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Dresdens 13. Februar: Hand in Hand gegen das Vergessen

Mit einer Menschenkette und Kerzen erinnert Dresden an die Zerstörung. Rechte Marschierer bleiben am Rand. Ein erste Bilanz des diesjährigen Gedenkens.

Von Henry Berndt & Alexander Schneider & Christoph Springer & Luisa Zenker & Christoph Pengel
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Mit einer Menschenkette gedachte Dresden vor der Frauenkirche der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg.
Mit einer Menschenkette gedachte Dresden vor der Frauenkirche der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. © dpa-Zentralbild

Als die Dresdner Glocken läuten, steht die Stadt für einen Moment still. Punkt 18 Uhr hatte sich die Menschenkette zwischen Neumarkt und Altmarkt über die Wilsdruffer Straße geschlossen. Rund 3.000 Dresdner durften zum 77. Jahrestag der Zerstörung Dresdens an der symbolischen Aktion mitwirken. Durch gelbe Bänder sollte dabei der Mindestabstand gewährleistet werden. Im vergangenen Jahr war die Menschenkette wegen der damals geltenden Corona-Beschränkungen noch erstmals seit 2010 abgesagt worden.

Bei seiner Rede in der Kreuzkirche fragte Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP): "Wofür steht Dresden, wenn die Generation der Zeitzeugen einmal nicht mehr da ist?". Darauf gelte es für die Zukunft gemeinsam eine Antwort zu finden. Für ihn sei die Menschenkette noch immer zeitgemäß und "ein mächtiges Bild". Die Kette sei mehr als ein Schutz, sie sei auch der Beweis dafür, dass die Dresdner für eine vielfältige, demokratische Gesellschaft einstehen. Zum Gedenken an die Opfer der Bombennacht wurden am Sonntag an der Frauenkirche Kerzen entzündet. Seit dem Nachmittag verteilte Robert Wasner Lichter für die Aktion "10.000 Kerzen für Dresden". Seit 42 Jahren stehe er an jedem 13. Februar mit einer Kerze an der Frauenkirche, sagt der 57-Jährige. Nicht zuletzt, "um die Stadt vor den Nazis zu schützen."

Längst ist der Jahrestag der Bombardierung Dresdens auch ein Tag des Streits um die Deutungshoheit geworden. Neben stillen Gedenkveranstaltungen gehören dazu auch weit weniger stille Demonstrationen samt Gegenprotesten. Zwischen 700 und 800 Neonazis trafen sich am Vormittag am Bahnhof Mitte. Die Polizei sperrte die umliegenden Straßen weiträumig ab. Auf einem Banner der Rechten war "Bombenholocaust" zu lesen. Im vergangenen Jahr hatte die Polizei noch ein Spruchband mit diesem Wort sichergestellt, weil der Verdacht der Holocaust-Leugnung bestand. Dieser habe sich jedoch nicht bestätigt, sagte Polizei-Sprecher Thomas Geithner. Nun will man das Transparent erneut prüfen lassen.

Aufmarsch von extremen Rechten am Zwinger.
Aufmarsch von extremen Rechten am Zwinger. © Sven Ellger

Einer Sitzblockade linker Gegendemonstranten auf der Maxstraße folgten weitere Blockadeversuche und Proteste. Allein durch die Anmeldung zahlreicher Veranstaltungen an prominenten Plätzen war der Aktionsradius der Rechten stark eingeschränkt worden. Ihre Demo endete nach einer Abschlusskundgebung auf der Könneritzstraße mit Klängen von Richard Wagner und Carl Orff. Letztlich blieb der Aufzug der Rechten aber eine Randnotiz.

Sittel: "Wie hätte ich gehandelt?"

Dafür sorgte auch ein Großeinsatz der Polizei, die von Beamten aus Bayern, Bremen, Hessen, Sachsen-Anhalt, Thüringen sowie der Bundespolizei unterstützt wurde. Insgesamt waren es an diesem Tag mehr als 1.800 Beamte, teilte die Polizei spät am Abend mit.

Die Einsatzwagen sammelten sich am Vormittag zunächst unter anderem am Bahnhof Neustadt und am Haus der Presse in der Ostra-Allee.

Die Vielfalt von Dutzenden Veranstaltungen und Aktionen in diesem Jahr war für die Dresdner unterdessen kaum mehr zu überblicken. Bei einem Gedenken auf dem Äußerem Matthäusfriedhof, auf dem nach 1945 niemand mehr begraben wurde, forderte der Historiker Justus Ulbricht, dass die "Faktenbasis des Gedenkens" erweitert werden müsse. Es gebe viele Opfer, über deren Leben nur wenig bekannt sei.

Zu den bekanntesten Initiativen gehörte die Rundfahrt zu Dresdner Friedhöfen, organisiert durch den Verein "Denkmalfort". Die Tour startete auf dem Heidefriedhof.Am ,,Trauernden Mädchen", dem Denkmal, das zuletzt zerstört und dann rechtzeitig zum 13. Februar wieder aufgebaut wurde, legten die Dresdner Ulrich Naake und Ute Brockhage Rosen ab. Für Naake habe dies eine besondere Bedeutung. "Wir kennen die Künstlerin", sagt er. Seine eigene Mutter sei 1945 in Dresden ausgebombt worden.

Über den Friedhof an der Spitzhausstraße in Kaditz und über den Neuen Katholischen Friedhof führte die Runde zum Alten Annenfriedhof, wo im Ehrenhain der Luftkriegstoten bereits zwei Kränze lagen. "Den Opfern des Alliierten Bombenterrors" war darauf zu lesen. Eine kleine Gruppe, mutmaßlich aus dem rechten Lager, verfolgte die Veranstaltung. Ordnungsbürgermeister Detlef Sittel (CDU) sprach über Trauer, Schuld und Verantwortung mit Blick auf die Vergangenheit: "Wie hätte ich gehandelt? Und wie handle ich in meiner Zeit?" Gleichzeitig kritisierte er sowohl die Position der Rechten als auch die der Linken. Die einen würden die historische Verantwortung ablehnen und die anderen sich moralisch überlegen fühlen.

Der sogenannte Mahngang Täter*innenspuren befasste sich in diesem Jahr speziell mit Rollenbildern im Nationalsozialismus und führte an dazu passenden Orten vorbei. Rund 300 Menschen begleiteten den Zug. An der früheren Knabenschule "Horst Wessel" in der Gerokstraße sprach der Schauspieler Oliver Simon vom Staatsschauspiel Dresden darüber, dass hier zu NS-Zeiten jedes Jahr 5.000 junge Menschen unterrichtet worden seien, und erinnerte an die völkische NS-Erziehung in der Berufsschule.

Trotz des großen Konfliktpotenzials verlief der Gedenktag in Dresden insgesamt weitgehend ruhig. Auf den Friedhöfen habe es keine Störungen gegeben, teilte die Polizei am Nachmittag in einer Zwischenbilanz mit. Allerdings habe man während der Demonstrationen vereinzelt Pfefferspray einsetzen müssen, da Gegner des Neonazi-Aufmarsches versucht hätten, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Gegen zwei Deutsche im Alter von 21 und 27 Jahren seien Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs eingeleitet worden. Gegen einen 24-jährigen Deutschen werde wegen Widerstandes gegen Vollzugsbeamte ermittelt.

Polizei setzt Kommunikationsteams ein

Die Polizei wies in einer spät am Abend veröffentlichten Mitteilung darauf hin, Kommunikationsteams eingesetzt zu haben, die durch ihre ständige Gesprächsbereitschaft Konflikten vorgebeugt und damit deeskalierend gewirkt hätten.

Dies gilt auch für den Abend, als etwa 200 linke Demonstranten auf die AfD am Altmarkt trafen, die sich dort für den späten Abend mit einer Kranzniederlegung angemeldet hatte. Nach der AfD legten auch die Gegendemonstranten noch Kränze nieder. Aus Protest gegen die "geschichtsverfälschende Inszenierung" bei der von den Rechtspopulisten angezeigten Versammlung würden auch Kränze für alle Opfer der Nationalsozialisten abgelegt, twitterte Dresden Nazifrei. Leider müsse das an der Seite der "tiefbraune Demagogen von heute" geschehen.

Es waren dann wieder die Glocken, die dem Abend vor allem Würde gaben. Ihr Läuten sollte von 21.45 Uhr bis 22 Uhr an die erste Angriffswelle erinnern, die am 13. Februar 1945 zu der Zeit über die Stadt hereingebrochen war.