Was sagt der Gutachter zum Betrug des TU-Professors?

Es sollte eine der größten bundesweiten Studien zur besseren Betreuung von Psychiatrie-Patienten werden. Geleitet von Hans-Ulrich Wittchen, damals noch Professor und Institutsdirektor an der TU Dresden. Doch die Studiendaten wurden gefälscht und Mitarbeiter unter Druck gesetzt. Zu diesem Schluss, kommt eine Untersuchungskommission unter der Leitung des Rechtswissenschaftlers Prof. Hans-Heinrich Trute. Es gehe um wissenschaftliches Fehlverhalten. Trute gab SZ-Wissenschaftredakteur Stephan Schön dazu sein erstes Interview.
Herr Professor Trute, Ihre Untersuchungskommission hat zwei Jahre lang nachgeforscht, 310 Seiten Bericht geschrieben und dazu noch Empfehlungen für die TU Dresden erarbeitet, sind Sie froh, dass das alles jetzt vorbei ist?
Ja sicher, es ist eine große Erleichterung, dass dies jetzt erst einmal für uns zumindest abgeschlossen ist. Nachfragen werden noch kommen, aber der Abschlussbericht steht. Es ist die insgesamt 34. Version.
Warum 34 Versionen?
Wir hatten viele Dokumente gesichtet und Gutachten. Dazu haben die Hinweisgeber und Herr Wittchen Stellungnahmen und neue Dokumente übermittelt – insgesamt ein sehr umfangreiches Material.

Hatten Sie zu Beginn annähernd geahnt, in welcher Dimension hier Betrug und Fälschungen stattgefunden haben?
Nein, das hat sich erst im Laufe der Zeit als Erkenntnis herausgestellt. Mit immer neuen Daten und Hinweisen. Dass es ein etwas schwierigerer Fall werden würde, war aus den Ausgangsinformationen ersichtlich. Aber dass es am Ende diesen Umfang annimmt, das hat niemand geahnt. Wir waren immer wieder aufs Neue überrascht.
Kannten Sie Herrn Wittchen noch aus Ihrer Dresdner Zeit als TU-Prorektor?
Ich kann mich an keine Begegnung mit ihm erinnern.
Sind Ihnen ähnlich krasse Fälle von wissenschaftlichem und auch menschlichem Fehlverhalten bekannt?
Große Fehlverhaltensverfahren wie dieses gibt es in Deutschland immer mal. Aber so etwas ist schon eher eine Ausnahme.
Wie schwer sind die Verfehlungen von Herrn Wittchen?
Ergänzend zu unserem Bericht möchte ich mich da nicht äußern. Es ist ja auch in Ihrer Zeitung deutlich über die Ergebnisse berichtet worden.
Es geht um erfundene Daten, um gefälschte Unterschriften, veränderte Protokolle und „kontrafaktische“ Aussagen von Herrn Wittchen – Fake News also. Und auch um den nicht akzeptablen Umgang mit Mitarbeitern. Ist damit alles aufgedeckt? Ist da nicht weiteres Fehlverhalten zu erwarten bei Studien und im Umgang mit Mitarbeitern?
Wir hatten einen konkreten Fall vor uns. Wir als Kommission haben daher andere Dinge nicht betrachtet wie zum Beispiel die finanziellen Vorgänge. Das ist Aufgabe anderer Institutionen.
Welche Institutionen meinen Sie?
Nun, etwa die Universität und die GWT (Gesellschaft für Wissens- und Technologietransfer der TU Dresden, d. Red.). Und die Rektorin der Universität hat ja auch schon die Prüfung strafrechtlicher, zivilrechtlicher und dienstrechtlicher Konsequenzen angekündigt. Hinweise darauf, dass dies nötig werden könnte, gibt es im Bericht.
Dann beginnt ja jetzt alles erst.
So ist es. Die Universität wird entscheiden, was geschieht. Wie ich die Rektorin verstanden habe, ist sie auch schon dabei. Wir haben Empfehlungen gegeben, aber das gehört zum vertraulichen Teil des Berichts, der nur der Uni-Leitung vorliegt. Das Handeln liegt jetzt allein bei der Universität und nicht mehr bei der Kommission.
Was hat Sie bei den Untersuchungen eigentlich stärker erschüttert, der wissenschaftliche Betrug oder das menschliche Fehlverhalten von Herrn Wittchen?
Das menschliche Leid, das bei solchen Untersuchungen oftmals zutage kommt, ist ein sehr belastender Faktor. Belastend ist die Zeit der Untersuchung vor allem aber für diejenigen, die sich dazu entschlossen haben, das Fehlverhalten öffentlich zu machen, und natürlich auch für den eines Fehlverhaltens Beschuldigten. Die Hinweisgeber sind dabei in der schwächsten Position. Ich habe Verfahren erlebt, bei denen mitten in der Untersuchung diese dann abgebrochen wurde. Weil die Hinweisgeber dem Druck nicht mehr standhalten konnten. Das ist kein guter Zustand.
Ihrem Untersuchungsbericht zufolge wurde auch von Herrn Wittchen mehrfach massiver Druck auf die Whistleblower ausgeübt. Wurden diese denn von der TU ausreichend geschützt?
Ich denke ja. Da ist im Laufe der Untersuchung schon etwas unternommen worden. Natürlich ist kein Verfahren perfekt. Die Situation für Whistleblower ist ganz generell in Deutschland eine schlechte. Wir haben insbesondere im Wissenschaftssystem keine wirklich guten Regelungen für den Umgang mit solchen Personen. Das EU-Recht hat dies zwar etwas verbessert, aber nicht grundlegend. Es gibt hierzulande ein gewisses Zögern, zu neuen rechtlichen Regeln zu kommen. Das kann nicht die Universität allein regeln, das muss letztlich gesetzlich neu geregelt werden.
Reagiert die TU Dresden ausreichend auf den Wissenschaftsbetrug?
Ich glaube schon, dass sich hier etwas ändern wird. Die Rektorin hat ja bereits einiges für die TU angekündigt ...
... eine digitale anonyme Plattform für Whistleblower zum Beispiel.
Ja, das ist sicherlich eine gute Idee. Und es ist noch mehr geplant, wozu aber die Universität selbst etwas sagen sollte, nicht ich.
Das Risiko der Anonymität wäre: Es öffnen sich Möglichkeiten für Verleumdung aus Missgunst und Konkurrenz.
Das ist zweifellos ein oftmals thematisiertes Problem. Aber in all den vielen Fällen von Anzeigen gegen Fehlverhalten, mit denen ich zu tun hatte, gab es nicht einmal diese Motivation. Vielleicht spielte Missgunst bei dem einen oder anderen Verfahren eine Rolle, was ja aber nicht heißt, dass die Vorwürfe nicht doch berechtigt waren.
Ihr Abschlussbericht spricht die Whistleblower der TU ganz klar von Missgunst und Argwohn frei. Aber zurück zur Untersuchung: Zwei Jahre hat es gedauert, das ist extrem lang.
Ein halbes Jahr hatte ich anfangs geschätzt. Aber dann kamen immer neue Dinge hinzu. Die komplette Akteneinsicht haben wir erst Anfang 2020 bekommen. Und dann mussten diese Akten ja gesichtet werden.
Die Universität, das Institut und die GWT haben Ihre Arbeit also behindert?
Nein, durchaus nicht. Wir mussten ja überhaupt erst einmal herausfinden, welche von diesen vielen Akten wir brauchen. Wo lagern wir die, und wie schützen wir diese vor nachträglichen Veränderungen. Dazu haben dann Gerichtsprozesse stattgefunden zwischen Herrn Wittchen, der GWT und der TU Dresden. Es hat gerichtliche Entscheidungen gegeben, und erst dann konnten wir die Akten letztlich einsehen.
Sind Sie bisher selbst von Herrn Wittchen verklagt worden?
Nein. Und in meiner ganzen langjährigen Tätigkeit in diesem Bereich bin ich überhaupt nur ein einziges Mal verklagt worden. Es ging für uns aus.
Interview: Stephan Schön