Versteckte Botschaften zu Weihnachten

Ratlose Gesichter nach dem Liedvorschlag. „Sind die Lichter angezündet“ steht zur Auswahl für das gemeinsame Singen. Die eine Hälfte der Anwesenden nickt und lächelt. Die andere zuckt verständnislos mit den Schultern. Was soll das denn für ein Lied sein? „Solch eine Szene ist gar nicht ungewöhnlich“, sagt Alexander Lasch, Professor für Germanistische Linguistik und Sprachgeschichte an der TU Dresden. Welche deutschen Weihnachtslieder wir kennen, hängt nämlich davon ab, wo genau wir aufgewachsen sind. Der Wissenschaftler hat sich näher mit Weihnachtsliedern aus der DDR beschäftigt und dabei Interessantes festgestellt. Doch Weihnachtslieder sind längst nicht das Einzige, worauf Sprachwissenschaftler rund ums Fest mit besonderem Augenmerk schauen. Der Dresdner Forscher Simon Meier-Vieracker hört bei der Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten ganz genau hin.
Alexander Lasch ist in Ostdeutschland groß geworden. „Mir war als Kind überhaupt nicht bewusst, dass viele Weihnachtslieder, die wir gesungen haben, noch gar nicht so alt waren“, erzählt er. Zu hören waren sie vor allem auf zwei Eterna-Schallplatten: „Sind die Lichter angezündet“ und „Bald nun ist Weihnachtszeit“, die viele DDR-Familien besaßen. Zwei von Laschs Favoriten sind deshalb auch „Sind die Lichter angezündet“ und „Vorfreude, schönste Freude“ der Texterin Erika Engel-Wojahn. Ersteres vertonte Hans Sandig im Jahr 1957, für das zweite verfasste Komponist Hans Naumikat einige Jahre später die Melodie. Sprachlich, erläutert Lasch, stünden beide für eine neue Weihnacht, die Ideenlehre eines neuen Deutschlands, das sich im Liedgut von bisher besungenen christlichen Inhalten löst. Im Mittelpunkt stehen das Licht und der Frieden. Letzterer allerdings in der wehrhaften Form, die es zu verteidigen gilt.
Berühmtheiten im Tonstudio
Rund 30 bis 40 bekannte Weihnachtslieder hat sich der Sprachwissenschaftler näher angeschaut und analysiert. „Alle wurden vom Who ist Who der kulturellen Elite des Landes komponiert.“ Im Anschluss daran von bekannten Chören der DDR eingesungen, immer mit raffinierten Arrangements, die berühmte Orchester spielten. Der Aufwand war notwendig. „Die neuen Lieder sollten schließlich mit traditionellen Weihnachtsliedern der Vergangenheit auf einer Stufe stehen.“ Viele der DDR-Weihnachtslieder hat Alexander Lasch früher selbst in einem Chor gesungen und singt sie bis heute gern. Das gehöre zu seiner ostdeutschen Biografie. „In der zwei Wurzeln und zwei Ideenlehren miteinander verbunden sind.“
Simon Meier-Vieracker ist auch musikalisch. Neben Weihnachtsliedern singt der Professor für Angewandte Linguistik an der TU Dresden auf Youtube auch mal Songs über Corona. Zu Weihnachten interessiert ihn beruflich aber vor allem eins: die Ansprache des Bundespräsidenten. Nicht nur die des aktuellen Oberhaupts Frank-Walter Steinmeier.

Meier-Vieracker hat sich wissenschaftlich mit allen Ansprachen seit der Gründung der Bundesrepublik beschäftigt. Anfangs wurden diese noch vom Bundeskanzler gehalten, ab 1970 vom Bundespräsidenten. Alle Texte haben er und sein Team zusammengetragen. Jedes Jahr fügt der Professor seiner Sammlung den aktuellsten hinzu. „Es lässt sich auf jeden Fall schon einmal festhalten, dass sie über die Jahrzehnte deutlich an Länge gewonnen haben“, zieht er eine erste Bilanz. Kam Konrad Adenauer im Jahr 1949 noch mit 236 Wörtern aus, waren es 2020 bei Steinmeier schon 935. Allen Weihnachtsansprachen ist aber gemein, dass sich die Präsidenten immer direkt an die Menschen zu Hause wandten. Sie wird zu einer Art Gespräch zwischen ihnen und den Zuschauern über das zurückliegende Jahr und darüber, was die Menschen im kommenden erwartet.
Pandemie hinterlässt Spuren
In ihrer Inszenierung gleicht die Weihnachtsansprache einer Art Ritual, das sich jedes Jahr wiederholt – wenn auch mit unterschiedlichen Personen. Für Meier-Vieracker ist genau das aber ein Ansatz für seine Forschung. Mit einem speziellen Computerprogramm analysiert er die Sprache, identifiziert Schlüsselwörter, vergleicht und zählt, wertet alles statistisch aus. Typische Worte in den Ansprachen waren demnach Weihnachten, Weihnachtsfest und auch Licht, Krippe, Geburt, Liebe, Finsternis, Ruhe, Botschaft und Freude. Wichtige Begriffe außerdem: der Mensch und das Wir. Doch auch Wörter mit deutlich politischeren Dimensionen sind über die Jahrzehnte immer wieder dabei: Gesellschaft, Arbeitsplätze, Freiheit, Sicherheit, Not.
Die Ansprachen seien immer ein Spiegel ihrer Entstehungszeit, verbunden mit zeittypischen Worten, erklärt er. So spricht Konrad Adenauer 1949 über den noch jungen Frieden und die Heimat, die viele erst einmal finden müssen. Georg Kiesinger betont in den 1960er-Jahren die Nation, Richard von Weizsäcker die Deutschen und Europa. Christian Wulff wird moralischer und thematisiert Zusammenhalt, Respekt, Anerkennung und Solidarität. Steinmeier kommt im ersten Corona-Jahr 2020 nicht um Begriffe wie Virus, Pandemie und Krise herum.
Mit einer Neuerung konnte Steinmeier 2019 aber überraschen. Zum ersten Mal stand oder saß der Bundespräsident nicht statisch an einer Stelle. Steinmeier lief durchs Schloss Bellevue. „Ein Versuch, sich den Sehgewohnheiten der Zuschauer anzupassen“, vermutet der Professor. Wie es wohl in diesem Jahr wird? Orakeln will Meier-Vieracker nicht. Eines steht aber schon fest: Auch diese Rede wird gleich nach den Festtagen analysiert.