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Auf den Spuren der Lehrmeisterin: Morgensterns große Ziele

Hürdenläuferin Vivienne Morgenstern vom DSC will bei der U20-WM in Cali einen Schritt näher an die Bestzeit ihrer Trainerin Claudia Marx herankommen.

Von Alexander Hiller
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Vivienne Morgenstern besitzt das richtige Gefühl für die Hürden – sagt ihre Trainerin.
Vivienne Morgenstern besitzt das richtige Gefühl für die Hürden – sagt ihre Trainerin. © kairospress

Dresden. Die Frage liegt auf der Hand. Warum tut sich eine junge Frau das an? Dieses das, das ist die brutalstmögliche Sprintstrecke, die die Leichtathletik derzeit zu bieten hat: 400 Meter Hürden. Vom ersten bis zum letzten Meter Vollgas – und dann auch noch zehn Hindernisse überwinden.

Die Antwort von Vivienne Morgenstern klingt plausibel: „Das ist das, was ich relativ gut kann“, sagte die 19-Jährige vom Dresdner SC. Die Blondine kürte sich vor zwei Wochen zur deutschen Meisterin der U20 – und löste damit endgültig ihr Ticket für die Weltmeisterschaft im selben Altersbereich.

In 58,36 Sekunden absolvierte Morgenstern die Stadionrunde in einer Disziplin, die bei der WM der Aktiven in ein neues Zeitalter katapultiert wurde: Die US-Amerikanerin Sydney McLaughlin stürmte in 50,68 Sekunden und damit einem Fabelweltrekord ins Ziel. Eine Zeit, wie sie über die Stadionrunde seit 2001 keine deutsche Läuferin erzielt hat – ohne Hürden.

Wenn das Laktat in die Beine schießt

Es wäre aber fatal und unfair, das Dresdner Talent an diesem unwirklich erscheinenden Weltrekord zu messen. „Die Weltmeisterin läuft einen 14-Schritte-Rhythmus zwischen den zehn Hürden. Dafür braucht man körperliche Voraussetzungen, die hat Vivienne noch nicht“, sagt ihre Trainerin Claudia Marx. Denn ihr Schützling, der bis zur vierten Hürde einen 15er-Rhythmus schafft, hat sich erst vor vier Jahren für den langen Hürdensprint entschieden.

„Ich habe mich mit meinem Willen durchgesetzt, weil ich auf den ersten Metern nicht sooo schnell bin. Aber das wird besser“, erklärte Morgenstern ihre Wahl zwischen der kürzeren 100-m-Hürdenstrecke und ihrer jetzigen Disziplin. Von der verspricht sie sich persönlich ihre größten Erfolgschancen. Allerdings gehen die mit enormen Belastungen einher. „Nach dem Zieleinlauf sind die ersten 15 bis 20 Minuten schon ein Kampf, meistens“, sagt die gebürtige Dresdnerin. „Ab 300 Meter schießt dir das Laktat in die Beine, danach wird es noch schlimmer“, erzählt sie.

Dennoch freut sie sich auf ihre erste internationale Herausforderung, die U20-WM im kolumbianischen Cali, die am 1. August beginnt und zu der sie von ihrem DSC-Kollegen Pascal Boden (Dreisprung) begleitet wird. „Ich sehe das ein bisschen als Abenteuer, habe mein Zwischenziel mit dem Ticket nach Cali erreicht. Ich freue mich auf die Erfahrung mit dem deutschen Team“, erklärt die Dresdnerin.

Bis zur vierten Klasse Turnerin

Deren sportlicher Fokus lag von der 1. bis zur 4. Klasse auf einer anderen anspruchsvollen Sportart: „Ich war Turnerin beim DSC auf Leistungsebene, bin aber irgendwann zu groß geworden, musste mich nach Alternativen umschauen – das war die Leichtathletik“, erinnert sich Vivienne Morgenstern. Einen Flickflack, einen Handstützüberschlag rückwärts, beherrscht die 19-Jährige heute noch im Schlaf.

Und diese Grundausbildung kommt ihr zugute. „Wir haben Schritt für Schritt die Umfänge und auch die Intensität gesteigert. Die Energie, die sie da reinsteckt, ist bewundernswert“, betont Trainerin Claudia Marx, die zwischen 1999 und 2010 erst zu den besten deutschen 400-Meter-Läuferinnen zählte, nach einem Umstieg dann über 400 Meter Hürden.

Die Bestzeit der heute 43-Jährigen von 54,80 Sekunden zählt zu den zwei schnellsten Zeiten einer deutschen Läuferin über diese Strecke in den letzten 20 Jahren. „Sie hat dieses Gefühl für das Hindernis und Distanzverhalten zur Hürde viel, viel besser, als ich es jemals gekonnt hätte. Das ist schon beeindruckend“, erklärt die gebürtige Berlinerin. „Es macht unheimlich viel Spaß, mit ihr zu arbeiten, Vivi wächst immer mehr, sie ist ein Trainingstier, kann aber im Wettkampf genau das abrufen“, unterstreicht die Trainerin und sieht noch jede Menge Potenzial in Morgenstern.

Nummer 20 der Weltrangliste

Vielleicht ist diese eines Tages in der Lage, den Bestwert ihrer Lehrmeisterin anzugreifen, dann würde sie zur erweiterten europäischen Spitze zählen. Ihre Zuwachsraten waren zuletzt enorm. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich Morgenstern um anderthalb Sekunden verbessert. Die Entwicklung wird nicht in solchen Quantensprünge weitergehen. „Bei der Hürde geht es echt schnell, aber man muss sich das alles hart erarbeiten“, weiß die Athletin, die im Herbst nach ihrem erfolgreichen Abitur ein BWL-Studium beginnen wird.

Doch zunächst einmal ruft der sportliche Vergleich mit der gleichaltrigen Weltklasse. Zur U20-WM tritt Vivienne Morgenstern mit ihrer Bestzeit als Nummer 20 der Weltrangliste an. Die Weltbeste – die Schwedin Moa Granat – ist allerdings nur knapp eine Sekunde schneller (57,12) als die Dresdnerin. „Ich habe zehn Ziele, das sind die zehn Hürden. Ich will die WM genießen, möchte schon ins Halbfinale kommen, einfach das abrufen, was ich kann.“