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Ehemaliger Gasthof kommt unter den Hammer

Das denkmalgeschützte Haus in Reichenau hat eine bewegte Geschichte. Jetzt könnte ein neues Kapitel beginnen.

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© Egbert Kamprath

Von Anja Ehrhartsmann

Reichenau. Verlassen steht der alte Gasthof an der Durchgangsstraße in Reichenau. Der Putz an der Außenfassade bröckelt, auch die Bretterverkleidung an Giebel und Obergeschoss könnte einen neuen Anstrich vertragen. Rein optisch erinnert kaum mehr etwas an den Glanz vergangener Tage. Denn einst war der Gasthof Kempe ein beliebter Treffpunkt in Reichenau. Sie selbst habe noch schwache Kindheitserinnerungen an das Marionettentheater, das früher regelmäßig im großen Saal aufgeführt wurde, erklärt Ortschronistin Katharina Hartwig. Seit 1950 wurde der Saal für verschiedene Anlässe genutzt: Manch einem dürften wohl noch die Tanzveranstaltungen im Gedächtnis sein, die alle 14 Tage nicht nur viele Reichenauer aufs Parkett lockten, sondern auch viele Leute aus den umliegenden Orten. Und wem es noch etwas an Übung fehlte, der konnte die Tanzstunden besuchen, die ebenfalls im großen Saal stattfanden. Auch Filme wurden dort regelmäßig gezeigt. Abgesehen von den Veranstaltungen im Festsaal herrschte regulärer Gaststättenbetrieb. Die Wirtsleute Johannes „Hans“ und Erika Kempe vermieteten außerdem drei Fremdenzimmer.

Der Gasthof war seit 1873 im Besitz der Familie Kempe. Friedrich Robert Kempe kaufte damals den noch nicht fertig gebauten Gasthof von einem Herrn Feistner, dem das Geld ausgegangen war. Im Herbst desselben Jahres fand bereits die Saalweihe statt. Außerdem eröffnete im ehemaligen Stall auch schon der kleine Gemischtwarenladen mit Getreide- und Futtermittelverkauf, den auch Hans und Erika Kempe noch betrieben. Das Ehepaar hatte den Gasthof samt Seitengebäude nach seiner Heirat 1945 von Emil Hugo Kempe übernommen, dem Vater Hans Kempes. Vermutlich war es anfangs keine leichte Zeit für die frisch Vermählten. Denn laut Ortschronik ging im Zweiten Weltkrieg 80 Prozent der Gaststätteneinrichtung verloren. 1946 waren dann Kriegsgefangene aus Frankreich und Belgien im Gasthof untergebracht. Zeitgleich richtete sich im Seitengebäude die Strohschuhfabrik Voigt ein, die dort bis 1949 blieb. Im selben Jahr wurden Räume als Ausweichlager für Getreide und Düngemittel an die landwirtschaftliche Dorfgenossenschaft verpachtet, und im Seitengebäude wurde eine Hengstdeckstation eingerichtet. „Die Gaststätte war währenddessen weiterhin in Betrieb“, vermutet Katharina Hartwig. Und das blieb fast bis zur Wende so. „1986 wurde 40 Jahre Gastwirtschaft und Gemischtwaren von Hans und Erika Kempe beendet“, so steht es in der Chronik geschrieben. „Sie haben das aus Altersgründen aufgegeben, einen Nachfolger gab es nicht“, weiß Katharina Hartwig. Die Eheleute wohnten anschließend noch einige Zeit in dem Haus, doch mittlerweile steht es schon seit etlichen Jahren leer.

Das könnte sich nun aber bald ändern, denn das sanierungsbedürftige Gebäude soll auf der Sommer-Auktion der sächsische Grundstücksauktionen AG am Montag in Dresden höchstbietend versteigert werden. Das Mindestgebot liegt bei 3 000 Euro. Laut Objektbeschreibung ist das Grundstück fast 1 500 Quadratmeter groß, die Nutzfläche beträgt etwa 500 Quadratmeter. Der ehemalige Gasthof mit Gaststätte, Saal, Wirtschaftsräumen und Wohnräumen steht unter Denkmalschutz. Nur zum Teil gibt es eine Ofenheizung. Die vorhandene Sanitärausstattung ist unbrauchbar. Fenster und Türen sind alt, die Treppe ist massiv. Das Satteldach ist überwiegend mit Asbestschindeln gedeckt und stellenweise undicht.

Die Versteigerung ist am Montag, 4. Juni, ab 11 Uhr im Hotel Elbflorenz Dresden. Der Auktionskatalog ist im Internet einsehbar unter www.sga-ag.de