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Droht ein Erziehernotstand?

Viele Kita-Mitarbeiter im Landkreis gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand. Höchste Zeit, zu handeln.

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© dpa

Von Tina Soltysiak und Dörthe Gromes

Döbeln/Freiberg. Ein Blick auf die Grafik sagt mehr als Tausend Worte: In absehbarer Zeit erreicht ein Großteil der gut 2 000 Erzieher in Kindergärten und Krippen im Landkreis Mittelsachsen das Rentenalter. Eine deutliche Mehrheit der Beschäftigten ist 45 Jahre und älter (siehe Grafik). Das geht aus einer Antwort des Freistaats auf eine Anfrage der Grünen-Landtagsabgeordneten Petra Zais hervor. „Zwar werden derzeit so viele Erzieher wie noch nie ausgebildet“, sagt die Politikerin. Dennoch stehe die Alterspyramide Kopf: Weit über 10 000 der aktuell rund 26 500 Beschäftigten in sächsischen Kitas sind über 50 Jahre alt. „Etwa ein Viertel des Personals ist älter als 55 Jahre,“ so die Abgeordnete.

Laut Auskunft der Arbeitsagentur Freiberg sind in Mittelsachsen derzeit 19 offene Stellen im Bereich Kinderbetreuung und -erziehung gemeldet, überwiegend in Teilzeit. Im Agenturbereich Döbeln sind es drei Stellen, davon zwei im Stadtgebiet und eine in Ostrau. Und tatsächlich, auf der Internetseite der Stadt Döbeln ist eine entsprechende Stellenausschreibung zu finden. „Auf diese haben wir eine erfreulich gute Resonanz erhalten. Derzeit laufen die Bewerbungsgespräche“, so Stadtsprecher Thomas Mettcher. Die Verwaltung sei optimistisch, dass sie mit den Neueinstellungen den künftigen Personalbedarf, der sich auch durch Schwangerschaft, Langzeitkrankheit und Erwerbsunfähigkeitsrente zusätzlich jederzeit ändern kann, absichern kann. „In den elf städtischen Kitas in Döbeln sind derzeit 119 Beschäftigte als Betreuungspersonal tätig. Sie haben ein Durchschnittsalter von etwa 43 Jahren“, teilte er auf DA-Nachfrage mit. Die Stadt geht davon aus, dass in den Jahren 2018 und 2019 etwa sieben Erzieherinnen altersbedingt ausscheiden.

Stelle im Schnitt 53 Tage unbesetzt

„Im Jahresdurchschnitt 2017 betrug die Vakanzzeit der gemeldeten Stellen in diesem Bereich im gesamten Landkreis 53 Tage“, erklärt Antje Schubert, Sprecherin der Arbeitsagentur Freiberg. Die Agentur für Arbeit habe aktuell mehr Nachfragen an Arbeitskräften als Bewerber gemeldet sind. „Insofern ist die Bedarfsdeckung aller Arbeitgeber schwierig. Aufgrund der Größe des Landkreises Mittelsachsen gestaltet sich die Besetzung der offenen Stellen schwierig“, so Antje Schuberts Einschätzung. Eine Vermittlung entsprechender Fachkräfte sollte im Umkehrschluss demnach angesichts der vorhandenen Angebote einfach sein. Doch so weit zur Theorie: „Praktisch kommen neben den bereits genannten Wegstrecken innerhalb des Kreises auch noch persönliche Rahmenbedingungen hinzu. Häufig haben es gerade junge Erzieherinnen, die eigene Kinder haben, schwer, in den erlernten Berufs einzusteigen, da zum Teil die Betreuung der eigenen Kinder problematisch ist“, so Antje Schubert.

Dass es nicht leicht ist, eine offene Stelle neu zu besetzen, bestätigte Simone Hönicke, stellvertretende Leiterin der Kita „Zwergenland“ in Lüttewitz: „Wir haben seit Oktober versucht, jemanden einzustellen. Gelungen ist uns dies erst im Dezember.“ Es hätte sich zwar eine Reihe Bewerber gemeldet. „Aber bis es für alle Seiten gepasst hat, hat es eben gedauert“, sagte sie. Träger der Einrichtung ist ein Elternverein. Sieben Erzieherinnen kümmern sich um 60 bis 62 Kinder vom Kita- bis zum Hortalter. „Wir jonglieren mit unseren Stunden übers Jahr, damit es passt“, sagte Simone Hönicke.

Die Rahmenbedingungen für den Erzieherberuf in Sachsen seien schlechter als in anderen Bundesländern, findet Andreas Giersch, Sekretär der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Sachsen (GEW). Deshalb würden viele sächsische Absolventen später anderswo Arbeit suchen. Ein Problem sei nicht nur die Bezahlung, sondern die permanente Zeitnot des Personals. „Wir fordern, dass Zeit für Elterngespräche, Dokumentation der Arbeit und Teamberatungen in die Arbeitszeitkalkulation einbezogen wird“, sagt der GEW-Vertreter. Auch sei der Betreuungsschlüssel in Sachsen ungünstiger als in anderen Bundesländern, sprich: Ein Erzieher muss mehr Kinder betreuen. Ein verbesserter Betreuungsschlüssel allerdings erhöhe auch den Bedarf an Erziehern. Die Anpassung des Schlüssels ist mit der nächsten Regulierung im Herbst 2018 abgeschlossen „und bei weitem nicht zufriedenstellend“, meint Jörg Hirschel, Vorstandsvorsitzender des DRK Kreisverbandes Döbeln-Hainichen. Das DRK hat im Herbst des vergangenen Jahres die Trägerschaft der Kita Knobelsdorf übernommen. Sieben Pädagogen kümmern sich um die Kinder. Der Altersdurchschnitt im Kreisverband liege bei 42 Jahren. „In all unseren Kitas gehen in den nächsten fünf Jahren fünf Kollegen in Rente“, so Hirschel.

Er pflichtet GEW-Vertreter Giersch bei, was die Mängel betrifft: Die Berechnung des Personalschlüssels basiere auf der neunstündigen Betreuung. „Es gibt jedoch auch weitere Platzangebote – wie 4,5, sechs oder 7,5 Stundenplätze. Damit tritt eine Verschlechterung des Personalschlüssels ein“, so Jörg Hirschel. Er ergänzte: „Es sind weiterhin keine Vor- und Nachbereitungszeiten, keine Ausfallzeiten wie Urlaub, Krankheit oder Weiterbildung berücksichtigt. Es erfolgt keine personelle Anpassung bei der Betreuung von Kindern im Alter unter einem Lebensjahr. Auch längere Öffnungszeiten finden keine Berücksichtigung.“ Alle Forderungen aus dem sächsischen Bildungsplan zur Zusammenarbeit mit Familien, wie Elterngespräche, Elternveranstaltungen würden in den momentanen Schlüssel nicht einfließen: „Dokumentationen, Fachgespräche, Fallbesprechungen sind nicht vorgesehen, jedoch extrem wichtig für eine gelingende pädagogische Praxis“, erläuterte er. Ein weiteres Problem stelle die Freistellung der Kitaleitung dar – „auch für kleinere Einrichtungen, wo momentan immer der Balanceakt zwischen Gruppenarbeit und administrativen Aufgaben am Schreibtisch besteht“, so Hirschel.

Verschiedene Betreuungsverträge

Ähnliche Erfahrungen schildert Ute Behrisch. Sie leitet seit zehn Jahren den evangelischen Kindergarten St. Florian in Döbeln. „Eine Erzieherin arbeitet im besten Fall 40 Stunden pro Woche. Die Betreuungsverträge sind pro Kind für neun Stunden abgeschlossen. Das macht 45 Stunden. Schon da geht die Rechnung nicht auf“, sagte sie. Elterngespräche während der Schlafenszeit der Kinder zu führen, gelinge eher selten. Meist würden diese nach 17 Uhr stattfinden. „Wenn die Erzieherinnen dadurch länger bleiben müssen, wird das auf einem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben“, so Ute Behrisch. Dasselbe gelte für die monatlichen Dienstberatungen. „Da kommen schon einige Stunden zusammen. Aber es geht ja nicht, dass eine Erzieherin einfach mal so einen Tag zuhause bleibt. Wir versuchen, Überstunden in den Ferienzeiten abzubauen, wenn weniger Kinder zu betreuen sind“, sagte sie. Insgesamt zwölf Erzieher kümmern sich um derzeit 78 Kinder im Alter zwischen einem und sechs beziehungsweise sieben Jahren. „Wir haben fünf Integrativplätze. Da greift ein anderer Betreuungsschlüssel“, sagte sie. Die jüngste Erzieherin im Team sei gerade 30 Jahre alt geworden, die älteste sei knapp über 50.