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In Dresden endet am Sonnabend die Ära der Tatra-Straßenbahnen

Eine Straßenbahngeneration wird in Dresden nach 56 Jahren in den Ruhestand geschickt. Am Wochenende können Tatrafans die historischen Bahnen verabschieden. Was nun mit diesen geschieht.

Von Christoph Springer
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Aufgestellt für den Abschied: drei Tatra-Straßenbahnen, die in Dresden im Linieneinsatz waren.
Aufgestellt für den Abschied: drei Tatra-Straßenbahnen, die in Dresden im Linieneinsatz waren. © René Meinig

Dresden. Sie haben jahrelang darauf hingearbeitet, viel Überzeugungsarbeit geleistet, Millionen investiert und nun ist der entscheidende Tag gekommen. Doch reine Freude stellt sich nicht ein. Holger Seifert spricht von "einem lachenden und einem weinenden Auge". Andreas Hemmersbach sagt, "da blutet so ein bisschen das Herz". Doch ein Zurück gibt es nun nicht mehr. In Dresden endet die Ära der Tatra-Straßenbahnen.

Tatra-Bahnen in Dresden: 56 Einsatzjahre und Millionen Fahrgäste

56 Jahre umfasst diese Ära, Millionen sind mit den tschechischen Bahnen mitgefahren, die zuerst in Rot und Beige und später gelb in Dresden unterwegs waren. Mehr als 800 Bahnen lieferte das ČKD-Werk in Prag nach Dresden, die erste ging im Dezember 1967 auf der Strecke der Linie 7 in den Regelbetrieb. "Dubčeks letzte Rache" hießen sie im Volksmund in Anspielung auf den Generalsekretär der tschechoslowakischen Kommunisten Alexander Dubček und dessen Rolle beim Prager Frühling. In Dresden war bei dieser Formulierung jedem klar: Es ging um die Reparaturanfälligkeit der Bahnen und Probleme bei Ersatzteillieferungen.

Holger Seifert kennt die Tatrabahnen aus dem Effeff. Er ist Chef der Straßenbahnsparte bei den Dresdner Verkehrsbetrieben (DVB) und damit auch der Straßenbahn-Werkstätten. "Mit den Türen hatten wir viele Probleme, mit den Fahrmotoren, mit den Thyristoren", erinnert er sich an die Tatra-Jahre. Weil Ersatzteile fehlten, kam es zur sogenannten "Kannibalisierung". Das heißt, Tatras wurden ausgeschlachtet, um andere in Gang zu halten. "Teilweise waren nur rund 50 Prozent des Fuhrparks einsatzbereit", sagt DVB-Sprecher Falk Lösch.

Der Anfang vom Ende für die Tatras kam 1995

Ab 1988 fuhren ausschließlich Tatrabahnen in Dresden, zuletzt wurde die Linie 4 im Oktober 1988 auf den Komplettbetrieb mit den tschechischen Straßenbahnen umgestellt.

Sieben Jahre später fuhr die erste Niederflurstraßenbahn in Dresden. Das Jahr 1995 markierte deshalb den Anfang vom Ende der Tatras. Zwar lief seit Anfang der 90er-Jahre eine Modernisierung der tschechischen Bahnen, dabei wechselten sie auch ihre Farbe von Rot-Beige zu Gelb. Doch schon damals waren ihre Jahre gezählt. Spätestens, als 1996 die ersten Tatrabahnen verkauft wurden. Sie gingen damals nach Rostov am Don in Russland. Die meisten Bahnen wurden nach Osteuropa verkauft, unter anderem auch nach Rumänien und Ungarn. Doch auch Städte wie Pjöngjang in Nordkorea und Almati in Kasachstan bekamen Tatras aus Dresden.

Keiner Tatra-Bahn droht die Schrottpresse

Das letzte Stündchen der Straßenbahnen schlägt am Sonnabend. Dann fahren die DVB noch einmal alle auf. Wer mag, kann mitfahren, am Streckenrand werden ganz sicher noch einmal viele Fotos gemacht. Es wird zwar nicht das allerletzte Stündchen, denn zwei Dienst-Straßenbahnen behalten die DVB: die Kinderstraßenbahn Lottchen und eine Bahn, die Schienen schleifen und Oberleitungen "fetten" kann.

Auch das Straßenbahnmuseum wird danach noch Tatras auf Strecke schicken - einen Originalzug aus den 60er-Jahren und einen letzten Großzug in Gelb mit modernisierten Wagen, den die DVB genau jetzt ins Museum schicken. Doch im Linienbetrieb werden die Tatras dann nicht mehr fahren, "höchstens bei einem 3.000-jährigen Hochwasser, wenn wirklich alles raus muss", sagt DVB-Vorstand Andreas Hemmersbach.

Fotos von der letzten Fahrt: Damit rechnen die DVB und die Verantwortlichen am Sonnabend, wenn die Tatrabahnen alle noch einmal auf Strecke gehen.
Fotos von der letzten Fahrt: Damit rechnen die DVB und die Verantwortlichen am Sonnabend, wenn die Tatrabahnen alle noch einmal auf Strecke gehen. © René Meinig

Die Schrottpresse winkt den zehn letzten Wagen dennoch nicht. "Es gibt zahlreiche Interessenten", sagt der DVB-Vorstand. Privatleute, die einen Wagen kaufen wollen, auch das Verkehrsmuseum hat kurz vor dem Ende noch Interesse angemeldet.

Holger Seifert verspricht: Ersatzteile gibt es vorerst noch genug für die letzten tschechischen Bahnen, sie bekommt das Straßenbahnmuseum. Und für die Wartung der Museumszüge ist auch gesorgt - dafür gibt es weiter Spezialisten in den Werkstätten der DVB.

Diese Straßenbahn steht im Dresdner Straßenbahnmuseum.
Diese Straßenbahn steht im Dresdner Straßenbahnmuseum. © SZ/Christoph Springer
Sie ist im Originalzustand, auch innen.
Sie ist im Originalzustand, auch innen. © SZ/Christoph Springer
Dieser Straßenbahnzug kommt jetzt ins Museum.
Dieser Straßenbahnzug kommt jetzt ins Museum. © SZ/Christoph Springer
Er gehört zu den modernisierten Bahnen und war bis Mai 2023 im Einsatz.
Er gehört zu den modernisierten Bahnen und war bis Mai 2023 im Einsatz. © SZ/Christoph Springer

Weniger Lärm und mehr Spaß mit neuen Straßenbahnen

Letztlich ist Seifert froh, dass künftig nur noch Niederflurstraßenbahnen in Dresden unterwegs sind, denn das minimiert nicht zuletzt den Aufwand in den Werkstätten. "Und die Neuen machen inzwischen auch Spaß", deutet Seifert an, dass das Thema Kinderkrankheiten bei der jüngsten Straßenbahngeneration mittlerweile ausgestanden ist.

Auch Hemmersbach ist froh, dass nun die Tatrazeit endet. Er hat die Bahnen das erste Mal 1994 kennengelernt. Da ist der gebürtige Krefelder nach Dresden gekommen und hat sich eine Wohnung gesucht. Es wurde eine auf der Fritz-Reuter-Straße. "Das war an einem lauschigen Abend", erinnert er sich, wenig Verkehr auf der Straße vor dem Haus. "Aber ich habe nicht bedacht, dass die Fritz-Reuter-Straße eine Pflasterstraße war und dass da die Linie 13 fährt - Tatrabahnen." Der Lärm, auch der der Straßenbahnen, machte ihm zu schaffen. "Die Bahnen heulten", beschreibt er das Fahrgeräusch, und über ihre Pünktlichkeit sagt er: "Sie kamen in Rudeln. Wie die Wölfe."

Kalte Füße und nasse Schultern

Sein Vorstandskollege Lars Seiffert, der auch heute noch Straßenbahnen durch Dresden steuert, kennt die Züge noch als Fahrer. "Einen zweiten Winter als Fahrer gibt es mit denen mit mir nicht", hat er sich damals gedacht. Denn die Füße seien in der Fahrerkabine ständig kalt gewesen, "die Heizung war eher eine Lüftung". Dazu tropfte Wasser auf die Schulter, wenn es regnete und sich das Seil vollgesogen hatte, mit dem der Fahrer den Stromabnehmer einklappen konnte. "Ich habe mir eine Dachrinne aus Zetteln gebaut", berichtet Seifert.

Auch die neuen Straßenbahnen fährt er und ist froh, dass sich die Technik um Längen verbessert hat. Ebenso, dass nun keine Bahnen mehr im Linienbetrieb sein werden, bei denen hohe Stufen überwunden werden müssen. Und zu den letzten Linien-Tatras sagt Hemmersbach schließlich noch: "Sie werden würdevoll im Museum bewahrt." Letztlich doch noch eine Liebeserklärung an eine Straßenbahngeneration, die Dresden geprägt hat, wie kaum eine andere.