kaum Informationen hätten in den vergangenen Jahren in den USA dominiert.
Dresdner aus Arizona: Froh, wenn Trump weg ist
Manygoats selbst lebt seit 2003 in Dresden. Er hatte seine deutsche Ex-Freundin an der Universität in Arizona kennengelernt und war mit ihr nach Deutschland gezogen. Er ist Mitarbeiter des Spuren e.V., einem Dresdner Verein, der sich für die Völkerverständigung einsetzt - und von einem anderen Bürger der Stadt mit amerikanischen Wurzeln ins Leben gerufen wurde.
Der 51-Jährige lebt auch heute noch die Kultur seiner Vorfahren und Verwandten, spricht die indianische Navajo-Sprache und hält Vorträge an Schulen und in Begegnungszentren.
Zu Beginn der Pegida-Zeit mischte er sich auch während aufgeheizter Demonstrationen unter die Menschen und kam dabei mit vielen Leuten näher ins Gespräch. Bis heute habe er keine rassistischen Vorfälle in der Stadt erlebt, sagt er.
Trotzdem hat Manygoats eine eigene Erklärung dafür, wieso rassistisches Gedankengut bei erschreckend vielen Menschen in der heutigen Zeit fruchtet - unabhängig davon, wo sie leben: "Weiße verlieren ihre Privilegien. Sie denken, damit verlieren sie auch Macht und das bereitet ihnen Angst", sagt der 51-Jährige.

Bryan Rothfuss hat dafür noch eine andere Erklärung. "Es besteht global der Wunsch, in unsicheren Zeiten nach einer starken Führungspersönlichkeit zu suchen", sagt der bekennende Demokrat und Sänger an der Staatsoperette Dresden.
Rothfuss, eigentlich in Kiel geboren, ist Sohn amerikanischer Opernsänger. Die Kurzusammenfassung seiner Biografie liest sich so: Mit 16 gehen die Eltern zurück nach Pennsylvania, Rothfuss besucht das College und macht ein Auslandssemester in Wien.
"Bei einem Städtetrip war ich dann in Dresden. Der Aufbau der Frauenkirche nach den Bombardierungen hat mich berührt und tangiert einen als Amerikaner natürlich umso mehr", erzählt er. Vor zehn Jahren wird er an der Staatsoperette engagiert, lernt seine Frau kennen, eine Bautzenerin, gründet mit ihr eine Familie.
USA: "Immer auf der Jagd nach dem Geld"
Seitdem sei er "glühender Dresden-Fan". Doch sein politisches Interesse für die USA reißt nie ab. Rothfuss bereitet es Sorgen, dass es den Politikern in seinem Heimatland immer weniger gelinge, "informiert und gezügelt die Masse der Bevölkerung zu erreichen".
Selbst Barack Obama habe dies letztlich nicht geschafft. Viel leichter, aber auch viel gefährlicher sei es, wie Donald Trump "aus dem Bauch heraus" zu regieren. "Was in den USA seit den Wahlen passiert ist, ist Wahnsinn", sagt Rothfuss.
Er könne mit einem Teil seiner US-Verwandten nicht mal mehr sprechen, weil es immer wieder zu Konflikten komme. "Einer hat neulich zu mir gesagt, ich würde die falschen Nachrichten gucken", erzählt der 43-jährige Vater.

Dass Menschen anfällig für Fake News sind, das hat Rothfuss auch in seiner nicht mehr ganz so neuen Heimat Dresden erlebt. "Die Menschen im Osten haben erlebt, dass Systemwechsel möglich sind. Das macht sie einerseits kritisch, was gut ist. Das kann aber auch umschlagen", sagt Rothfuss.
Doch es gebe einen entscheidenden Unterschied: "In den USA gibt es einen Systemfehler. Politiker und Parteien sind immer auf der Jagd nach Geld. Und wer sich am provokantesten äußert, bei dem klingeln die Kassen", sagt der Sänger. Deshalb hätten sich viele Republikaner auch nicht gegen Trump zur Wehr gesetzt, glaubt er. Aus der Hoffnung heraus, ein Stück vom Kuchen abzubekommen.
"Michael Kretschmer hat mich sehr beeindruckt"
Die Trump-Ära, sie wird heute vorerst Geschichte sein. Aber was glauben unsere Dresdner? Wird sich dadurch auch für uns Deutsche etwas ändern? Georgi-Findlay und Rothfuss sind da - anders als Manygoats - vorsichtig.
"Es wird den neuen, alten Ton der Obama-Ära geben, freundlicher in den transatlantischen Beziehungen", sagt die TU-Professorin. Doch um auch international etwas zu bewirken, müssten die USA zuerst ihre innere Spaltung überwinden.
Bryan Rothfuss glaubt, dass die Bekämpfung der Corona-Pandemie in den USA jetzt an erster Stelle stehen wird. Doch eines verbinde Washington und Dresden auch hierbei: "Wir müssen danach neue Wege im Miteinander gehen, die Zerrissenheit beenden."
Und er hat dafür auch ein politisches Beispiel - aus Sachsen. "Wie Michael Kretschmer mit den Protestlern an seinem Gartenzaun umgegangen ist, das hat mich sehr beeindruckt", sagt Rothfuss.