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Fälschungen: Arbeiten von TU-Forscherin werden untersucht

Wer in Dresden hatte bei der Einstellung der Wissenschaftlerin bereits etwas von den früheren Manipulationen in den Niederlanden gewusst?

Von Stephan Schön
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Die Dresdner Uni bekommt aus dem niederländischen Leiden ein Problem, und kann fast nichts dagegen tun.
Die Dresdner Uni bekommt aus dem niederländischen Leiden ein Problem, und kann fast nichts dagegen tun. © Christian Juppe

Die TU Dresden hat sich erneut mit einem Fall von Manipulation und Verfälschung wissenschaftlicher Ergebnisse herumzuschlagen. Es handelt sich um medizinische Daten in psychologischen Studien und Veröffentlichungen. Sächsische.de hatte darüber am Dienstag berichtet. Das Problem dabei, es geht nicht um die TU und jetzt, es geht um die Vergangenheit der jetzigen TU-Forscherin.

Lorenza C. ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der TU Dresden. Sie hatte Studien durch Weglassen und Hinzufügen von Datensätzen sowie Versuchspersonen manipuliert. Die wissenschaftliche Forschungsmethodik wurde im laufenden Prozess teils so verändert, dass letztlich das gewünschte Ergebnis auch entstand. Zu diesen Ergebnissen kommen mittlerweile drei Abschlussberichte von Untersuchungskommissionen. Diese allerdings stammen nicht aus Dresden, sondern aus den Niederlanden. Diese Fälschungen waren an der Universität Leiden geschehen. Dort galt sie als ehrgeizige und sehr erfolgreiche junge Wissenschaftlerin. Vielleicht zu ehrgeizig, sodass sich ihre wissenschaftliche Arbeitsweise diesem Zwang unangemessen beugen musste.

Es waren drei mutige Whistleblower, die all dies 2018 an der Uni Leiden aufzudecken begannen. Gegen viele Widerstände kam es letztlich zu Untersuchungen, berichten sie jetzt in einem Interview des Leidener Uni-Magazins Mare. Die erste Untersuchung der Uni brachte bereits Fälschungen ans Licht. Lorenza C. protestierte und erreichte eine erneute Überprüfung. Diesmal durch eine stärker extern besetzte Untersuchungskommission, ähnlich wie es sie in solchen Fällen auch in Deutschland gibt. Das Ergebnis war dasselbe: Wissenschaftliche Arbeiten waren bewusst verändert worden.

Zwei Veröffentlichungen müssen zurückgenommen werden. Das war 2019. Für die TU Dresden ist das bis dahin völlig uninteressant, hätte es nicht genau in jener Zeit diese Bewerbungen gegeben. Lorenza C. bewarb sich gemeinsam mit ihrem Mann, bis dahin Professor ebenfalls in der Psychologie der Uni Leiden.

Es war genau jene Zeit, als die ersten Untersuchungen für die Forscherin in keine gute Richtung liefen. Es sieht alles wie eine Flucht aus Leiden aus, um eine neue wissenschaftliche Heimat schnell zu finden, bevor ein belastendes Gutachten das vielleicht unmöglich macht. Von der Wissenschaftlerin selbst gibt es keinen Kommentar dazu.

Im Vorstand des Uniklinikums und im Dekanat der Medizinischen Fakultät war all dies nicht bekannt, bis Donnerstag vergangener Woche zumindest, so die Antwort an die SZ. Auch die Rektorin der TU Dresden war dazu in zwölf Punkten angefragt worden. Es gibt als Antwort indes nur eine allgemeine "Stellungnahme der TU Dresden" dazu: "Bevor diese Untersuchungskommission in Leiden ihre Arbeit aufgenommen hatte, wurde die Wissenschaftlerin im Oktober 2019 an der TU Dresden als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Medizinischen Fakultät eingestellt", heißt es. "Gleichwohl war zum Zeitpunkt der Einstellung gerüchteweise bekannt, dass es Vorwürfe gegen die Wissenschaftlerin gab und möglicherweise an der Universität Leiden ein entsprechendes Prüfverfahren eröffnet werden könnte. Dessen tatsächliche Einleitung und der Ausgang waren zu diesem Zeitpunkt offen", heißt es in dem Statement weiter.

Unter spezieller Beobachtung

An der TU Dresden war man zumindest gewarnt. Die Wissenschaftlerin stand daraufhin unter spezieller Beobachtung. Die TU habe das wissenschaftliche Tätigkeitsfeld der Wissenschaftlerin "aufgrund des möglichen Verfahrens eng definiert und kontrolliert", heißt es im Uni-Statement weiter. "Seit Beginn ihrer Tätigkeit an der TU Dresden sind keine Meldungen über wissenschaftliches Fehlverhalten der betreffenden Wissenschaftlerin bekannt geworden oder gemeldet worden."

Nach dem Wechsel von Lorenza C. nach Dresden war für die Uni Leiden die Sache indes keineswegs abgeschlossen. Die Untersuchungen gingen dort weiter, berichten übereinstimmend das Hochschulmagazin Mare, als auch inzwischen überregionale Medien in den Niederlanden.

Es gab eine dritte Begutachtung, nun zu ihrer gesamten wissenschaftlichen Arbeit mit mehr als 170 Veröffentlichungen. Die Kommission der Universität Leiden prüfte davon 53 wissenschaftliche Veröffentlichungen. Diese Auswahl war nicht willkürlich, sondern es waren jene Arbeiten, bei denen unabhängiger Zugang zu den Daten bestand und eine Überprüfung gut möglich war. In 15 Fällen wurden erhebliche Mängel festgestellt. Sieben der Veröffentlichungen müssen nun zurückgezogen werden, weil sie falsch sind. Acht weitere sind praktisch wissenschaftlich wertlos durch bewusste Veränderungen. Die Anfragen der SZ für eine Stellungnahme zu den Vorwürfen ließ Lorenza C. bisher unbeantwortet.

Ein in weiten Teilen anonymisierter dritter Untersuchungsbericht erschien letztlich im November 2021. Der sei in aller Stille von der Universität Leiden auf deren Website veröffentlicht worden, erklärt die Whistleblowerin Laura Steenbergen in Mare. "Alle waren davon ausgegangen, dass dieser Fall abgeschlossen sei und wir bereits alles wüssten. Keiner meiner direkten Kollegen schien zu wissen, dass die Ermittlungen noch im Gange waren."

Lückenlose Aufklärung

Die Dresdner Universitätsmedizin will nun tätig werden. "Wir sind an einer lückenlosen Aufklärung der Vorwürfe interessiert", heißt es auf die Anfrage der SZ in der gemeinsamen Antwort vom Vorstand des Universitätsklinikums und der Dekanin der Medizinischen Fakultät. "Dazu werden wir selbst interne Untersuchungen auf den Weg bringen sowie die Aktivitäten an der TU Dresden nach Kräften unterstützen. Damit möchten wir eine vollumfängliche und transparente Aufarbeitung gewährleisten. Wissenschaftliches Fehlverhalten wird an der Hochschulmedizin Dresden nicht geduldet."

Die TU als solche jedoch macht in ihrem Statement schon mal klar, dass es da ganz enge Grenzen gibt: "Da sich die Untersuchungsergebnisse auf die Zeit der Wissenschaftlerin an der Universität Leiden beziehen, liegen mögliche Konsequenzen primär bei der dortigen Universität."

Damit ist die Universität Leiden wieder am Zug, die Dinge weiterzuverfolgen. Was sie machen könnte, oder auch lässt. Dresden kann ihr dies nicht vorschreiben.