Von Julia Vollmer
Manchmal geben die Menschen ihr nur fünf Cent in die Hand, andere bepöbeln sie, erzählt Natasha. Die junge Frau ist die Hauptfigur in der gleichnamigen Film-Reportage über eine Roma-Familie von Ulli Gladik. Gladik begleitet sie mit der Kamera in ihrer Heimat Bulgarien und in Graz in Österreich, wo Natasha auf der Straße um Geld bittet. Die Filmemacherin Gladik saß am Donnerstag mit auf dem Podium einer Diskussionsrunde am Dr.-Külz-Ring. „Nicht Arme bekämpfen, sondern Armut“. Unter diesem Motto lud der soziale Träger Treberhilfe zu der Debatte ein. Auf dem Podium saßen auch Gjulner Sejdi, Chef des sächsischen Roma-Vereins und Vertreter von SPD, Grünen und Linken im Stadtrat. Sie diskutierten über das von der Verwaltung vorgeschlagene Kinder-Bettelverbot.
Was bringt ein Verbot?
Nichts. Zumindest nicht für die Kinder. „Ein Bettelverbot ist nur Stadtkosmetik“, sagt Grünen-Stadträtin Tina Siebeneicher. Treberhilfe-Chef Dieter Wolfer betont, ein Verbot würde die Kinder in die Illegalität drängen, im schlimmsten Fall zu Diebstahl und Prostitution führen.
Wie stehen die Parteien zur Vorlage?
Die CDU ist dafür. „Diese Vorlage der Verwaltung haben wir uns nicht gewünscht, aber wenn Rot-Grün-Rot zusammenhält, können wir Unfug vermeiden“, sagt dagegen Linken-Stadträtin Rica Gottwald am Donnerstagabend. Ein Schnellschuss würde niemandem helfen. Auch die Grünen warnen vor einer voreiligen Entscheidung, wenn die Polizeiverordnung voraussichtlich im November im Stadtrat abgestimmt wird. „Wir müssen tiefer in die Diskussion einsteigen“, sagt Grünen-Stadträtin Tina Siebeneicher. Dorothee Marth, die für die SPD im Jugendhilfeausschuss sitzt, warnt davor, die Kinder nur als „Störung“ zu betrachten. „In der Vorlage steht das Kinder-Bettelverbot unter dem Punkt öffentliche Belästigung und Störung, das zeigt die Haltung der Verwaltung.“ FDP-Chef Holger Zastrow begrüßt, dass sich die Stadtverwaltung des Themas annimmt, er will aber auch das Wohl und die Lebensverhältnisse der Kinder im Blick behalten.
Wie verfahren andere Städte?
Wenn in Dresden das Verbot kommt, folgt der Stadtrat damit anderen Städten wie Essen und Berlin. In Essen ist das Kinder-Betteln seit 1980 verboten. Die Stadtverwaltung wertet es als Erfolg. Das Phänomen habe sich „stark rückläufig“ entwickelt. In Hamburg und München wird über ein generelles Bettelverbot in zentralen Bereichen diskutiert. In Wien ist das Kinder-Betteln seit 2008 verboten, erzählt Filmemacherin Ulli Gladik. 700 Euro Strafe oder eine Woche Haft drohen bei Verstoß. Sie habe mit dem Verbot keine guten Erfahrungen gemacht. Die Eltern würden dann ohne die Kleinen auf der Straße sitzen, die Kinder müssen in den schlechten Unterkünften unbeaufsichtigt zurückbleiben. Acht Stunden und länger, täglich.
Was würde den Familien helfen?
Gjulner Sejdi, Vorsitzender des sächsischen Roma-Verbandes, verweist auf das Berliner Modell. Dort mieten freie Träger zentrale Wohnungen für die Familien aus Osteuropa an, dort können sich die Familien anmelden. Denn ohne Meldeadresse gibt es keine Schulpflicht, keine Chance auf Arbeit oder auf Sozialleistungen.
Wer bettelt da eigentlich?
Betteln ist kein Roma-Phänomen, sondern eines der Armut, stellt Ulli Gladik klar. Es sind auch viele Menschen aus Bulgarien und Ungarn dabei. In Dresden sind laut Verwaltung vor allem Familien aus der Slowakei unterwegs. Rund 40 Menschen zählen die Behörden.
Warum kommen sie hierher?
Sie kommen, da sie in ihren Heimatländern diskriminiert werden, weil sie Roma sind. Oder sie kommen auf der Suche nach Arbeit, weil sie zu Hause keine haben, beobachtet Gjulner Sejdi. Sie kommen nicht mit dem Vorhaben, in Westeuropa zu betteln. „Bettler sein ist nicht ihr Beruf“, so Gladik. Sie hat bei ihren Recherchen Menschen kennengelernt, die 80 Euro im Monat in Rumänien oder Bulgarien verdienen, davon könne man keine Familie ernähren.
Wie sieht es mit der Schulpflicht aus?
In Sachsen und damit in Dresden gilt die Schulpflicht nur, wenn die Kinder hier gemeldet sind, so Falk Schmidtgen, Leiter des Schulverwaltungsamtes. Filmemacherin Ulli Gladik berichtet von ihren Erfahrungen aus Österreich. Dort gelte die Schulpflicht in dem Moment, wo sich die Kinder im Land länger aufhalten. „Wir haben damit gute Erfahrungen gemacht, die Kinder lernen sehr schnell Deutsch“, sagt sie. Das sei auch für Dresden eine Option.