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Das ist Sachsens ungewöhnlichstes Haus

Dresden hat einen Neubau, wie ihn so noch keiner kennt. Nie zuvor wurde das woanders in der Welt schon mal probiert. Es ist ein Großversuch der Extraklasse. Er wird noch Jahre dauern.

Von Stephan Schön
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Der Cube im Dresdner Unigelände. Dieses Haus wird heute eröffnet und strahlt fast magisch.
Der Cube im Dresdner Unigelände. Dieses Haus wird heute eröffnet und strahlt fast magisch. ©  Thomas Kretschel

Die Auffahrt aus Kies, der Parkplatz aus Beton. Nicht irgendeiner, sondern aus Carbonbeton. Beheizbar und eisfrei im Winter direkt mit dem Carbon im Innern, das ihm die Stabilität gibt. Gegenüber jedoch befindet sich die eigentliche Attraktion: das wohl ungewöhnlichste Haus Sachsens.

Der Cube. Ein Betonbau, aber ohne Stahl darin, der den Beton zusammenhält. Dresdner Wissenschaftler haben ihn durch Carbonfasern ersetzt. Und es hält, sogar besser mit weniger Material.

Prof. Manfred Curbach (r.) leitet an der TU Dresden das Institut für Massivbau und ist hier der Bauherr. Sein Oberbauleiter Matthias Tietze forscht ebenfalls dort.
Prof. Manfred Curbach (r.) leitet an der TU Dresden das Institut für Massivbau und ist hier der Bauherr. Sein Oberbauleiter Matthias Tietze forscht ebenfalls dort. © kairospress

"Ich habe nichts gegen Stahl. Ich habe nur etwas gegen Stahl im Beton. Da gehört er nicht hin", sagt Manfred Curbach beim Baustellenrundgang mit der Sächsischen Zeitung. Es ist eine exklusive Führung durch den wohl exklusivsten Neubau der TU Dresden, den sie heute eröffnet. Manfred Curbach ist dort Professor und leitet das Institut für Massivbau. Beton ist sein Handwerk, nun aber der neuen Art. Als Bauherr hat er für die TU den Cube errichtet mit Firmen aus Sachsen.

Dabei, so neu ist der Carbonbeton gar nicht. Die Idee dazu ist so an die 30 Jahre alt. Und so lange wird auch schon daran geforscht. Erst im Kleinen, mittlerweile in Großprojekten. Die drei Dresdner Professoren Curbach, Offermann und Cherif bekamen für ihren Carbonbeton 2016 schließlich den Zukunftspreis des Bundespräsidenten. Und nur ein Jahr darauf begannen die Planungen für den Cube. Es dauerte dann aber immerhin noch bis heute, bis das erste Haus aus diesem Material steht. Es ist Bestandteil und Abschluss des Großforschungsprojekts Zwanzig20, gefördert vom Bund. C³, also Carbon im Beton, wurde bereits 2013 als einer von zehn bundesweiten Forschungsschwerpunkten ausgewählt.

Kein Stahl mehr im Beton, damit kann auch nichts mehr dadrin rosten. Die Betonwände werden dünner, weil das Carbontextil, ein flaches Gitter im Innern, nur noch zentimeterdünn mit Beton versiegelt werden muss. Beton ist für einen erheblichen Teil des CO2-Ausstoßes verantwortlich, vor allem durch die Zementherstellung. Sand wird weltweit knapp. Zwei Probleme, die Carbonbeton verringern kann. Der Cube soll es demonstrieren.

Der neue Baustoff macht neue Formen möglich wie dieses Dach, der Twist.
Der neue Baustoff macht neue Formen möglich wie dieses Dach, der Twist. © kairospress

Es wurde am Ende ein ziemlich extravagantes Bauwerk mit tief geschwungenem Dach, dem Twist. Das war 2017 eigentlich so nicht angedacht. Da sollte es noch ein Würfel werden, der Cube halt. "Zwei Stockwerke hoch. Quadratisch, praktisch, gut", sagt Oberbauleiter Matthias Tietze, Geschäftsführer von C³. "Wir wollten letztlich aber mehr zeigen." Herausgekommen ist der Twist, eine geschwungene Dachfläche. Ein Entwurf vom Architekturbüro Henn. Geschwungen und leicht, mit einer Glasfassade durchsichtig und hell kombiniert.

Nur der Name ist noch vom einst geplanten Würfel geblieben: der Cube. Und dann gibt es ihn doch noch: Die Box, der Würfel, steht nun in dem Gebäude drin. Zwei Stockwerke hoch. Arbeitsräume oben, Labor und Haustechnik unten. Eine nur drei Zentimeter dünne Betontreppe führt außen an der Box hinauf auf einen Balkon. Alles unter dem großen geschwungenen Dach vom Twist.

Jetzt Handarbeit, künftig Roboter

"Der Würfel ist das ökonomisch sinnvoll Umsetzbare, was man bauen kann. Der Twist darüber, ist das technisch Machbare", sagt Oberbauleiter Tietze. Derzeit ist alles noch Handarbeit und damit nicht vergleichbar mit den Preisen bei Stahlbeton. Doch die Roboter in den Plattenwerken lassen sich durchaus auf Carbonbeton umrüsten. Das könnten dann solche Wand- und Deckenplatten sein, wie im Würfel.

Innen wie außen sind im Beton mit Carbongarne statt Stahlstäbe, auch in diesen dünnen Treppenstufen.
Innen wie außen sind im Beton mit Carbongarne statt Stahlstäbe, auch in diesen dünnen Treppenstufen. © Thomas Kretschel

Und schließlich gibt es am Cube Wandelemente, die später durch andere ersetzt werden können, erklärt Matthias Tietze. Der Cube ist einer von fünf Klimastandorten in einem großen EU-Forschungsprogramm. Es reicht von Skandinavien bis Südeuropa und soll auch die Frage beantworten, wie kann man neuartige Baukonstruktionen besser machen für ganz bestimmte Umweltbedingungen.

Dieses Haus wird wohl nie fertig. Der Cube selbst ein einziger großer Versuch. Der hat mit komplizierten, neuen Berechnungen begonnen und wird nun Jahrzehnte unter Beobachtung stehen. Sensoren drinnen und draußen sind die Augen und Ohren der Wissenschaftler. "Wir zeichnen alle Daten kontinuierlich auf, wie Temperatur und Feuchtigkeit", berichtet Manfred Curbach. Wieder andere Dinge müssen die Wissenschaftler jedoch mit eigenen Augen erkunden. "Wir schauen sehr genau hin, wie sich der Carbonbeton verhält." Er reißt, das muss er auch, wie jeder Beton unter Last.

Auf dem TU-Campus entstand das Haus aus Carbonbeton, am Fritz-Förster-Platz gegenüber der Neuen Mensa.
Auf dem TU-Campus entstand das Haus aus Carbonbeton, am Fritz-Förster-Platz gegenüber der Neuen Mensa. © Stefan Gröschel, TU Dresden, IMB

Gehalten wird letztlich alles von den Carbonfasern im Innern. "Im Grunde ist das hier ein Großversuch, mit der Anmutung eines Gebäudes", sagt Curbach. "Wir wollen hier zeigen, was man mit Carbonbeton alles machen kann."

So wie die Baufirmen mit dem neuen Material Monat für Monat auf der Versuchsbaustelle dazugelernt haben, so lernen auch die Forscher ihren neuen Baustoff nun immer besser kennen.Was vom jahrelangen Aufbau bleibt, das sind vor allem viele Hundert Seiten Dokumentation. Was hat wann und vor allem wer wie gemacht? Aus Fehlern von damals können die Forscher und Firmen so noch in den kommenden Jahren lernen.