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„Als hätte sich die erste Freundin von einem getrennt“

Benjamin Kirsten spricht so offen wie noch nie über seinen Abschied bei Dynamo - und er verrät, wie Ralf Minge auf seine Bengalo-Aktion reagiert hat.

Von Sven Geisler
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23. Mai 2015: Benjamin Kirsten wird nach sieben Jahren bei Dynamo von Sportdirektor Ralf Minge verabschiedet. Trotz der schmerzhaften Trennung haben sie ein entspanntes Verhältnis.
23. Mai 2015: Benjamin Kirsten wird nach sieben Jahren bei Dynamo von Sportdirektor Ralf Minge verabschiedet. Trotz der schmerzhaften Trennung haben sie ein entspanntes Verhältnis. © Robert Michael

Dresden. Eigentlich könnte er ihm böse sein, ihn verantwortlich machen für seinen Karriereknick. Aber Benjamin Kirsten sagt, sein Verhältnis zu Ralf Minge sei genauso gut wie vor fünf oder zehn Jahren. „Ich freue mich, wenn ich ihn sehe, wir Kaffee trinken und über viele Dinge reden können, nicht nur über Fußball “, sagt der einstige Torwart von Dynamo Dresden über den ehemaligen Sportgeschäftsführer.

Sie kennen sich, seit der kleine Benny seine ersten Schritte gemacht hat. Minge, der Freund seines Vaters Ulf, hat ihm als Erster ein Dynamo-Trikot geschenkt. Das erzählt Kirsten junior in einem exklusiven Interview für „Schwarz-Gelb“, das Dynamo-Magazin der SZ. „Da muss ich sechs, sieben Jahre alt gewesen sein.“ Bei Bayer Leverkusen hatte Minge als Nachwuchschef und Trainer der U23-Auswahl beobachtet, wie entschlossen der junge Torhüter an seinem Talent arbeitet. Aber als er im Januar 2008 zum ersten Mal daran dachte, ihn nach Dresden zu holen, hatte sich Kirsten gerade nach Mannheim ausleihen lassen. Als er das erfuhr, „habe ich im Hotelzimmer gesessen und wirklich bitterlich geweint“, erinnert er sich.

Ein halbes Jahr später klappte es dann, aber für viele galt die Verpflichtung von Benny Kirsten als Freundschaftsdienst von Minge für seinen Kumpel Ulf. Das sei ihnen bewusst gewesen. „Ralf hat mir klipp und klar gesagt: ,Pass auf, Benny, du hast diese Bürde, aber wir stellen ein Gesamtpaket auf, das für dich und den Verein passt.‘“ Innerhalb von drei Jahren schaffte der nur 1,82 Meter große Kirsten den Sprung zur Nummer eins, wurde in der Saison 2012/13 bester Torwart und nach Noten des Fachmagazins Kicker sogar bester Spieler in der zweiten Liga. „Ohne meinen Vater“, wie er immer noch fast trotzig anmerkt.

"Sag mal, bist du bescheuert, hast die eine Vollmeise?"

Allerdings war Kirsten kein Musterknabe, nach dem Sieg mit Dynamos zweiter Mannschaft im Sachsenpokal 2009 lief er mit einem brennenden Bengalo auf den Rasen des Leipziger Stadions. Das sorgte für Aufsehen. „Ja, und natürlich kam der erste Anruf von Ralf Minge“, spricht er jetzt offen darüber. „So hatte ich den noch nie erlebt. Ich werde nie vergessen, wie er mich rundgemacht hat. Da ist mir die Kinnlade runter gefallen: ,Sag mal, bist du bescheuert, hast die eine Vollmeise? Es lief hier alles nach Plan und du zündest so ein scheiß Bengalo.‘ Ich habe versucht, mich zu rechtfertigen, weil ich nun mal so bin. ,Ich weiß, dass du so bist, es ist trotzdem Scheiße.‘ Pause, nächster Satz: ,Aber wir kriegen das hin!‘ Das muss man betonen: Ralf will immer das Beste für den Spieler.“

Mit dem Megafon in der Hand im K-Block: Benjamin Kirsten war schon als Kind Dynamo-Fan und wollte immer für den Verein spielen, bei dem schon sein Vater Ulf erfolgreich war. Von 2008 bis 2015 hat er den Traum gelebt - und das sehr erfolgreich.
Mit dem Megafon in der Hand im K-Block: Benjamin Kirsten war schon als Kind Dynamo-Fan und wollte immer für den Verein spielen, bei dem schon sein Vater Ulf erfolgreich war. Von 2008 bis 2015 hat er den Traum gelebt - und das sehr erfolgreich. © Robert Michael

Minges Rat: „Du musst einen Weg finden, deine Leidenschaft und deine Emotionen zu kanalisieren in Leistung.“ Kirsten hat mit der Hilfe eines Mentaltrainers gelernt, anders mit Problemen umzugehen. „Das hat mir geholfen, ein höheres Leistungslevel zu erreichen.“ Trotzdem war für Kirsten bei Dynamo nach 74 Einsätzen in der zweiten und 45 in der dritten Liga im Frühjahr 2015 plötzlich Schluss.

„Ich ahnte, was kommt“, sagt Kirsten und spricht so offen wie noch nie über die Trennung: „Ralf hatte mich zu einer sehr unchristlichen Zeit in die Kabine gerufen, die Jeansjacke an. Das heißt entweder Spieltag oder Tag der Trennung. Es war ein Gespräch von einer Minute. Er hat mir die Gründe sachlich mitgeteilt, das musste ich akzeptieren.“ Nennen will er sie nicht, es sei eine Entscheidung im Sinne des Vereins gewesen, seines Vereins, betont Kirsten. Man ahnt also, dass es eine Bedingung von Uwe Neuhaus gewesen sein dürfte, als Trainer zu Dynamo zu kommen.

„Natürlich ist für mich eine Welt zusammengebrochen. Man merkt, es wird einem schwummrig, man muss sich setzen. Ich hatte sofort einen trockenen Mund. Danach haben wir zehn Minuten schweigend gesessen. Man fühlt sich so, als hätte sich die erste Freundin von einem getrennt. Das war für uns beide sehr emotional“, berichtet Kirsten weiter.Er fand danach lange keinen Verein, war in den USA, spielte in den Niederlanden und ab 2016 bei Lok Leipzig. Trotzdem habe er Minge das nicht übelgenommen. „Er war ja nicht schuld. Ralf hat versucht, mir zu helfen, aber mir war in der Situation nicht zu helfen. Ich war zu spät auf dem Transfermarkt, die Vereine waren verunsichert, es sind eine Menge Gerüchte herum gegeistert.“

Kirsten hat sich im Juni einer Meniskustransplantation unterzogen, kämpft mit 33 um ein mögliches Comeback, Minge ist seit 1. Juli nicht mehr Geschäftsführer. Sie beide verbindet nicht nur die Erinnerung an gemeinsame Zeiten bei Dynamo.

T. Meyer, S. Geisler, D. Klein: Schwarz-Gelb. Die verrückteste Dynamo-Saison. Magazin. 140 Seiten. 8,90 €. Verlag: DDV-Lokal; online: www.ddv-lokal.de
T. Meyer, S. Geisler, D. Klein: Schwarz-Gelb. Die verrückteste Dynamo-Saison. Magazin. 140 Seiten. 8,90 €. Verlag: DDV-Lokal; online: www.ddv-lokal.de © DDV-Lokal