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Höchststrafe für Messerangriff in Dresden

Im Prozess um den tödlichen Angriff auf zwei Touristen in Dresden hat das Gericht das Urteil verkündet. Doch eine entscheidende Frage bleibt bislang offen.

Von Alexander Schneider
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Abdullah A. bei der Urteilsverkündung: Der 21-jährigen Syrer musste sich vor Gericht für die tödliche Messerattacke auf Touristen in Dresden verantworten.
Abdullah A. bei der Urteilsverkündung: Der 21-jährigen Syrer musste sich vor Gericht für die tödliche Messerattacke auf Touristen in Dresden verantworten. © dpa/Robert Michael

Der Angeklagte hatte seinen Anschlag in allen Einzelheiten geschildert, die Spuren und Zeugen ließen keinen Raum für Zweifel. Am Freitagvormittag verurteilt das Oberlandesgericht Dresden den 21-jährigen Syrer Abdullah A. wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.

Der Angeklagte bleibt wieder sitzen, als der Senat den Gerichtssaal zur Urteilsverkündung betritt. Es ist nicht das erste Mal in der sechswöchigen Hauptverhandlung. Abdullah A. hatte erst zwei Tage zuvor in seinem letzten Wort gesagt: „Ich verlasse mich auf Gott.“ Daran schließt nun Richter Hans Schlüter-Staats, der Vorsitzende des Staatsschutzsenats, in der Urteilsbegründung an: Es sei offensichtlich Gottes Wille, „dass Sie hier sitzen und dieses Urteil entgegennehmen müssen“. Dann berichtet der Richter, was der Senat festgestellt hat.

Der Angeklagte habe am 4. Oktober 2020 um 21.26 Uhr in der Rosmaringasse bei seinem heimtückischen Angriff von hinten mit hoher Wucht auf ein homosexuelles Paar eingestochen. Thomas L., ein 55-jähriger aus Krefeld kommt bei dem Anschlag ums Leben, sein Partner Oliver L. (53) aus Köln überlebt die Tat mit schweren Verletzungen. Er hatte großes Glück.

"Nichts mehr, wie es war"

Schon zuvor hatte Abdullah A. mehrere Menschen in der Dresdner Innenstadt als mögliche Mordopfer ausgespäht, ehe er das homosexuelle Paar wahrnahm. A. habe sie aus seiner radikalislamischen Gesinnung heraus als Repräsentanten einer von ihm als ungläubig wahrgenommenen Gesellschaftsordnung abgelehnt. Er habe Homosexuelle als schwere Sünder empfunden, er habe aus religiöser Verblendung gehandelt, um „eine Kompensation im Jenseits zu erlangen“.

Mehrfach wird Schlüter-Staats dem 21-Jährigen in den folgenden eineinhalb Stunden ein „selbst gezimmertes religiöses Zerrbild“ vorhalten, nach dem er sich dazu aufgerufen sehe, Menschen nur deshalb zu töten, weil sie in ihrem Land so leben, wie er selbst es nicht für gottgefällig hält: „Es ist eine Tat, die uns fassungslos macht“.

Die Geschädigten seien seit sieben Jahren ein Paar gewesen und hätten als Touristen einen sehr schönen Tag in Dresden verbracht, sagte der Vorsitzende. Nach einem Abendessen seien sie auf dem Weg in ihr Hotel gewesen – „und binnen einer Minute ist nichts mehr, wie es war.“

Kriminaltechniker und die Tatortgruppe des LKA Sachsen sicherten Spuren am Tatort nach der tödliche Messerattacke auf zwei Touristen.
Kriminaltechniker und die Tatortgruppe des LKA Sachsen sicherten Spuren am Tatort nach der tödliche Messerattacke auf zwei Touristen. © Roland Halkasch/dpa

Abdullah A. hatte bis zu seiner Entlassung am 29. September eine mehr als dreijährige Jugendhaftstrafe verbüßt, auch für Taten wegen seiner islamistischen Gesinnung. Unter anderem hatte er ein Selbstmordattentat geplant. Nur drei Tage später habe er die Messer gekauft. Am 4. Oktober sei er abends durch die Innenstadt gestreift und habe geeignete Tatopfer gesucht. „Im Prinzip war es ihm egal, wen er tötet“, so Schlüter-Staats, „es hätte jeden treffen können“. Eigentlich habe A. bei dem Anschlag auch sterben wollen, sei dann geflüchtet.

Der Angeklagte sei mit sich zufrieden gewesen und habe gedacht, er könne sich jetzt auf „die ganz großen Sachen vorbereiten“. Auch bei seiner Festnahme am 20. Oktober in der Dresdner Innenstadt hatte A. ein langes Messer in seinem Rucksack. „Man könnte fast sicher sein, dass er wieder einen Mord versucht habe“, sagte der Richter. Neben Heimtücke sieht das Gericht das Mordmerkmal niedere Beweggründe als verwirklicht an.

A. habe Menschen das Lebensrecht abgesprochen, die für ihn Ungläubige waren und zudem homosexuell. Reue sei nicht erkennbar. Er habe sich seinem Gutachter nicht offenbart, um sich die Taten von der Seele zu reden, sondern um seine Motive offenzulegen. Gründe, das Jugendstrafrecht anzuwenden, sah das Gericht nicht. A. habe die Jugendhaft als gefestigte und von anderen unabhängige Person verlassen.

Hätte der Mord verhindert werden können?

Da das Gericht auch die besondere Schwere der Schuld des Täters feststellte, kann A. nicht vor einem Ablauf von rund 20 Jahren auf eine Entlassung hoffen. Darüber hinaus ordnet das Gericht jedoch die anschließende Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vorbehaltlich an. Vorbehaltlich, weil der Angeklagte zur Tat Heranwachsender war. Erst wenn er keine Gefahr mehr für die Allgemeinheit darstellt, könnte er auf freien Fuß kommen.

Heute geht der Senat davon aus, dass der Syrer eine Neigung habe, Mordtaten zu begehen, seine religiöse Fixierung sei fest verwurzelt, er habe weitermachen wollen. Schlüter-Staats versucht, am Ende auch die Frage zu beantworten, ob die Tat vermeidbar war. A.s Gefährlichkeit sei bekannt gewesen, es könnten jedoch unmöglich alle Gefährder observiert werden. „Man kann solche Taten verhindern“, sagt der Vorsitzende, „aber nicht in einer Gesellschaft, in der wir alle leben wollen.“

Die Vertreter der Generalbundesanwaltschaft und die Anwälte der Opfer zeigten sich zufrieden mit dem Strafmaß. Sie hatten es auch so gefordert. Das Urteil sei ein Signal für den Rechtsstaat, ihre Mandanten könnten nun in Ruhe trauern, sagten die Nebenklage-Vertreter. Der Anwalt von Oliver L. sagte weiter, sein Mandant habe jedoch das Gefühl, der Staat habe nicht alles Mögliche unternommen, um diese Tat zu verhindern.

Der Vorsitzende habe „ein Stück weit spekuliert, als er sagte, auch eine elektronische Fußfessel oder Observierungsmaßnahmen hätten die Tat nicht verhindert.“ Verteidiger Peter Hollstein sagte, er sei auch nach dem Urteil überzeugt, dass für seinen Mandanten das Jugendstrafrecht hätte angewendet werden müssen.