Dieser Dresdner Neubau hat keine Angst vor Investoren

Dresden. Das Knallen des Sektkorkens muss im ganzen Rathaus zu hören gewesen sein. Fast verwunderlich, dass die Security keinerlei Notiz davon nahm. Doch es gab etwas zu Feiern für eine Gruppe Dresdner: Seit mehr als vier Jahren träumt sie davon, in Gemeinschaft zusammenzuleben, ohne die ständige Angst, dass der nächstbeste Investor die Mieten in ihrem Haus in unbezahlbare Höhen treibt.
Genau das ist inzwischen Alltag in Großstädten wie Dresden. Sozialer Wohnraum ist knapp. Wer die geforderten Mieten nicht zahlen kann oder will, der muss in die Peripherie ausweichen - und selbst dort sieht es inzwischen oft kaum besser aus.
Ein Haus, das allen gehört

Der Dresdner Verein Wohnkultur und seine Protagonisten - reichlich 20 Leute zwischen Baby und Mitte 40, davon die Hälfte Studenten - wollen dieser Entwicklung nun eine Idee entgegensetzen. Gemeinsam wollen sie das erste Neubauprojekt in Dresden im Rahmen des Mietshäuser Syndikats verwirklichen. Dieser 1992 in Freiburg gegründete Verein unterstützt bundesweit Gruppen, die Häuser kaufen oder bauen und selbst verwalten wollen. Das heißt in diesem Fall: zusammen planen, zusammen bauen, zusammen wohnen und zusammen Miete zahlen, ohne dass jemand damit Gewinn erwirtschaften muss.
Auf dem Weg zur Umsetzung ihres ambitionierten Plans sind sie nun einen großen Schritt vorangekommen: Am 12. Januar hat der Bauausschuss der Stadt einstimmig beschlossen, dass ein seit den 50er-Jahren unbebautes Grundstück auf der Vorwerkstraße in Friedrichstadt an die Projektgruppe verkauft werden soll.

Spekulanten waren hier bei der Vergabe ausnahmsweise von vornherein ausgeschlossen gewesen. Eine bewusste Entscheidung der Stadt mit Symbolwert, denn an zahlungskräftigen Interessenten hätte es nicht gemangelt.
"Was für eine Nachricht!", heißt es nun auf der Facebook-Seite des Wohnkultur-Teams. "Der Traum vom gemeinschaftlichen, sozialverträglichen und inklusiven Wohnen in der Friedrichstadt wird wahr für unser Projekt."
Jetzt muss es schnell gehen: "An diesem Mittwoch wird der Kaufvertrag unterschrieben, da allein das Ausschreibungsverfahren der Stadt Dresden 28 Monate gedauert hat und mittlerweile eine erneute Wertanpassung droht", sagt Thomas Mehlig. Der 31-Jährige ist einer der Mitstreiter der ersten Stunde im Wohnkultur-Verein. Der studierte Energietechniker genießt gerade seine Elternzeit und nutzt diese Monate außerdem dafür, mit seiner Familie umzuziehen. Es soll nur eine Übergangslösung werden.
Neubau für mehr als vier Millionen Euro
Als nächstes wird nun ein Architekturbüro beauftragt, gemeinsam mit der Gruppe in die konkrete Planung zu gehen. Dabei ist allerdings vieles schon klar. An der Straße soll ein Gebäude mit sechs Etagen entstehen. Im Garten soll der Komplex durch einen Dreigeschosser ergänzt werden. Von insgesamt 13 Wohneinheiten sind sieben als Sozialwohnungen konzipiert. Außerdem sind Gemeinschaftsräume, ein Stadtteilcafé, ein Nachbarschaftsgarten und ein Parkhaus für Fahrräder geplant.
Gesamtkosten des Projektes: rund 4,2 Millionen Euro. Das nötige Geld soll über Bankkredite, private Darlehen und Fördermittel aufgebracht werden. Nach aktuellem Zeitplan könnten auf dem 1.330 Quadratmetern großen Grundstück an der Vorwerkstraße ab 2023 die Bagger rollen.

Das angestrebte Zusammenleben nach dem Einzug hört sich nach einer heilen Welt im Kleinen an: Statt anonym nebeneinanderher zu leben, sollen hier die Grenzen zwischen den Wohnungen gesprengt werden. Die Menschen wollen gemeinsam im Garten arbeiten und ihre Kinder gemeinsam aufwachsen lassen. Teilweise nutzen sie sogar dieselben Badezimmer und Küchen.
Eigentümer des Komplexes ist eine eigene gegründete GmbH. Eine sogenannte Weiterveräußerungssperre verhindert, dass das Objekt an Investoren oder einzelne Bewohner verkauft werden kann. Alle Entscheidungen werden gemeinsam getroffen. Zieht jemand aus, geht das Stimmrecht an den Nachfolger über. Der Clou: Die einzelnen Mieten sind abhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Bewohner.
Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. "Natürlich gab es auch immer wieder Momente, in denen wir ganz starke Zweifel hatten, ob wir das alles stemmen können", sagt Thomas Mehlig. Doch erst vergangene Woche hätten sie sich wieder zusammengesetzt und beschlossen, dass sie das Ding jetzt durchziehen werden. Thomas und seine Mitstreiter sind sich sicher, dass es das Risiko wert es. Denn genau so wollen sie leben.
Mehr Informationen zum Projekt Wohnkultur gibt es unter www.wohnkultur.haus