Dresden
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Schizophrenie bedeutet lebenslänglich

Er hat einem Mann den Kiefer gebrochen und wollte seine Mutter vom Teufel befreien. Bestraft werden kann er für die Folgen seiner Psychosen jedoch nicht.

Von Alexander Schneider
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Das Landgericht Dresden entscheidet auch über die Unterbringung von Tätern, die zwar gefährlich, aber aufgrund ihrer Krankheit nicht schuldfähig sind. Ein 32-Jähriger hat die Richter nun überzeugt, dass er seine Krankheit jetzt im Griff hat.
Das Landgericht Dresden entscheidet auch über die Unterbringung von Tätern, die zwar gefährlich, aber aufgrund ihrer Krankheit nicht schuldfähig sind. Ein 32-Jähriger hat die Richter nun überzeugt, dass er seine Krankheit jetzt im Griff hat. © Rene Meinig (Symbolbild)

Dresden. Christian (*) ist 32 Jahre alt, ein gelernter Physiotherapeut, der schon lange nicht mehr in seinem Beruf arbeiten kann. Christian ist psychisch krank, er leidet an paranoider Schizophrenie und hat inzwischen einige Episoden mit wahnhaften Halluzinationen hinter sich, in denen er zur Gefahr für sich und andere wurde. Nun musste das Landgericht Dresden in einem sogenannten Sicherungsverfahren über seine Unterbringung in der einer psychiatrischen Klinik entscheiden.

Es war ein bemerkenswerter Prozess, was vor allem an der Offenheit des Betroffenen lag. Er ermöglichte dem Gericht einen Blick in sein Inneres. Es kommt zu Sicherungsverfahren, wenn die Staatsanwaltschaft davon ausgeht, dass ein mutmaßlicher Täter nicht schuldfähig ist, aber weiterhin eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. In dem Prozess geht es dann neben der Feststellung der Vorwürfe und der Schuldunfähigkeit um die Unterbringung des Betroffenen.

Christian muss sich vorhalten lassen, einen Mann schwer verletzt zu haben. Am 13. April 2019, einem Sonnabend, hatte er sich abends in einem Dresdner Markt an der Pillnitzer Straße einschließen lassen. Als zwei alarmierte Mitarbeiter gegen 22 Uhr kamen, um nach dem Rechten zu sehen, entdeckten sie den 32-Jährigen, der ihnen in dem Geschäft entgegenkam und dann die Flucht ergriff. Ein 40-Jähriger folgte ihm nach draußen – und wurde von einer Bierflasche im Gesicht getroffen, die Christian aus wenigen Metern Entfernung hinter sich geworfen hatte.

Flasche zertrümmert Kiefer und Zähne

Die Flasche zertrümmerte mehrere Zähne des 40-Jährigen und brach ihm den Unterkiefer. Der Verletzte lag länger in der Klinik, musste mehrmals operiert werden. Noch heute hat er Probleme beim Essen, manchmal läuft ihm Flüssiges aus dem Mund. Das Taubheitsgefühl wird wohl dauerhaft bleiben, haben ihm die Ärzte gesagt.

Im Ermittlungsbericht der Polizei ist vermerkt, dass Christian in jener Nacht wieder zum Tatort zurückgekehrt ist. Er habe sich entschuldigt und sei überrascht und bestürzt gewesen, als er von den Verletzungen des Geschädigten erfuhr. Polizisten erleben es nicht oft, dass Einbrecher noch bei der Polizeiarbeit am Tatort auftauchen. Auch für die verantwortliche Kommissarin war es das erste Mal.

Sie beschreibt Christian, den Verdächtigen, als "kooperativ" und "geständig". Er habe kein Alkohol im Blut gehabt, wohl aber unter Cannabis-Einfluss gestanden. Nach der Vernehmung wurde Christian von einer Streife nach Hause gefahren und bis zu seiner Wohnungstür begleitet. Doch die paranoide Episode hielt weiter an.

Am nächsten Abend besuchte Christian seine Eltern im Dresdner Norden und ging dort auf seine Mutter los, weil er sich eingebildet hatte, die Frau sei vom Teufel besessen. Er hat sie umklammert, an den Haaren gezogen. Nachdem sich die lautstarke Auseinandersetzung nach draußen in den Garten des Einfamilienhauses verlegt, und auch Christians Vater versucht hatte, die beiden zu trennen, landete die Frau in einer Rosenhecke. Erst dann rannte der besessene Sohnemann weg.

Zurückhaltend, aber offen

Christian macht in dem Gerichtsverfahren einen zurückhaltenden, aber offenen Eindruck. Das Gericht merkt schnell, dass er sich mit seiner Geschichte und den Vorwürfen auseinandergesetzt hat und auch darüber sprechen kann. Wenn er mal stockt, schickt ihn die Vorsitzende Richterin Monika Müller zurück auf die Spur. Auch für das Gericht ist es ungewöhnlich, wie offen Christian erzählt. „Enorm“ wird es die Vorsitzende in ihrer Urteilsbegründung nennen.

An jenem Sonnabend habe er mit einem Freud zu Hause Fußball geschaut. „Ich glaube Dortmund gegen Mainz“, sagt Christian. Heute ist ihm klar, dass er damals in einer paranoiden Phase war. Schon am Vortag sei es ihm nicht gut gegangen, und er habe halluziniert.

„Ich habe Stimmen gehört, eine deutliche Macht“, sagt er, „ich habe mich bedroht und beobachtet gefühlt“. Er hätte schon da seine Eltern oder die Klinik informieren sollen, sagt Christian heute selbstkritisch. Aber damals, auch das wird später klar, hatte es ihm vollkommen an einer Krankheitseinsicht gefehlt.

"Ich habe gehofft, dass er mich nicht kriegt!"

Beim Fußballschauen am Sonnabend „fing das wieder an“, berichtet Christian. Ihn beschäftigte ein rotes Kreuz, das ihm auf der Tasche seines Kumpels aufgefallen war. Ein Abzeichen. „Ich dachte, er ist ein Kämpfer und will mir etwas antun“, sagt Christian, spricht von den Templern, einem der ersten Ritterorden. Er sei aus seiner Wohnung geflüchtet. „Ich habe gehofft, dass er mich nicht kriegt.“ Er sei durch die Stadt gerannt.

„Wie es der Zufall wollte, ging die Tür auf, als ich am Cap-Markt vorbeilief“, sagt Christian. Er sei hineingegangen. „Es war dunkel, niemand war da.“ Er habe sich in der Kühlkammer versteckt. Das Surren der Lüftung muss ihn beruhigt haben. Er habe sich endlich wieder sicher gefühlt. „Die Kühlung, die Dunkelheit, das hat mir geholfen. Ich habe das als ideales Versteck angesehen.“ Christian muss etwa zwei Stunden in dem Kühlhaus des Lebensmittelmarktes gewesen sein.

Videoauswertungen belegten, dass er in den Laden geschlüpft ist, als die Mitarbeiter im Begriff waren, ihren Markt zu schließen. Gegen 22 Uhr ging bei der Marktleiterin die Meldung der Alarmanlage ein, woraufhin sie zwei Mitarbeiter bat, mit dem Taxi in die Pillnitzer Straße zu fahren. Sie alle waren wohl nicht von einem Einbruch ausgegangen, in der Vergangenheit hatten Bewegungsmelder schon mehrmals ausgelöst, etwa weil eine Packung Toastbrot aus dem Regal gefallen war.

Dann habe er Hunger bekommen, sagt Christian. Er habe in dem Kühlhaus Camembert und Wiener gegessen. Als seine Panik weg war, habe er sich wieder hinausgetraut. In dem Moment habe er sich zufrieden und glücklich gefühlt. „Ich werde nicht mehr verfolgt.“ Er habe sich eine Bierflasche geöffnet und einen Schluck getrunken. Und er habe ein Päckchen Kaffee genommen, das ihn an etwas erinnert habe. Weil ihm kalt war, habe er sich auch eine grüne Cap-Markt-Jacke angezogen. Dann habe er gehört, wie die Tür aufging und zwei Leute in den Markt kamen. „Ich wollte ihnen erzählen, was passiert ist.“

Tragische Folgen

Das war eine 38-jährige Verkäuferin und ihr 40-jähriger Freund. Beide arbeiten tagsüber dort. Nun hatte sie die Marktleiterin geschickt. An der großen Glastür vorne hatten sie nichts Ungewöhnliches bemerkt, also gingen sie zum Hintereingang, der ebenfalls verschlossen war, wie es sich gehört. Eigentlich hätten sie gehen können, doch sie wollten die Alarmanlage wieder scharf stellen. Und so kam es dann doch zu der Konfrontation mit den tragischen Folgen.

„Ich hab das Bier und den Kaffee abgestellt“, sagt Christian. Doch er sei nicht dazu gekommen, den beiden Mitarbeitern seine Lage zu erklären. Die Frau habe sofort gerufen, die Polizei zu holen. Er habe Panik bekommen, sich das Bier geschnappt und sei weggerannt.

Die 38-Jährige schildert diese Situation ähnlich. Doch mit dem, was Christian gesagt habe, habe sich nichts anfangen könne. Er habe gesagt: „Ich bin ein Freund und ich habe mein Los gefunden.“ So will es die Zeugin verstanden haben. Möglicherweise habe Christian auch „Ich habe das Rätsel gelöst“ gesagt.

Der Mann habe ihn festgehalten, sagt Christian. Er habe sich losgerissen und sei weggerannt. Beim Weglaufen habe er die Bierflasche über die Schulter nach hinten geworfen. Er habe nicht erwartet, jemanden zu treffen. Möglicherweise habe er beabsichtigt, nicht weiter verfolgt zu werden.

Doch der 40-Jährige, er nimmt als Nebenkläger an dem Verfahren teil, hatte überhaupt nicht die Absicht, den Täter zu verfolgen. „Ich wollte sehen, in welche Richtung er wegläuft“, um es der Polizei sagen zu können. Der schwer verletzte Mann sagte, er habe den Mann im Freien gar nicht mehr gesehen. Plötzlich sei die Flasche geflogen gekommen.