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„Eher Glück, dass es in Görlitz so ruhiggeblieben ist“

Joachim Trauboth ist neuer Flüchtlingsbeauftragter der hiesigen SPD. Er spricht über Cottbus und Willkommenskultur.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Matthias Klaus

Görlitz. Ob auf dem Marienplatz oder auf dem Kornmarkt in Bautzen – Auseinandersetzungen zwischen Flüchtlingen und Deutschen gab es in der Vergangenheit immer wieder. In Görlitz zumindest ist derzeit Ruhe eingekehrt. Ganz anders sieht es bei den nördlichen Nachbarn aus. In Cottbus gilt seit Januar eine Zuzugssperre für Flüchtlinge. Hintergrund sind gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Migranten. Die SZ sprach über das Thema mit Joachim Trauboth. Er ist der neue Beauftragte der Görlitzer SPD für Migration und Integration.

Herr Trauboth, ist eine Situation wie derzeit in Cottbus in Görlitz denkbar?

Ja klar! Das ist überall möglich, wo Menschen in Angst voreinander leben. Dabei spielt es keine Rolle ob diese Angst real oder beigebracht wurde. Und das ist kein spezifisch ostdeutsches Problem.

Angst beigebracht? Wie meinen Sie das?

Die Problematik um Einwanderung und zum Beispiel Asyl wird künstlich aufgebauscht. Man darf nicht vergessen, das in Görlitz nur rund 700 Menschen aus Syrien leben. Das sind nur 1,5 Prozent der Görlitzer Bevölkerung. Darunter viele Kinder und Frauen. In den sozialen Medien, etwa auf Facebook, werden täglich Geschichten über kriminelle Ausländer erzählt. Dadurch entsteht der Eindruck, dass jeder Mensch mit schwarzen Haaren und Kopftuch ein potenzieller Verbrecher ist. So werden negative Emotionen und Ressentiments bis hin zu Fremdenhass gegen Ausländer gezüchtet. Wenn Geflüchtete merken, dass ihnen Hass entgegenschlägt, ist keine Integration möglich. Ein Gegenmittel gegen Hass und Angst ist Begegnung. Und darum werden wir uns in der SPD verstärkt bemühen.

Im Sommer 2016 kam es zu Auseinandersetzungen auf dem Görlitzer Marienplatz.

Dort haben sich Jugendliche unterschiedlicher Nationalitäten gegenseitig provoziert. Da ist ein Einwirken auf Deutsche und Geflüchtete notwendig. Aber gehen Sie mal abends über den Wilhelmsplatz und schauen sich an, wie sich dort manche deutsche und polnische Jugendliche benehmen. Da kommen Sie schnell zu dem Eindruck, dass wir kein Ausländer- sondern ein Jugendproblem haben.

Halten Sie Görlitz in Bezug auf die Flüchtlingsproblematik heute für eine friedliche Stadt?

Ja, Gott sei Dank ist es so. Aber es gibt Kräfte, die wollen, dass es nicht so bleibt. Wie gesagt: Die sozialen Medien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Dort wird täglich gehetzt.

Aber es gibt doch jetzt das neue Netzwerkdurchsetzungsgesetz, mit dem gerade diese Hetze eingedämmt werden soll.

Das können Sie vergessen. Wenn man Rassismus und Fremdenhass meldet, hat das in 70 Prozent der Fälle keine Konsequenzen. Ich halte es auch nicht für richtig, das Risiko der Hetze zu relativieren, wenn man sagt, da schreibt doch nur eine kleine Gruppe, vielleicht etwa 30 Leute. Denn gelesen werden die Einträge von wesentlich mehr Personen. Ich glaube, dass es eher Glück ist, dass es in Görlitz so ruhig geblieben ist. Es bedarf nur eines Anlasses, um hier den gleichen Ärger zu haben wie jetzt in Cottbus.

Der Landkreis Görlitz setzt auf die dezentrale Unterbringung Geflüchteter.

Ja, Stadt und Kreis können stolz darauf sein. Für Menschen, die in großen Heimen leben, ist der Zustand schrecklich. Außerdem: Für Integrationshelfer ist es doch wesentlich leichter, Geflüchtete in ihren Wohnungen aufzusuchen, dort mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Allerdings gibt es ja derzeit wieder Bestrebungen, Geflüchtete aus Kostengründen in Gemeinschaftsunterkünften unterzubringen. Der Landkreis will das ja noch prüfen. Wenn es so kommen würde, würde die Arbeit der ehrenamtlichen Flüchtlingshelfer ad absurdum geführt. Ob es so kommt, müssen wir abwarten.

Wie viele Geflüchtete kann Görlitz aus Ihrer Sicht noch vertragen?

Wenn Görlitz weitere Geflüchtete aufnimmt, muss die Stadt auch in der Lage dazu sein. Ich denke unter anderem an Kita- und Schulplätze. Wohnungen sind wohl eher in Görlitz nicht das Problem. Aber es sind dann auch das Land und der Bund gefragt, die entsprechenden Möglichkeiten zur Integration bereitzustellen.

Sie sind Rentner. Warum haben Sie den Job als Migrationsbeauftragter der SPD übernommen?

Meine Frau und ich sind seit unserer Studentenzeit in Münster in der Integrationsarbeit ehrenamtlich tätig. Damals haben wir dort den deutsch-afrikanischen Club gegründet, weil afrikanische Studenten schikaniert wurden. Während des Kosovokrieges habe ich in meiner Firma Jobs an Menschen aus dem Kosovo vergeben. Als wir in Görlitz ankamen, war gerade das Willkommensbündnis in der Diskussion. Ich hatte die Öffentlichkeitsarbeit übernommen und dabei auch den damaligen Bundestagsabgeordneten Michael Kretschmer kritisiert, weil ich der Meinung war, dass er Ressentiments gegen Geflüchtete unterstützt hatte. Zudem habe ich die demokratischen Parteien gebeten, eine Leuchtturmfunktion zu übernehmen, was Willkommenskultur, Hilfsbereitschaft und Toleranz in Görlitz betrifft. Das Ergebnis dieser Aufforderung war für mich weder ausreichend noch befriedigend. Stattdessen hat man den rechten Kräften der Stadt viel Argumentationsraum überlassen. Nun wundert man sich über das hohe Wahlergebnis, das die Rechtspopulisten hier in Görlitz erzielen konnten.

Mögen Sie Görlitz?

Ja, sehr! Görlitz ist eine Stadt von überschaubarer Größe mit einem großartigen kulturellen Angebot mitten in der Oberlausitz. Und es ist großartig, wie viele Menschen sich hier für Geflüchtete einsetzen. Viele von den Flüchtlingshelfern kenne ich persönlich. Gut finde ich, dass auch viele junge Leute darunter sind, die sich für ein friedliches Zusammenleben in der Stadt einsetzen. Sie machen ihre Arbeit meist ruhig, ohne großartiges Tamtam. Das kann man von der Seite der Asylkritiker nicht unbedingt behaupten.