Was wirklich im vertraulichen Gutachten zu OB Hilberts Rathaus-Partys in Dresden steht
Dresden. Die Diskussion um die "@nachtschicht_18" nimmt kein Ende. Eigentlich wollte die Verwaltung die Sache wohl mit einer Mitteilung am Dienstag beenden. Kernaussage: Bei den kritisierten Vergaben der teuren Rathaus-Partys, zu denen Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) junge Dresdnerinnen und Dresdner einlädt, sind fast sauber gelaufen.
Dies ergebe der Bericht der Rechnungsprüfer aus dem Rathaus. Allerdings liegt der Bericht unter Verschluss, wurde von OB Hilbert als "vertraulich" gekennzeichnet. Sächsische.de liegt das 23-seitige Werk vor und die Aussagen daraus widersprechen denen, die öffentlich mitgeteilt wurden. Welche Mängel das Gutachten aufdeckt.
Worum es genau geht
Die Partys, zu denen OB Hilbert junge Dresdner einlädt, werden kritisiert, weil sie teuer seien - zumal in Zeiten von Haushaltssperren, in denen für viele andere Dinge kein Geld freigegeben wird. Zudem waren für die drei Partys 2018, 2019 und 2022 die Aufträge freihändig, also ohne Ausschreibung an die Agentur des OB-Vertrauten und Wahlkampfmanagers Frank Schröder vergeben worden. Insgesamt kosten diese Partys rund 415.000 Euro.
Aufgrund der offenen Fragen dazu hat der Stadtrat das unabhängige Rechnungsprüfungsamt der Stadt beauftragt, die Vergaben zu prüfen. Nun hat die Verwaltung erklärt, der Bericht liege vor und eigentlich sei nicht viel zu beanstanden. Das Amt für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hätte die Aufträge nicht vergeben dürfen. Das sei inzwischen geändert. Ansonsten sei nichts beanstandet worden - so der Tenor.
Der vertrauliche Bericht liest sich allerdings eben etwas anders, als von der Verwaltung in einer Pressemitteilung dargestellt. Eher so, als sei dieser sehr wohlwollend für die Verwaltung und die Rolle von OB Hilbert interpretiert.
Auffälligkeit 1: Die Rolle von OB Hilbert
In der Mitteilung der Stadt heißt es: Das Rechnungsprüfungsamt stelle "eindeutig fest, dass Entscheidungen zu den Vergabeverfahren nicht durch den Oberbürgermeister getroffen wurden".
Die Rechnungsprüfer haben allerdings eine Mail der Projektleitung aus dem OB-Bereich in den Akten gefunden, in der es, bezogen auf die Partys 2019 und 2022, heißt: "Nach Rücksprache mit dem Oberbürgermeister freut es uns, Ihnen mitteilen zu können, dass wir dieses mit dem Künstlerkonzept 1.0 bestätigen."
Die Prüfer weisen auch darauf hin, dass der Sachbereich Protokoll "nicht dazu befugt" ist, das Angebot anzunehmen. "Gemäß Hauptsatzung liegt die Zuständigkeit bei Verträgen über Lieferungen und Leistungen bis 250.000 Euro beim Oberbürgermeister."
Damit ist klar, dass Hilbert doch in die Vergaben eingebunden war.
Auffälligkeit 2: Abweichende Kosten
Die Rechnungsprüfer stellen zudem fest: "Die von uns ermittelten Kosten weichen teilweise von den bisher vom Amt für Presse-, Öffentlichkeitsarbeit und Protokoll kommunizierten Werten ab." 2018, 2019 und 2022 hat die Stadt vergessen, die Gema-Anmeldung zu machen - also die Abgaben an die Künstler für die gespielte Musik bei den Partys zu zahlen. Das Rathaus musste mehrere tausend Euro nachzahlen.
Also haben die Rechnungsprüfer doch eine weitere Beanstandung gefunden.
Auffälligkeit 3: Rechtsamt sieht gleich mehrere Verstöße
In dem Prüfergebnis wird auch die Position des städtischen Rechtsamtes dargestellt, welches von den unabhängigen Rechnungsprüfern hinzugezogen wurde. In der Mitteilung der Stadt ist keine Rede davon, dass dieses Amt gleich mehrere "Hinweise" gegeben hat. Es wird lediglich berichtet, dass das falsche Amt die Aufträge vergeben hat. Doch diese Auffälligkeiten tauchten auf:
- Grundsätzlich ist bei freihändigen Vergaben die Auswahl der Bieter zu dokumentieren bzw. zu begründen
- In den Ausschreibungsunterlagen wurden keine Wertungskriterien veröffentlicht. Unterlagen zur Bewertung konnten nicht vorgelegt werden. In der Praxis war ausschließlich der Preis Wertungskriterium.
- Bei weiteren freihändigen Vergaben wurden regelmäßig keine aktenkundigen Vergleichsangebote eingeholt.
- Für die Veranstaltung 2018 war in der vorliegenden Akte nicht eindeutig dokumentiert, wann, von wem und in welcher Form das Angebot des Veranstalters angenommen wurde.
- Bei der Vergabe 2019 hätte die Verlängerungsoption bei der Ermittlung des Auftragswertes und somit die Zuständigkeit des Oberbürgermeisters für die Auftragserteilung berücksichtigt werden müssen.
Auffälligkeit 4: Ausschreibung für Partys zwingend
Die Stadt behauptet in ihrer Mitteilung: "Dass die Veranstaltungen 2018 und 2019 (mit 2022) 'freihändig' – also ohne Ausschreibung – vergeben wurden, war nach Einschätzung des Rechtsamtes dagegen rechtens. Dass es sich um freiberufliche Leistungen handelt, ist aus Sicht des Rechtsamtes ebenfalls 'nachvollziehbar'."
"Nachvollziehbar" schreibt das Rechtsamt tatsächlich in dem Bericht, allerdings mit einer anderen Bedeutung, als es die Verwaltung darstellt. Konkret heißt es im Bericht: "Diese Einschätzung ist zwar nachvollziehbar, kann aus Sicht diesseits aber nicht geteilt werden." Zudem sei die Organisation und Durchführung von Partys eine Dienstleistung, "deren Ausschreibung nach den Regelungen des Sächsischen Vergabegesetzes hätte erfolgen müssen".
Zudem gibt das Rechtsamt einen weiteren Hinweis: "Die Auftragswertberechnung darf nicht in der Absicht erfolgen, die Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkung und der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu umgehen."
"Verschleierung" - wie Politiker darauf reagieren
Die Stadträte dürfen sich zu Details nicht äußern, weil der Bericht „vertraulich“ ist. „Wesentliche Sachverhalte und Bewertungen des Prüfberichts werden verschwiegen. Es ist der augenscheinliche Versuch, Journalisten und die Öffentlichkeit zu täuschen“, so sieht es allerdings Linke-Fraktionschef André Schollbach.
Holger Zastrow vom Team Zastrow findet, dass solche Partys grundsätzlich stattfinden können. "Das Rathaus darf Geld in die Hand nehmen, um junge Leute zu erreichen." Die Kosten für die Party seien jedoch sehr hoch gewesen. "Es wurden ein paar Räume im Rathaus bespielt. Was die Stadt dafür ausgegeben hat, war viel Geld."
Die Öffentlichkeit könne erwarten, dass immer dann, wenn mit so viel Geld umgegangen wird, sauber und fehlerfrei gearbeitet wird. "Doch im Presseamt der Stadt geht es offensichtlich drunter und drüber", so Zastrow. "Alle, die in der Stadt etwas bewegen wollen, werden vom Rathaus mit sehr viel Bürokratie gequält. Für das Rathaus selbst scheinen diese Kriterien hingegen frei interpretierbar zu sein." Die Ergebnisse aus dem Bericht werden "noch zu diskutieren sein".
Die Pressestelle der Stadt äußerte sich bisher nicht zu Nachfragen von Sächsische.de hinsichtlich der Widersprüche zwischen dem Bericht der Rechnungsprüfer und der eigenen Pressemeldung.
Wie die Stadtverwaltung darauf reagiert
Dresdens Pressesprecherin Barbara Knifka erklärt, dass der Bericht vom Rechnungsprüfungsamt als "vertraulich" deklariert wurde. "Der komplette Inhalt konnte in der Pressemitteilung selbstverständlich nicht vollumfänglich wiedergegeben werden."
Zur Zuständigkeit von OB Hilbert erklärt die Sprecherin: "Es gibt keinen Widerspruch. Der Satz aus der E-Mail aus dem Jahr 2019, von dem in dem Bericht die Rede ist, bedeutet lediglich, dass der Oberbürgermeister informiert wurde."
Die Vergaben seien "rechtens" gewesen, zu dem Schluss seien auch die Prüfer gekommen. "Bei der Unterschrift fehlte der Hinweis, ob diese 'im Auftrag' beziehungsweise 'in Vertretung' erfolgt ist."
Zur Feststellung der Prüfer, dass die Leistungen nicht freihändig hätten vergeben werden dürfen, sondern eine Ausschreibung zwingend ist, sagt die Sprecherin: "Das Rechnungsprüfungsamt, ebenso wie das Rechtsamt, prüft den Sachverhalt aus heutiger Sicht. Das bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass die damalige Sicht falsch war." Man habe sich mit dem zentralen Vergabebüro 2018 abgestimmt und dieses habe "erst im Jahr 2023 seine Einschätzung zu Vergabe und Ausschreibung" geändert.
Man habe mit der Mitteilung lediglich informiert, dass die Prüfung abgeschlossen ist. "Wesentliche Prüfinhalte, insbesondere die öffentliche Kritik betreffend, wurden in der Pressemitteilung erläutert", so Knifka.
Dass Stadträte die Mitteilung als "manipulativ", bezeichnen, kommentiert die Sprecherin so: "Die subjektive Einschätzung eines sich im Wahlkampf befindlichen Politikers wird nicht kommentiert."