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Montagscafé findet Nachahmer

Projekte zur Integration von Flüchtlingen gibt es viele. Das Dresdner Montagscafé gilt als Vorzeigemodell - und Initiatorin Miriam Tscholl speist mit dem Bundespräsidenten.

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© dpa

Immer wieder montags demonstrieren in Dresden Anhänger der „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“, kurz Pegida. Das Montagscafé im Kleinen Haus des Staatsschauspiels steht im Kontrast dazu: Theaterfreunde, Bürger und Geflüchtete leben dort Weltoffenheit und Toleranz. Die Idee stammt von Miriam Tscholl - und soll Schule machen. Die Regisseurin am Staatsschauspiel zählt zu den 70 Bürgern aus ganz Deutschland, die Bundespräsident Joachim Gauck zum Neujahrsempfang am Dienstag im Schloss Bellevue geladen hat.

Die aus dem Schwarzwald stammende Tscholl geht auch beruflich gern ungewöhnliche Wege. Seit acht Jahren leitet die 42-Jährige die Dresdner Bürgerbühne, ein weiteres Modellprojekt aus der Elbestadt. Pendants oder Sparten, die Volks- oder Stadttheater heißen, gibt es inzwischen in vielen deutschen Großstädten und auch im Ausland: wie Borgenszenen in Aarhus oder Aalborg (Dänemark). Fünf Inszenierungen pro Spielzeit erarbeiten Tscholl und ihr Team - mit Fußballfans, Journalisten oder auch Männern in der Midlife-Crisis.

Mit der Flüchtlingskrise dann tat sich 2015 ein Konflikt auf, der auch die Bürgerbühne-Macher nicht kalt ließ. „Wir als Theater haben uns schon lange mit Fremdenfeindlichkeit und Migration beschäftigt, das Thema hat uns nicht überrascht“, sagt Tscholl. Angesichts von rechten Krawallen gegen Flüchtlinge war klar, dass „man nicht einfach Sommerferien machen kann, sondern helfen muss“, erinnert sich Tscholl. „Mein Chef sagte: Denk‘ Dir was aus!“

Das Team habe überlegt, was die Stadt braucht und Theater kann: Bürger zusammen- und in Begegnung mit Geflüchteten bringen. „Innerhalb von zwei Wochen war das einfach entstanden: Wir machten Möbel hin und die Türen auf“, beschreibt sie die Anfänge. „Es ist auch ein Versuch, den Montag zurück zu erobern und anders zu besetzen“, berichtet sie. Zudem hätten Geflüchtete an dem Tag, an dem sie sich eigentlich nicht aus dem Haus trauten, Solidarität und Freude erfahren. Letztendlich erhielten Vereine und Initiativen Raum für ihr Engagement.

Zum Auftakt kamen rund 250 Menschen - viel mehr als erwartet. Seitdem ist das Theaterfoyer in der Neustadt allwöchentlich von vielen Sprachen erfüllt: Kinder basteln, es gibt Brettspiele, Musik, Tanz, Film, Lesungen und - Theater. Für Tscholl ist es primär ein soziales Projekt, und es geht um Kunst. „Leute vom Montagscafé gehen auch ins Theater, das fördern wir und haben Inszenierungen in verschiedene Sprachen übersetzt.“ In den Bürgerbühne-Spielklubs, wo sich Laien treffen und ausprobieren können, wurden Plätze für Geflüchtete geschaffen. Und Tscholl hat im Montagscafé Akteure für Stücke mit arabischsprachigen Bürgern rekrutiert.

„Theater war schon immer eine Leidenschaft von mir“, sagt die große schlanke Frau, die schon in der Schule auf der Bühne stand. Trotzdem studierte sie zuerst Architektur, ehe sie zur Kulturwissenschaft wechselte: „Regie, das ist genau mein Ding.“ Mit ihrer freien Truppe inszenierte sie in Hildesheim, Leipzig, Hannover oder am Deutschen Theater Berlin, ehe Intendant Wilfried Schulz sie 2009 nach Dresden holte. Dort etablierte sie die Bürgerbühne als eigene Sparte, nachdem Volker Lösch dort zuvor mit dem Bürgerchor Furore gemacht hatte.

„Die Bürgerbühne ist ein bisschen ein Exportschlager geworden“, sagt Tscholl. Und auch ihr Montagscafé macht Schule. „Die Münchner Kammerspiele haben es sich angeschaut und machen es nun auch.“ Wilfried Schulz hat es zudem in Düsseldorf „kopiert“. Tscholl schlug sein Angebot aus, im Sommer 2016 mit an den Rhein zu wechseln. „Weil es hier noch nicht zu Ende ist, ich sehe noch viel Aufgabe und viele Möglichkeiten.“

Inzwischen kommen montags noch rund 80 Gäste. „Man merkt, dass viele Flüchtlinge in der Stadt andere Bezugspunkte haben und sich auch eigenständig treffen.“ Für Tscholl ist das Montagscafé auch Sensor der gesellschaftlichen Debatte und Situation der Geflüchteten, woraus sich thematisch schöpfen lässt.

„Theater ist immer sozial und ein Spiegel der Gesellschaft, und eben gestaltete Begegnung“, sagt sie. „Es geht auch um Auseinandersetzung, die Bühne lebt von Konflikten.“ Auch deshalb wünscht sie sich mehr Unterstützung vom Staat für den Treffpunkt, den das Theater aus Einnahmezuschüssen finanziert. „Es ist eine klare Zusatzaufgabe, für die es auch zusätzlich Geld geben sollte.“ (dpa)