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Schwere Frage nach der Heimat

Geboren in Kasachstan, jetzt zu Hause in Neuschmölln. Was aber ist Heimat? Angelina Burdyk fand darauf ihre eigene Antwort.

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© Steffen Unger

Constanze Knappe

Auf dem Klavierbord stehen Noten bereit. Zum Spielen wird Angelina Burdyk heute nicht kommen. Die vierfache Mutter hat in den Ferien jede Menge Trubel. Die Familie lebt in einem Häuschen in Neuschmölln. Vorher in Dresden habe es ihr richtig gut gefallen. Dort hat Angelina Burdyk auch ihren Mann kennengelernt. Viktor ist Tierarzt, doch Arbeit war für ihn in der Großstadt nicht zu bekommen. Also suchten sie ein Haus auf dem Lande und wurden in Neuschmölln fündig. Es sei ein bisschen paradox. „Während die Jugend aus der Oberlausitz weggeht, weil sie hier nicht die richtige Arbeit bekommt, fand mein Mann gerade in dieser Region einen Job“, sagt sie. Viktors Chef und dessen Frau seien wie Großeltern für die Kinder. Seit zehn Jahren lebt die Familie jetzt hier, hat ein gutes Verhältnis zu den Nachbarn. Ob der Ortsteil der Gemeinde Schmölln-Putzkau für sie zur Heimat wurde, kann die 39-Jährige nicht mit einem Wort beantworten. Was ist Heimat?, fragt sie stattdessen zurück und zitiert den Spruch: „Meine Heimat ist dort, wo meine Aufgabe ist.“ Es klingt nach Lebensweisheit.

Mit der Weltgeschichte verquickt

Über ihre Familie spricht Angelina Burdyk in fehlerfreiem Deutsch. Nur der Akzent verrät, dass es nicht ihre Muttersprache ist. Geboren wurde sie in Kasachstan. Ihre Vorfahren sind Deutsche, Ukrainer wie ihr Mann und Weißrussen. An die 150 Nationen und Nationalitäten leben in Kasachstan, auch Griechen zum Beispiel. Tausende hat Stalin seinerzeit dorthin verbannt, andere zog es freiwillig hin der Industrialisierung wegen. Die Verquickung der großen Weltgeschichte mit der kleinen, privaten erschwert vielen Menschen von dort die Antwort auf die Frage nach Heimat. Nicht so bei Angelina und Viktor: „Eigentlich gehören wir nirgendwohin“, sagen sie. Das macht sie jedoch weder heimat- und schon gar nicht gottlos. Die Familie gehört der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten an. Deren Bibelprophet Jeremia sagt sinngemäß: Geht dorthin, wohin Gott euch schickt und sorgt für Wohlstand des Landes, daraus leitet sich euer eigenes Wohlbefinden ab.

Einbürgerung kann noch Jahre dauern

Angelina Burdyk, studierte Chemikerin mit dem Abschluss als Diplomingenieurin für Brennstoffe, hat sich das zu ihrer eigenen Philosophie gemacht. Unglücklich ist sie damit keineswegs. Im Jahr 2000 kam die Spätaussiedlerin mit Mutter, Großeltern, Tante und Cousin nach Deutschland. Das Aussiedlerprogramm der Bundesrepublik machte es möglich. Seit dem Antrag ans Bundesamt in Köln besitzt die Familie Abstammungsdokumente mit dem Vermerk, zu wie viel Prozent jeder von ihnen Deutscher ist. Drei Jahre haben sie in Dresden verbracht. Dass sie in Neuschmölln gelandet sind, sei irgendwie auch Gottes Fügung. Angelina Burdyk hat mittlerweile einen deutschen Pass, die Einbürgerung aber, die kann noch Jahre dauern. Verwandte in Kasachstan hat sie keine mehr. Freunde leben dort. Besucht habe sie die seitdem aber nicht. 5 000 Kilometer sind eben nicht einfach mal so zu machen, sagt sie.

Deutsch schwer erarbeitet

Die Kinder besuchen Schulen in Gaußig und Bischofswerda, sprechen dort Deutsch, lernen Englisch. Zu Hause reden die Eltern Russisch mit ihnen. Die Spätaussiedlerin kannte nur ein paar Brocken Deutsch von ihrer Oma. Noch in Kasachstan nahm sie sich eine Deutschlehrerin. In Deutschland besuchte sie als erstes einen Sprachkurs, lernte 30 neue Wörter pro Tag. „Wir haben mit Blut und Schweiß Deutsch gelernt. Unsere Kinder bekommen Russisch geschenkt. Es wäre doch schade, wenn das verloren geht“, begründet sie die Sprachwahl zu Hause. Die Familie ist voll integriert, würde man im Amtsdeutsch sagen. Angelina Burdyk selbst empfindet das so. Sie habe es sich viel schwerer vorgestellt, fügt sie nach einer Pause nachdenklich hinzu. Es gebe überall solche und solche Menschen. Sie habe zum Glück zumeist nette Leute getroffen, aber ebenso die Erfahrung gemacht, dass das zurückkommt, was man selber ausstrahlt.

Kalender ist gut gefüllt

Das und vieles mehr gibt sie anderen Zuwanderern mit auf den Weg. Seit längerer Zeit engagiert sie sich für Spätaussiedler und deren Zusammenleben mit den Deutschen. Seit Jahresbeginn ist sie Vorsitzende des Vereins Mosaika in Bischofswerda. Vor zwei Jahren begann sie für Tschetschenen zu übersetzen, die im Asylbewerberheim in Bischofswerda lebten. Mittlerweile begleitet sie Flüchtlinge zu Ämtern oder Ärzten, organisiert für sie Deutschkurse, hilft denen, die bleiben dürfen, bei der Suche nach einer Wohnung und beim Umzug. Und den anderen, damit sie hier fern der Heimat zurechtkommen.

Tief hat sich die Hausfrau in die für sie spannende Aufgabe hineingekniet. Zuerst ehrenamtlich. Dabei blieb immer weniger Zeit für die eigene Familie. Im vorigen Jahr hat sie einen Beruf daraus gemacht. Als Übersetzerin und Ausländerbetreuerin ist sie häufig im Auftrag des Landratsamts unterwegs. Ihr Kalender ist auch sonst gut gefüllt. Bis auf Sonnabend. Da ist für sie und ihre Familie Sabbat. Ein Ruhetag ohne jegliche Arbeit. Zeit für Gespräche, für gutes Essen, für den Besuch von Freunden und zum Klavierspiel, was sie zusammen mit der ältesten Tochter dann genießt.