Von der ABM-Kraft zur Grabungsexpertin

Dresden. Sie sieht sich noch am Rande der Grube stehen und weinen. Vor ihren Augen zerstörten Bagger in diesem Moment alles, wofür sie zuvor so hart gearbeitet hatte. Das glaubte Katrin Ruffani zumindest, damals Anfang der 90er-Jahre. "Meine Chefin hat mich dann in den Arm genommen und getröstet", sagt sie.
Es dauerte eine Weile, bis Katrin Ruffani lernte, dass ihr Werk mit dem Zuschütten der Gruben mitnichten zerstört wird. Was für die Ewigkeit bleibt, sind Zeichnungen, Beschreibungen und Fotos, die die Geschichte der Stadt fassbar werden lassen.
Der nach der Wende in Dresden einsetzende Bauboom brachte auch für die Archäologen gigantische Projekte mit sich. "Der Personalbedarf dafür war riesig", sagt Christoph Heiermann, Sprecher des 1991 gegründeten Landesamtes für Archäologie Sachsen. Nur mit eigenen Mitarbeitern sei das nicht machbar gewesen. Deswegen seien in dieser Zeit zahlreiche ABM-Maßnahmen geschaffen worden.
Auf einmal fand sich auch Katrin Ruffani auf einer solchen Baustelle wieder. "Ich hatte bis dahin noch überhaupt nichts mit Archäologie zu tun gehabt", erinnert sich die 53-Jährige. "Aber das war mir egal. Ich wollte einfach wieder arbeiten, wieder auf eigenen Füßen stehen."

1987 hatte die gebürtige Dresdnerin zunächst Zerspanungsfacharbeiter gelernt, obwohl ihr Herz für die Gärtnerei geschlagen hatte. Wegen ihrer Hautprobleme bekam sie dort aber keinen Platz. Kurz vor der Wende fand Katrin Ruffani dennoch Arbeit in einer Gärtnerei. Dann kamen ihr erstes Kind, die Wende und direkt danach ihr zweites Kind.
Ihr Betrieb wurde aufgelöst und beim Arbeitsamt hatte sie als zweifache junge Mutter lange Zeit schlechte Karten. Bis ihr 1993 die ABM-Stelle als Grabungshelferin angeboten wurde.
Die Ausgrabungen an der Kleinen und Großen Brüdergasse in Dresden waren das erste großflächige stadtarchäologische Projekt - und Katrin Ruffani war mittendrin. "Ich hatte das große Glück, dass ich damals in der Praxis viel lernen durfte", erinnert sie sich. So habe sie bald schon selbst Zeichnungen und Beschreibungen angefertigt, um ihre Arbeit zu dokumentieren. Ihre Chefin erkannte wohl ihr Talent.
Während die meisten anderen ABM-Kräfte nach Abschluss des Projektes wieder in völlig anderen Bereichen eingesetzt wurden, behielt Katrin Ruffani ihren Fuß samt Sicherheitsschuh in der Tür der Archäologie. 1993 wurde sie als Grabungsmitarbeiterin angestellt - projektbezogen, wohlgemerkt. In den Phasen dazwischen war sie mal arbeitslos, mal arbeitete sie als Zimmermädchen im Kempinski.
Von der Goldmünze bis zur Kleidernadel
"Aber ich konnte mich nie über zu wenig Anfragen beschweren", sagt sie. Seit den 90ern war sie regelmäßig gefragt, wenn es in und um Dresden neue Untergründe zu erforschen galt. So zum Beispiel unter dem Altmarkt oder 1999 vor dem Bau der Altmarktgalerie.
"Unter der Webergasse hat unser Team damals in einem Doppelkeller eine Dose mit einem Brief und 20 Goldmünzen gefunden", erinnert sie sich. "Das war schon etwas Besonderes." In dem Brief, der aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammte, bedankte sich eine Mutter bei ihrem Sohn für eine Flasche Wein.
Ein anderes Mal stieß sie auf außergewöhnlich gut erhaltenes gedrechseltes Holzgeschirr, das luftdicht abgeschlossen in Wasser auf seine Wiederentdeckung gewartet hatte. 2016 fand sie bei den Grabungen im Hof des Hotels Stadt Leipzig eine bronzezeitliche Kleidernadel, die wohl zuletzt um 1.500 vor Christus getragen worden war.
Abseits derartiger Höhepunkte ist es vor allem ihre Aufgabe, Mauern freizulegen und die Begrenzungen verschiedener Schichten zu erkennen. "Je tiefer wir graben, desto weiter reisen wir in der Zeit zurück und sehen, was die Geschichte hinterlassen hat."
Ihre eigene Geschichte brachte ihr 2005 ein drittes Kind. Diesmal blieb Katrin Ruffani drei Jahre lang zu Hause, wurde aber auch danach als inzwischen erfahrene Grabungsexpertin nur zu gern wieder vom Landesamt engagiert.

Nach etlichen weiteren Stationen ist sie nun seit einigen Tagen zum ersten Mal im Zwinger im Einsatz. Hier soll bis 2023 der Innenhof saniert werden - und natürlich dürfen zuerst die Archäologen ran. Neben Resten des Zwingergartens und Fundamenten der Festbauten aus dem 17. Jahrhundert und der alten Zwingergrotte steht auch die alte Stadtmauer im Mittelpunkt des Interesses.
Wie so oft wird Katrin Ruffani auch hier von neugierigen Passanten bei der Arbeit beobachtet. Ihre wichtigsten Werkzeuge sind ihre Spitzkelle und eine kleine Kohlenschaufel. Seltener kommt der Pinsel zum Einsatz.
Was oft so leicht und filigran aussieht, ist ein Knochenjob, wie sie sagt. "Wir sind bei jedem Wetter für neun Stunden draußen, auch wenn der Boden gefroren ist." Oft gebe es für die Grabungen einen immensen Zeitdruck, da die Bautrupps bereits ungeduldig warteten. Dazu komme das ständige Dröhnen der Bagger und das Schleppen der Eimer.
Dennoch hofft die 53-Jährige, dass sie diesem Job bis zur Rente treu bleiben kann. "Als Ungelernte habe ich mich hier über die Jahre reingefuchst", sagt sie. "Ich denke, darauf kann ich schon stolz sein."