Von Andreas Landwehr, Peking
Krieg will keiner, aber fürchten tun sie ihn nicht. Chen Changfeng, der die Schnapsproduktion im fernen Jiangsu für den Volkskongress in Peking zurückgelassen hat, meint: „Krieg oder nicht, jeder einzelne Chinese sorgt sich um die Wiedervereinigung des Landes.“ Unvermeidbar wie ein Naturgesetz klingt es, wenn der Delegierte sagt: „Wenn die Einheit oder Volksgemeinschaft bedroht sind, muss ein Krieg begonnen werden.“ Ob alle in seiner Provinz so denken? „Ja, alle Leute“, glaubt er. „Egal, wie viel geopfert werden muss – die Nation darf nicht geteilt werden.“
Trotz des Säbelrasselns gegen Taiwan ist die Stimmung auf der Tagung des Volkskongresses allerdings keineswegs kriegerisch, nur eben patriotisch wie immer. Es ist ein altes Ritual. Jedes Jahr im März kommen die knapp 3 000 Delegierten aus allen Teilen des Landes zusammen. Das Wetter meint es gut mit den Delegierten. Der eisige Wind hat sich gelegt, die Sonne scheint. Keine Wolke am blauen Himmel, auch keine Kriegswolken, doch spricht Taiwans Präsident Chen Shui-bian von „dunklen Wolken“, sollte der Volkskongress das Anti-Abspaltungsgesetz gegen die Unabhängigkeitskräfte in Taiwan annehmen. Der Text ist noch geheim, doch so viel steht fest: Selbst wenn nur von „nicht friedlichen Mitteln“ die Rede ist, kann sich China sogar auf „Rechtstaatlichkeit“ berufen, wenn die Raketen auf die Inselrepublik zufliegen sollten.
Wird das Gesetz zum Krieg führen? „Nein, nein, absolut nicht“, beteuert Cai Yaoxin, die Peking-Opern im beliebten Kunqu-Stil singt, wenn sie nicht ihren Pflichten als Delegierte nachkommt. „Ich denke, das Gesetz wird die Wiedervereinigung fördern und unsere „große Brust“ zeigen“, bemüht die Opernsängerin einen chinesischen Begriff, der Toleranz, vielleicht auch Flexibilität andeuten soll.
Damit die Töne nicht ungehört über der Meerenge von Taiwan verhallen, spricht Ministerpräsident Wen Jiabao auch von einer starken und gerüsteten Volksbefreiungsarmee als dem „Garanten“ für die Wiedervereinigung, denn ohne militärischen Druck wären die „Brüder und Schwestern“ in Taiwan überhaupt nicht dazu zu bewegen. Und eines ist ohnehin klar: „Niemals darf sich Taiwan von China abtrennen“ – obwohl es schon mehr als fünf Jahrzehnte von Festland-China getrennt ist.
Ignoriert werden auch die enormen Kosten eines Militärschlages. 100 Milliarden Dollar soll Taiwan heute in China investiert haben. Der Handel zwischen beiden Seiten stieg vergangenes Jahr um 33 Prozent auf 61 Milliarden US-Dollar. Der Preis einer Eroberung spielt für den Abgeordneten Li aus der armen Provinz Henan aber keine Rolle: „Niemand kann den Willen der 1,3 Milliarden Chinesen aufhalten. Alle anderen Probleme werden dann klein. Die Wiedervereinigung ist das Wichtigste.“ (dpa)