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Warum Bike24 aus Dresden Amazon nicht fürchtet

Angefangen hat Bike24 mit dem Verkauf aus einer winzigen Wohnung – inzwischen macht die sächsische Firma Millionen und beschäftigt fast 400 Mitarbeiter.

Von Nora Miethke
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Bike 24-Gründer Andrés Martin-Birner weiß, was Fahrradfahrer wollen.
Bike 24-Gründer Andrés Martin-Birner weiß, was Fahrradfahrer wollen. © Jürgen Lösel

Dresden. Fahrradfans haben schon vor Corona gern und viel Reifen, Sporttrikots oder anderes Zubehör im Internet gekauft. Doch die Corona-Pandemie hat nun die Hemmschwelle zum Einstürzen gebracht, ganze Fahrräder im Netz zu bestellen und sich liefern zu lassen. Bike 24, eine der führenden Online-Fahrradplattformen mit Sitz in Dresden, hat im vergangenen Jahr 80 Prozent mehr klassische Räder online verkauft als im Jahr zuvor, bei E-Bikes waren es sogar doppelt so viele. „Heutzutage sind Menschen über alle Grenzen hinweg dazu bereit, fast alles online zu kaufen, auch technisch anspruchsvolle Produkte wie E-Bikes“, hat Andrés Martin-Birner, Gründer und Geschäftsführer von Bike 24 festgestellt.

„Der Aufruf, Bus und Bahn nicht mehr zu nutzen und lieber auf das Rad umzusteigen, hat uns natürlich geholfen, dass wir heute dort stehen, wo wir stehen“, sagt Martin-Birner. Und das ist bei einem Jahresumsatz von knapp 200 Millionen Euro im Rekordjahr 2020, ein um Sondereffekte bereinigtes Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen von 26,7 Millionen Euro und fast 400 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. „Ich kann mich kaum daran erinnern, dass wir je so ein starkes Wachstum hatten“, so der Bike 24-Chef. Dabei ist der gebürtige Chemnitzer durchaus wachstumsverwöhnt. Bike 24 hat jedes Jahr seit der Gründung 2002 bei Umsatz und Ertrag zugelegt, in den letzten drei Jahren im Durchschnitt um 30 Prozent pro Jahr.

Der 46-Jährige, der selbst als Kind und Jugendlicher Radsport betrieb, sieht den Fahrradboom aber nicht als Corona-Trend, sondern als Teil des Megatrends Nachhaltigkeit und grüne Mobilität, zu der Bike 24 mit seinem Geschäft beitragen will. Das ist die Mission. Denn mit jedem verkauften Sattel, Helm oder Fahrrad würden die Kunden und Kundinnen animiert, häufiger in die Pedale zu treten. Wenn er seine Kinder früh zur Schule bringe, seien die Straßen voll mit Fahrradfahrern.

Die Geschäftsführung (v.l.n.r.): Martin Wünnenberg (CIO), Carsten Wich (CMO), Andrés Martin-Birner (Mitgründer & CEO), Lars Witt (Mitgründer, verantwortlich für Legal & Eigenmarken) und Timm Armbrust (CFO)
Die Geschäftsführung (v.l.n.r.): Martin Wünnenberg (CIO), Carsten Wich (CMO), Andrés Martin-Birner (Mitgründer & CEO), Lars Witt (Mitgründer, verantwortlich für Legal & Eigenmarken) und Timm Armbrust (CFO) © Bike24

Martin-Birner und sein Team sind überzeugt davon, dass der Fahrradboom also auch nach dem Ende der Pandemie anhalten wird, nicht zuletzt beflügelt durch die Investitionen der Bundesregierung in die Radinfrastruktur. 1,46 Milliarden Euro Fördergeld sollen in den Ausbau von Radwegenetzen in der Stadt und auf dem Land fließen wie auch in die Errichtung von Parkmöglichkeiten. Ähnliche Initiativen gibt es auch in anderen europäischen Ländern. Ein idealer Zeitpunkt, um in andere europäische Länder zu expandieren. Bike 24 hat die spanische Tochtergesellschaft Bike 24 Support ES.S.L gegründet, die mit geplanten 50 Beschäftigten von Barcelona aus den Markt in Südeuropa erobern soll. Auch soll der Online-Verkauf kompletter Fahrräder weiter gesteigert werden.

Warum die Südeuropäer auf einer Onlineplattform aus Sachsen shoppen gehen sollen, erklärt der Bike 24-Chef:. „Wir wissen, was wir können. Unsere Stärken sind ein großes Angebot, hohe Verfügbarkeit, gute Beratung und eine sehr, sehr schnelle Lieferung.“ In dem Lager in Dresden greifen Roboter die bestellten Teile aus 100.000 Boxen. Wenn ein Kunde bis 15 Uhr bestellt, dann bekommt er das Paket innerhalb Deutschlands in der Regel in 24 Stunden zugestellt. Um auch den Kunden und Kundinnen in Südeuropa ein ähnlich gutes Kauferlebnis bieten zu können, müsse jedoch lokalisiert werden. Spanien, Frankreich und Italien seien große Radsportnationen, aber die Menschen dort würden mit der deutschen Sprache etwas hadern.

Um richtig nah an die Kunden heranrücken zu können, müsse man vor Ort sein. Zurzeit wird nach einem geeigneten Standort für ein Logistikzentrum gesucht. Entstehen soll ein hoch automatisiertes Lager ähnlich wie in Dresden, „vielleicht nicht ganz so groß und mit so vielen Robotern wie in Sachsen“, so Martin-Birner. Er kalkuliert mit Investitionen in Höhe von zunächst zehn Millionen Euro. So viel hat auch das Automatiklager in Dresden gekostet, das gemeinsam mit der europäischen Beteiligungsgesellschaft Riverside finanziert wurde, die 2015 bei Bike 24 eingestiegen ist. Jetzt liegen verschiedene Optionen auf dem Tisch, um die Investitionen stemmen zu können. „Da schließen wir keine Möglichkeiten aus. Auch die Option eines Börsengangs wird aktuell geprüft“, verrät der studierte Betriebswirt. Die Entscheidung soll vielleicht schon nächste Woche fallen. Denn das Unternehmen will die Wachstumsdynamik des Marktes nutzen.

Ein eventueller Börsengang würde die Erfolgsgeschichte von Bike 24 krönen, die vor fast 20 Jahren in einem 15 Quadratmeter großen Appartement in Dresden begann, wo Andrés Martin-Birner und seine Mitgründer Falk Herrmann und Lars Witt ihre Leidenschaft zum Geschäft machten – den Radsport. Anfang der 2000er-Jahre konnte man viele Produkte und Marken nicht kaufen. Läden boten nur ein limitiertes Angebot an. So entstand die Idee, aus dem Bedarf und Hobby heraus einen eigenen Onlineshop aufzubauen.

Roboter greifen in dem hoch automatisierten Lager von Bike 24 auf die Waren zu. Foto: Jürgen Lösel
Roboter greifen in dem hoch automatisierten Lager von Bike 24 auf die Waren zu. Foto: Jürgen Lösel © Jürgen Lösel

„Doch es war gar nicht so einfach, bei den Lieferanten die berühmte Kundennummer zu bekommen“, erinnert sich der Bike 24-Mitgründer. Es gab viele Vorbehalte gegenüber dem Onlinevertrieb, die bis zu der Annahme reichten, dass das eine Modeerscheinung sei, die auch wieder vorbeigehe. So durften die Dresdner etwa zuerst Fahrradteile der bekannten US-Marke Specialized verkaufen, dann irgendwann Bekleidung, dann Fahrräder im Ladengeschäft und jetzt auch online. „Es war kein Sprint, sondern ein Marathon, mit viel Hartnäckigkeit Vertrauen aufzubauen“, sagt Martin-Birner. Auch erkannten die Hersteller, dass sie das Internet nicht ignorieren konnten.

Und wie behauptet man sich als Plattform aus Sachsen gegenüber Giganten wie Amazon? Als Bike 24 startete, verkaufte Amazon nur Bücher, war also kein großer Wettbewerber. Wichtiger ist: „Wir fokussieren uns vor allem auf Premiumkunden, die viel Rad fahren und eine große Auswahl an Produkten verfügbar haben wollen“, betont Martin-Birner. Mit einem Sortiment von 800 Marken und 77.000 Produkten sei Bike 24 führend in Europa und könne sich sehr gut gegenüber den Online-Versandriesen behaupten. „Wir sind der Fachhandel für jene, die alles mögen rund um das Fahrrad. Und das kann Amazon nicht.“ Das Unternehmen setzt mehr als 50 Mitarbeiter im Service ein, um Kundenfragen schnell beantworten zu können.

1,5 Millionen Pakete hat Bike 24 im vergangenen Jahr versandt. Nachhaltig soll nicht nur das Produkt sein, auch das Geschäftsmodell. So hat das Unternehmen 2019 begonnen, gemeinsam mit der Dekra zu analysieren, wie groß der ökologische Fußabdruck ist. „Unseren CO2-Ausstoß von 4.653 Tonnen haben wir im ersten Schritt vollständig mit Zertifikaten ausgeglichen. Jetzt, wo wir wissen, wie groß der Fußabdruck ist, können wir auch Maßnahmen entwickeln, den CO2 Ausstoß pro Paket zu reduzieren“, kündigt Martin-Birner an.