Feuilleton
Merken

Dresdens dicke rechte Lippe auf Youtube

Die umstrittene Doku „Lord of the Toys“ porträtiert eine erfolgreiche Dresdner YouTube-Clique, die gerne mal rechtsextreme Sprüche klopft.

 3 Min.
Teilen
Folgen
Eine Szene aus der Doku.
Eine Szene aus der Doku. © PR

Von Nadine Faust

Es gab einen Aufschrei: Kurz vor der Premiere von „Lord of the Toys“ im Oktober beim Dokfilmfest Leipzig wurde Protest laut, der Film lasse „kritiklos, ohne andere Sichtweisen darzustellen oder eine Einordnung vorzunehmen, Personen der rechten Szene zu Wort kommen.“ So das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“. „Schleichend trägt damit auch die Dokfilmwoche Leipzig zur Etablierung von Einstellungsmustern der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bei.“

André Eckardt von der Auswahlkommission des Dokfestivals begründet die Auswahl des Films folgendermaßen: „Dieses Thema wird selten dargestellt und ist für viele Neuland. Die Filmemacher vermitteln hier eine dieser Jugend eigene Sprache und eigene Codes, ein Lebensgefühl. Der Film lässt den Protagonisten dabei Raum zur Entwicklung – mehr als Interviews es könnten.“ Die Festivaljury goutierte diese Auswahl mit der Goldenen Taube für einen Langfilm im Deutschen Wettbewerb.

Hauptsache provozieren, damit sind die Dresdner Youtuber sehr erfolgreich.
Hauptsache provozieren, damit sind die Dresdner Youtuber sehr erfolgreich. © PR

Die Dresden-Premiere von „Lord of the Toys“ stand nun im Programmkino Ost an. Regisseur Pablo Ben Yakov und Kameramann André Krummel waren geladen, im Publikum auffällig viele junge Zuschauer und zum Start des Films viele Lacher zu hören. Als die Dresdner Youtuber und ihr Gefolge beispielsweise sich in aller Öffentlichkeit auf dem Wiener Platz betrinken. Als sie Würstchen im Backofen erwärmen. Als sie einem der ihren Deospray ins Gesicht sprühen und vom Vergasen sprechen. Von Drecksjuden und „Sieg Heil“.

Was zunächst vielleicht spielerisch anmutet, wird schnell Ernst. Provokation um jeden Preis. Wer den derbsten Spruch bringt, ist der Held. Kollegen werden gedemütigt und an den Pranger gestellt. Und während die einen noch lachen, schlucken die anderen schon – und atmen tief.

Pablo Ben Yakov und André Krummel vorzuwerfen, sie kommentieren dies nicht, ist zu kurz gefasst. Wenn Hauptprotagonist Max „Adlersson“ Herzberg, mit mehr als 300 000 Abonnenten eine Art Leitwolf der Youtube-Clique, seine Videos schneidet, dann scheint der Blick zwischen Lustlosigkeit und Kalkül zu changieren. Sammelt der sogenannte Hausherr seine letzten Habseligkeiten vom Bürgersteig auf, verspürt man Einsamkeit. Die wird vollends offenbar, wenn die Jungs ihren Kummer in Alkohol ersäufen und wie kleine Kinder an ihren Flaschen nuckeln.

Nicht umsonst ist der Titel des Films an den englischen Originaltitel von „Herr der Fliegen“ (Lord of the Flies) angelehnt: Auch hier existiert eine junge Parallelgesellschaft ohne spürbaren Einfluss von Erwachsenen. Besonders deutlich macht das die derbe, mitunter rassistische, homophobe oder anderweitig menschenfeindliche Sprache, die noch um den kleinsten Fetzen Aufmerksamkeit heischt. Und auch auf deutschen Schulhöfen und in den Klassenzimmern weiter verbreitet ist, als so mancher der fehlenden Erwachsenen glaubt.

Kameramann André Krummel betont, man habe bewusst auf einen Sprecher verzichtet und stattdessen filmische Mittel gewählt, um das Gesehene und Gehörte zu kommentieren – auch, um sich vom Stil der Youtube-Filmchen abzugrenzen. So sind es auch die immer wieder abgefilmten Wahlplakate zur Bundestagswahl 2017, die dem Film einen Rahmen geben. Ebenso ist es die zunehmende Tragik der Ereignisse. Sie lässt das Lachen im Publikum allmählich versiegen.

Dass die Freundin eines „Helden“ sich derart rechtsextrem äußere und wie die Situation auf dem Oktoberfest eskaliert sei, hätte ihn schon erschreckt, sagt ein Mann nach dem Film. Ein Großteil der Jugend ist da längst gegangen. Doch allein dieser Kommentar zeigt: Das Ansinnen von „Lord of the Toys“ funktioniert. Denn den Filmemachern geht es darum, ins Gespräch zu kommen und verschiedene Menschen im Kino zusammenzubringen. Das sei wichtiger als die Gefahr, Nachahmer zu animieren. Die kennen Max und seine Clique eh von Youtube – und nicht wegen eines Dokumentarfilms im Arthouse-Kino.

Am 8. Juni gibt es ein weiteres Filmgespräch im Thalia.