Die Firmen der Forscher

Es gibt zu viele Patente an der Technischen Universität Dresden. Ausgerechnet der ehemalige Dresdner Uni-Rektor sagt das. Hans Müller-Steinhagen bleibt dabei und erklärt: Zu viele Patente, mit denen einfach nichts passiert. Etwa 200 Patente gibt es an der TU in jedem Jahr. „Da muss noch mehr Wirtschaft aus dem Wissen herüberkommen.“ Doch wie?
Professoren sind nun mal vor allem deshalb Professoren geworden, weil sie forschen wollen. Weil sie Spaß an der Lehre haben. Sonst wären sie ja Manager. Einige sind beides. Und was dann passiert, sind Firmengründungen. Viel mehr wäre davon noch drin, wenn es die richtige und ausreichende Unterstützung gäbe für jene, die eben lieber beim Forschen bleiben. 600 Professoren an dieser Universität mit Tausenden Mitarbeitern und einigen tausend Projekten sind schwer zu überschauen. Innovation-Scouts sollen daher die TU durchforsten. Sie sollen Innovationen finden für neue Firmen.
Das hatte Hans Müller-Steinhagen damals als TU-Rektor selbst noch auf den Weg gebracht. Es war Teil der Bewerbung als Elite-Uni gewesen. Und genau das hilft ihm nun in seinem neuen Job als Professor im Ruhestand. Als einer von drei neuen Vorständen führt er seit nunmehr 100 Tagen die Tudag. Die TU Dresden Aktiengesellschaft. Einziger Anteilseigner ist nicht etwa die Uni, sondern deren „Gesellschaft von Freunden und Förderern der TU Dresden“, ein eingetragener Verein. Der bekommt letztlich die erwirtschafteten Gewinne der Tudag. Und dieser Verein gibt diese Gelder wiederum für Forschung und Lehre an die Universität zurück. Ein Modell, das der damalige TU-Kanzler Alfred Post erfunden hatte. In einer Zeit, als Unis faktisch überhaupt nicht wirtschaftlich selbst agieren konnten. Es war ein Coup.
Und nun, 20 Jahre später? „Wir sind das erfolgreichste Wirtschaftsunternehmen für Wissens- und Technologietransfer einer Universität in Deutschland“, sagt Udo Werner. Ebenfalls neuer Vorstand in der Tudag. Der Jurist stammt aus Zittau, hat in Jena, Frankfurt und Harvard studiert, dann schließlich mehrere Unternehmen geführt. Seit 1. Januar ist er zum Vorstandssprecher berufen. Zwölf Jahre lang hatte zuvor Ulrich Assmann als alleiniger Vorstand die Tudag zu dem wachsen lassen, was sie heute ist. Er geht Ende März in den Ruhestand. Was bleibt, sind über 30 Unternehmen, an denen sich die TU Dresden Aktiengesellschaft derzeit beteiligt. Mal sind es nur zu zehn Prozent, ein andermal alles. Vom High-Tech-Sensorhersteller, über Carbonbeton bis hin zur Uni-Brauerei. Lohrmanns Hell und Pils, wird hier gebraut. Kernig-malzig und hopfig-blumig. Zwei Professoren der Lebensmittelchemie haben die Rezepte und die Technologie dazu kreiert. Mit der Tudag zusammen daraus dann eine Firma gegründet. Lohrmann, diesen Namen haben sie vom Gründer der einstigen Technischen Bildungsanstalt von 1828, der späteren TU Dresden, übernommen.
64 Millionen Euro Jahresumsatz
Tudag, das sind heute 630 Mitarbeiter. Weitere 200 kommen in den Start-ups noch mal dazu. Das bringt die Firmengruppe auf einen Jahresumsatz von immerhin 64 Millionen Euro. Vorstandssprecher Udo Werner ist ehrgeizig. „Da ist mehr drin“, sagt er. „100 Millionen Euro Jahresumsatz, vielleicht in fünf Jahren schon. Und kein wirtschaftlich interessantes Forschungsergebnis der TU sollte dann unbemerkt an uns vorbeigehen, ohne dass wir ein Angebot für seine Umsetzung machen können.“ Die Innovation-Scouts der Uni, das wären ideale Partner, um gute Ideen in erfolgreiche Firmen zu wandeln. Udo Werner kann sich aber noch mehr vorstellen. Einen gemeinsamen Universitätsfonds von TU und Tudag. Mit Fundraising-Geldern gefüttert und öffentlicher Förderung aufgefrischt zum Aufbau eigener Start-ups.
Indes gänzlich ohne staatliche Gelder soll so wie bisher die Privat-Uni auskommen. Die TU hat sich die Dresden International University geschaffen, auch ein Tudag-Unternehmen. Vom TU-Rektor zum DIU-Präsident – Hans Müller-Steinhagen ist dort nun der Chef. Mit 2.200 Studenten ist die Größe schon beachtlich. Sein Ziel: 5.000 Studenten könnten es werden. Mehr wäre aus heutiger Sicht aber nicht sinnvoll. Es gehe nicht um Größe, sondern um Flexibilität, sagt Müller-Steinhagen. Schon jetzt stehen dafür mehr als 300 Dozenten aus dem In- und Ausland zur Verfügung. Die DIU kann so sehr schnell neue Kurse und Studiengänge anbieten, die die Wirtschaft braucht – und bezahlt. Gut jeder zweite Student an dieser Dresdner Privatuni bekommt sein Studium schließlich vom Arbeitgeber bezahlt, von Stiftungen oder Verbänden. Die anderen finanzieren es selbst. Meist sind dies Weiterbildungen mit ergänzendem Spezialwissen: Zur Medizin kommt dann die Technik, zur Kultur das Management. Vom Staat gibt es keinen Cent für diese Studiengänge. Jedoch staatlich anerkannt sind die Bachelor und Masterkurse, da akkreditiert. Und noch etwas unterscheidet die TU Dresden von ihrer Privatuni: Das Durchschnittsalter der Studenten an der DIU beträgt 34 Jahre. Die meisten hier hatten zuvor schon ein Studium oder bringen zumindest sehr viel Praxiserfahrung als Meister oder Spezialist mit.
Außenstelle in China geplant
Etwa 35 Prozent der Studenten kommen derzeit aus dem Ausland. Osteuropa ist stark dabei, Indien und China. Auch jetzt in Zeiten der Pandemie sind die meisten chinesischen Studenten dabeigeblieben. Nur bei den Neueinschreibungen gingen die Zahlen zurück. Um die zehn Prozent ist der Umsatz der DIU, des zweitstärksten Unternehmens der Tudag, im vergangenen Jahr eingebrochen. Andere Bildungsanbieter hat es da noch wesentlich härter getroffen. Auch die Sprachausbildung Tudias, die zur Gruppe gehört, leidet sehr. Es fehlen derzeit vor allem die studienvorbereitenden Kurse für ausländische Studenten. „Wir hatten schon vor Corona eine starke Digitalisierung der Lehre“, nennt Müller-Steinhagen einen Grund für die vergleichsweise gute Bilanz der DIU. „Mehr als die Hälfte der Kurse fand bereits in derartigen Formaten statt. Das war für uns dann ein entscheidender Vorteil.“ Und so will Müller-Steinhagen 2021 wirtschaftlich wieder auf dem Niveau wie vor Corona sein. Mehr noch: „Wir sind – natürlich in Abstimmung mit der TU Dresden – am Überlegen, wie wir eine Außenstelle der DIU in China aufbauen könnten.“
Fette Ziele hat auch der dickste Brocken der Tudag. Die GWT, Gesellschaft für Wissens- und Technologietransfer, ist vor allem ein Anbieter für medizinischen Service in der Forschung und die Zulassung neuer Therapien. 26 Millionen Euro Jahresumsatz bringt die GWT. „Wir haben derzeit um die 700 Projekte mit der Industrie. Mehrere große klinische Studien wurden in diesem Jahr erst begonnen“, sagt Jacques Rohayem – neuer GWT-Chef und ebenfalls Tudag-Vorstand. Vor zwölf Jahren hatte er selbst die Biotech-Firma Riboxx GmbH gegründet. Die ist heute noch Teil der Tudag-Gruppe, so wie die GWT. „In der Mehrheit unserer Auftragsstudien geht es um Krebs und dessen bessere Behandlung“, sagt Rohayem. Die GWT arbeite dafür mit Kliniken europaweit zusammen. „In zehn Jahren wollen wir die Nummer Eins für Technologietransfer in Deutschland sein.“
Nie aber werden wohl diese ehrgeizigen Ziele in Konkurrenz zur TU Dresden angestrebt. Schon weil die selbst im Aufsichtsrat stark vertreten ist. Und letztlich legen die Statuten dieser Uni-Aktiengesellschaft eines klar fest: Wachstum geht nur mit, nicht gegen die Universität.