Von Jörg Schurig
Dresden. Beim Wiederaufbau des Residenzschlosses in Dresden ist ein weiterer Abschnitt vollendet - die Teilrekonstruktion der Schlosskapelle aus dem 16. Jahrhundert. Am Mittwoch stellten die Staatlichen Kunstsammlungen als künftige Nutzer den Raum vor. Die Arbeiten an der protestantischen Kapelle hatten schon zu DDR-Zeiten begonnen. In den vergangenen drei Jahren folgte mit der Wiederherstellung des sogenannten Schlingenrippengewölbes der schwierigste Teil. Die Bauleute mussten eine Technologie der Gotik praktisch neu erfinden. Von dem historischen Gewölbe existiert nur ein Kupferstich. Künftig soll es für Konzerte und Vorträge genutzt werden. Die Rekonstruktion kostete insgesamt 3,5 Millionen Euro, 1,8 Millionen davon verschlang das Gewölbe.
Die Dresdner Schlosskapelle
Abgesehen von der Decke ist von der einstigen Pracht allerdings nicht viel übrig. Die Kapelle bleibt vorerst unverputzt und ein rein funktionaler Rau. Ein kirchliche Nutzung ist nicht vorgesehen. Ein originalgetreuer Ausbau würde einen weiteren Millionenbetrag kosten - Geld, das Sachsen momentan nicht hat. Ursprünglich hatte der Freistaat für den 1985 begonnen Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten Residenzschlosses 350 Millionen Euro veranschlagt. Nach heutigen Preisen kostet er 370 Millionen Euro. Ein Ende des Baus ist momentan noch nicht absehbar. Nach Darstellung von Ludwig Coulin, Chef der zuständigen Niederlassung im Staatsbetrieb Immobilien und Baumanagement, sind zwei Drittel des Wiederaufbaus geschafft. In diesem Jahrzehnt sei aber nicht mehr mit dessen Abschluss zu rechnen.
An ruhmreiche Zeiten anknüpfen
Die jetzt vollendete Kapelle dürfte die Herzen von Musik- und Architekturfans gleichermaßen erwärmen. Sie war einst Wirkungsstätte von Heinrich Schütz (1585-1672), dem ersten deutschen Komponisten von europäischem Rang. Die 1548 gegründete Hofkapelle machte die Schlosskapelle zu einem musikalischem Zentrum Europas. Der Leipziger Kirchenmusik-Professor Christoph Krummacher ging am Mittwoch davon aus, dass die Schlosskapelle an diese Zeiten wieder anknüpfen kann: „Ein internationales Interesse wird sich nahezu zwangsläufig ergeben. Wer sich mit der Musik der Spätrenaissance und des Frühbarock beschäftigt, kommt an diesem Raum nicht vorbei.“ Krummacher hofft, dass die Kapelle später auch wieder eine Orgel erhält.
Für die Architekten und Bauarbeiter avancierte das Schlingenrippengewölbe zu einer besonderen Herausforderung. In einem ersten Schritt stellten sie Baumstämme und Hilfskonstruktionen auf, um die Steine für die Gewölberippen exakt in Position zu bringen. Mit besonders gebrannten Ziegeln und Spezialmörtel wurde dann bogenförmig ohne unterstützende Schalung gemauert. Computer halfen dabei, die Geometrie des Raumes zu berechnen. „Für Gewölbe gibt es keine DIN-Norm, das muss man ausprobieren“, erklärte Coulin. Die Dresdner Bauleute verfügten nun über ein Spezialwissen. „Wir wären durchaus in der Lage, die Erasmuskapelle im Berliner Schloss originalgetreu zu rekonstruieren.“
Die Dresdner Schlosskapelle hat eine wechselvolle Geschichte. Sachsen-Kurfürst Moritz (1521-1553), Anhänger der lutherischen Reformation, ließ sie Mitte des 16. Jahrhunderts errichten. Nachdem August der Starke (1670-1733) 1697 als polnischer König den katholischen Glauben annahm, verlor die Kapelle ihre Bedeutung. Sie wurde 1737 abgerissen, an ihrer Stelle entstanden Verwaltungsräume. Zur Wende 1989 war die Kapelle als Rohbau fertig. Vorübergehend diente sie dem Staatsschauspiel als Interimsbühne. Am Mittwochabend war ein erstes Chorkonzert geplant, im Dezember soll es drei weihnachtliche Konzerte geben. Die Bevölkerung hat von Donnerstag bis Samstag Gelegenheit, die Kapelle zu besichtigen. (dpa)