Was folgt für die TU Dresden im Betrugs-Skandal?

Der Untersuchungsbericht zu manipulierten Daten in einer großen bundesweiten Klinikstudie liegt seit vergangener Woche vor. Zwei Jahre lang hatte eine externe Expertenkommission zahlreiche Zeugen gehört und Akten geprüft. Jetzt steht zweifelsfrei fest: Der verantwortliche Wissenschaftler der TU Dresden, Psychologieprofessor Hans-Ulrich Wittchen, hat in großem Umfang und vorsätzlich Daten gefälscht. Die Uni-Leitung der TU hatte die Untersuchung in Auftrag gegeben, nachdem Wistleblower von krassen Unregelmäßigkeiten berichtet hatten. Die Aufklärung dieses wissenschaftlichen Fehlverhaltens wurde letztlich von Hans-Ulrich Wittchen massiv behindert. Nachträglich hat er Dokumente verändert, um zu verschleiern, so der Bericht. Der Umgang mit seinen Mitarbeitern ist zudem fernab von einem akzeptablen Stil. Detailliert dokumentiert und beschreibt die Untersuchungskommission, was alles vorgefallen ist. Dieser 310 Seiten starke Untersuchungsbericht liest sich wie ein Krimi. SZ-Wissenschaftredakteur Stephan Schön sprach am Freitag darüber mit der Rektorin der TU Dresden, Prof. Ursula M. Staudinger.
Frau Professorin Staudinger, Sie haben an zahlreichen Institutionen und Hochschulen geforscht, in Deutschland und in den USA. Haben Sie etwas Ähnliches wie diese Fälschungen und auch solche Erpressungen schon einmal erlebt?
Nein, ich habe so etwas bisher noch nicht erleben müssen. Es war für mich tief erschütternd, weil die wissenschaftliche Redlichkeit das Herzstück unseres Tuns hier an der Universität ist und die Lehre darauf aufbaut.
Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die ersten Seiten gelesen hatten und eine um die andere umblätterten?
Einfach unfassbar. Von Seite zu Seite hatte ich das Gefühl, der Abgrund vertieft sich immer mehr.
Gut 300 Seiten lang ist der Untersuchungsbericht, das ist gewaltig viel für so einen Vorgang wie wissenschaftliches Fehlverhalten.
Die Arbeit der Untersuchungskommission ist bemerkenswert, um uns als Universität darüber aufzuklären, was vorgefallen ist. 300 Seiten, das zeigt auch, wie komplex die Datenlage ist. Um zweifelsfrei nachweisen zu können, dass Manipulationen und Fälschungen vorliegen, war diese akribische Arbeit notwendig.
Ist damit alles aufgedeckt? Gibt es da ja vielleicht noch die eine oder andere Verfehlung im näheren Umfeld in dieser Fakultät?
Das kann ich Ihnen heute nicht sagen.
Hat die TU vielleicht zu spät reagiert, dass der Betrug überhaupt solche Ausmaße annehmen konnte?
Die Universität hat unmittelbar reagiert und ist genau den Weg gegangen, der in der guten wissenschaftlichen Praxis für solche Fälle vorgezeichnet ist. Zunächst über die Fakultät zur Ombudsperson der Universität. Dort wurden die Vorwürfe als so schwerwiegend gesehen, dass die Universitätsleitung eine unabhängige Untersuchungskommission damit beauftragt hat. Das Ergebnis liegt jetzt vor. Wir als neues Rektorat bieten den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der betroffenen Fakultät mit einer neuen Ombudsperson weitere vertrauliche Gespräche an, um sicherzustellen, dass jede und jeder die Möglichkeit hat, die Dinge zu sagen, die sie oder er sagen möchte. Daraus haben sich bislang keine neuen Erkenntnisse ergeben. Wir haben für die gesamte Universität etablierte Beschwerdesysteme bei Korruption, Diskriminierung, Gewalt und Mobbing. Ganz niedrigschwellig sind Konfliktlotsen auf dem Campus unterwegs …
… Was nicht viel nutzt, wenn sich dann doch niemand getraut, auszusagen. Auch die Angst der Mitarbeiter vor Repressalien war ja ein Thema im Untersuchungsbericht. Und hätte man in den letzten zwei Jahren die Whistleblower nicht besser schützen müssen?
Mal ein Blick auf die Tatsachen: Mit Beginn der offiziellen Untersuchung hat die Fakultät den Beschwerdeführern andere berufliche Möglichkeiten angeboten, die auch wahrgenommen wurden. Wir werden dem Schutz solcher Beschwerdeführungen einen noch größeren Stellenwert geben. Wir werden deshalb im Laufe dieses Jahres ein elektronisches Whistleblower-System installieren. Es ermöglicht in den ersten Schritten des Verfahrens, komplett anonym aufzutreten, um nur ein Beispiel zu nennen. Wir signalisieren ganz klar damit: Wir senken die Hemmschwellen für Anzeigen und verstärken den Schutz von Whistleblowern.

Trotzdem, ein Ungleichgewicht scheint zu bleiben. Die Top-Eliten, die Stars on Science, können sich offenbar mehr menschliche wie fachliche Fehltritte leisten als die anderen? Und auch die Glaubwürdigkeit einer Person scheint mit der wissenschaftlichen Reputation mitzuwachsen. Gibt es da nicht eine Unkultur des Wegschauens?
An der TU Dresden wird wissenschaftliche Unredlichkeit nicht geduldet. An der TU Dresden wird die Missachtung der Würde und fehlender Respekt gegenüber Mitarbeitenden und Kollegen nicht geduldet. Finanzielle Unregelmäßigkeiten werden nicht geduldet. Nur das kann ich dazu sagen. Wir werden die Mechanismen dafür noch schärfen und zwar offen. Es gibt dafür auch seit August ein neues Prorektorat Universitätskultur. Es geht um den Schutz des Wertekanons unserer Universität: das heißt, dass wir uns wissenschaftlich redlich um beste Leistungen bemühen, transparent in unserem Tun sind, dabei offen für Neues bleiben. Und dass wir respektvoll miteinander umgehen. Wir haben eine Arbeitsgruppe Führungskultur eingerichtet. Das werden wir sehr energisch durchsetzen, damit sich die Führungskultur auf allen Ebenen diesen Werten verpflichtet fühlt.
Wie soll dies denn besser funktionieren als bisher?
Wir werden jetzt jährlich und verpflichtend für alle ein Training in guter wissenschaftlicher Praxis einführen. Damit wollen wir die Wahrscheinlichkeit verringern, dass solch ein Einzelfall wieder passieren kann. Nicht zuletzt ist es uns als Rektorat aber auch wichtig, unseren Forscherinnen und Forschern, die täglich unter sorgfältiger Einhaltung der wissenschaftlichen Redlichkeit beste Wissenschaft und Lehre betreiben, unser volles Vertrauen auszusprechen.
Was ist falsch gelaufen, dass es überhaupt so weit kommen konnte, wie der Bericht der Kommission es drastisch beschreibt. Wer und was haben versagt?
Die Kommission hat sehr gewissenhaft gearbeitet. Ich sehe nicht, dass etwas schiefgelaufen ist. So wie man es nach den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis erwartet, wurde auf die Hinweise zu wissenschaftlichem Fehlverhalten sofort reagiert.
Der Bericht geht von strafrechtlich relevantem Fehlverhalten aus. Erstatten Sie Strafanzeige?
Unser Rechtsanwalt prüft jetzt sehr ernsthaft die möglichen dienstrechtlichen, zivilrechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen.
Welche Möglichkeiten haben Sie, die noch bestehenden Verbindungen von Herrn Wittchen zur Universität zu trennen?
Als Professor ist man auf Lebenszeit berufen, auch als Emeritus. Wir prüfen, ob ein dienstrechtliches Verfahren eingeleitet wird. Bei laufenden Promotionen bieten wir den Promovierenden den Wechsel des Betreuers an. Weitere Verflechtungen gibt es nicht mehr mit der Universität.
Können Sie nicht Hausverbot erteilen?
Wie gesagt, wir lassen aktuell mögliche rechtliche Schritte prüfen.

Aber es gibt nach wie vor sehr enge Kooperationen von Herrn Wittchen mit der TU-nahen Tudag-Gruppe. Dort ist er mit seiner eigenen psychologischen Ambulanz IAP vertreten.
Hier hat die TU Dresden keine direkte Einflussmöglichkeit. Ich habe aber sowohl der GWT als auch der TUDAG den Untersuchungsbericht zur Verfügung gestellt, und gehe davon aus, dass dort die Konsequenzen gezogen werden. Zudem werden wir an der Universität mit der Klinischen Psychologie eine eigene Hochschulambulanz aufbauen. Das macht uns komplett unabhängig von der IAP. Die TU Dresden braucht anders als jetzt die komplette Aufsichtsfähigkeit über Belange, an denen sie beteiligt ist. Wir möchten ganz klar die Strukturen vereinfachen.
Schieben Sie damit die Schuld für dieses Desaster der GWT zu?
Ich schiebe keine Schuld jemanden zu. Es ist ja eindeutig, dass wir als Universität an dem Punkt Verantwortung übernommen haben, an dem wir die Untersuchungskommission eingesetzt haben.
Was macht das alles mit dem Status als Elite-Uni und mit dem Wissenschafts-Standort Dresden?
Wissenschaftliches Fehlverhalten gibt es unabhängig von Exzellenz oder Nichtexzellenz. Ganz entscheidend aber wird sein, wie wir als Universität dieses Fehlverhalten aufarbeiten. Dass wir sofort Konsequenzen gezogen haben und mit all dem transparent umgehen. Auch dieses Gespräch gehört dazu.