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Droht jetzt ein Apotheken-Sterben?

Der Europäische Gerichtshof kippt die Preisbindung für Medikamente. Apotheker sehen das mit Sorge.

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© Thorsten Eckert

Von Ingolf Reinsch

Egal, ob in Berlin oder Bischofswerda – für ein rezeptpflichtiges Medikament zahlen Patienten in Deutschland überall den gleichen Preis. Dafür sorgt eine gesetzlich geregelte Preisbindung, die der Europäische Gerichtshof jetzt in Frage gestellt hat. Zur Begründung heißt es, die Preisbindung behindere den freien Warenverkehr. Damit könnten Patienten künftig ihre Medikamente auch bei einer billigeren ausländischen Versandapotheke bestellen.

In nächster Zeit wird sich durch das Urteil der Luxemburger Richter für die Patienten nichts ändern, erwarten Apotheker im Landkreis Bautzen. Denn für die Apotheken in Deutschland gilt die Preisbindung weiterhin, während ausländische Mitbewerber den Verbrauchern Rabatte einräumen dürfen. Auf lange Sicht könnte die Apotheken-Landschaft dadurch jedoch durcheinandergewirbelt werden. Von den 64 Apotheken, die es im Kreis Bautzen zurzeit gibt, könnten vor allem kleinere dem wachsenden Wettbewerbsdruck künftig nicht mehr gewachsen sein, befürchten Apotheker in einer SZ-Befragung.

Wohnortnahe Versorgung ist nicht mehr finanzierbar

„Für uns ergibt sich ein Wettbewerbsnachteil“, sagt Andreas Keller, Inhaber der Adler-Apotheke in Neukirch. Langfristig sieht er die Gefahr eines „Apotheken-Sterbens, vor allem im ländlichen Raum“. Damit steht er nicht allein. „Wenn der Gesetzgeber nicht gegensteuert, wird es mittel- bis langfristig das Aus für einige Apotheken geben“, sagt auch Karsten Drobny, Inhaber der Stadt-Apotheke Kamenz. Durch die Einnahmen im verschreibungspflichtigen Markt werden Leistungen wie Notdienste und Rezepturen mit finanziert. Leistungen, die Versandapotheken nicht erbringen.

Sollten viele chronisch kranke Patienten ihren planbaren Bedarf bei ausländischen Versandapotheken decken, bliebe für die Apotheke vor Ort nur noch die Eilversorgung in Akutfällen sowie das Herstellen von Rezepturen und die Lieferung von Betäubungsmitteln – beides Verlustgeschäfte, sagt die Inhaberin der Bautzener Stadt-Apotheke Sylvia Janze. „Eine persönliche und wohnortnahe Versorgung der Patienten ist so nicht mehr finanzierbar.“

Aus Sicht von Dr. Thomas Köhler, Inhaber der Radeberger Löwen-Apotheke, werden die Auswirkungen weniger gravierend sein. „Selbst wenn ein Arzneimittelversender aus dem Ausland nun rezeptpflichtige Medikamente billiger anbietet, wird der Patient davon in vielen Fällen kaum etwas spüren. Der Patient zahlt ja nur einen kleinen Teil des Medikamentenpreises in Form der Zuzahlung selbst, und zwar auch nur, wenn er zuzahlungspflichtig ist“, sagt er.

Jetzt muss die Politik reagieren

Apotheker im Kreis erwarten von der Bundespolitik, dass sie reagiert. Denkbare Optionen sind aus ihrer Sicht ein Versandverbot für rezeptpflichtige Medikamente, eine unterschiedliche Vergütung für Versender und Vor-Ort-Apotheken – und theoretisch auch eine Preisfreigabe für alle Anbieter. Letzteres halten die befragten Apotheker aber nicht für gut. „Wir würden uns dann nur über den Preis definieren. Das kann keiner wirklich wollen. Arzneimittel sind eine besondere Ware, die man mit anderen Dingen nicht vergleichen kann“, sagt Riko Kliemann, Chef der Bischofswerdaer Regenbogen-Apotheke. „Rezeptpflichtige Arzneimittel sind hochwirksame Substanzen. Hier sollte nicht willkürlich ein Verbrauch initiiert oder manipuliert werden können. Das Motto „Nimm 3, zahle 2“ wäre fehl am Platze“, sagt Dr. Thomas Köhler. – „Fällt die Preisbindung generell, muss das nicht unbedingt preiswerter für den Verbraucher werden“, erwartet Sylvia Janze. Sie zitiert aus der Urteilsbegründung des Gerichtshofes: Die Versorgung auf dem Lande könne sichergestellt werden, wenn Apotheken dort mit weniger Wettbewerb höhere Preise verlangen könnten.

Anne-Katrin Wiesemann von der Verbraucherzentrale Sachsen differenziert: „Vor allem chronisch Kranke können sparen, wenn sie ihre planbaren Medikamente bei einem preiswerteren Versandhändler bestellen“, sagt sie. Auch Versandhändler bieten Beratung an, indem sie kostenfreie Hotlines schalten. Für Akutfälle wird aber weiterhin die Apotheke vor Ort gebraucht.

Erste Erfahrungen mit Versandhändlern haben hiesige Apotheker bereits. Der Markt für Medikamente, die nicht rezeptpflichtig sind, wurde bereits liberalisiert. Die Auswirkungen sind noch überschaubar, sagt Karsten Drobny. Aber sie sind auch bereits zu spüren. „Die billigen Preise im Netz spielen schon eine Rolle. So gibt es Patienten, die sich ausführlich vor Ort beraten lassen, um dann billig im Internet zu kaufen“, sagt Sylvia Janze.