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Ein Blick ins Rohrforschungswerk

In Gröba lernen Ingenieure aus der ganzen Welt. Herzstück des Labors: eine Anlage aus DDR-Zeiten.

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© Sebastian Schultz

Von Britta Veltzke

Riesa. Aus der Vogelperspektive sieht es in der Werkhalle so aus, als hätte sich ein hochbegabtes Kind beim Spiel mit Lego-Technic verausgabt. Zwischen den Anlagen bewegt sich eine Gruppe junger Ingenieure. Auf dem Kopf tragen sie Helme mit der Aufschrift Vallourec. Sie kommen aus Brasilien, China, Frankreich, Deutschland. Überall dort hat der französische Konzern Standorte. Ihr Interesse gilt vor allem der Anlage im Zentrum der Halle: das sogenannte Schrägwalzwerk. Die Maschine fertigt aus einem glühend heißen Quader Metall ein nahtloses Rohr. Jean-Luc Lambert, Direktor des Forschungszentrums, nennt den Riesaer Standort schlicht „Lab“, für Labor. „Unsere Mitarbeiter sehen hier im Kleinen, wie unsere Rohre entstehen. Aber unter industriellen Bedingungen.“ Der Franzose pendelt zwischen den Standorten in Westdeutschland, Frankreich und eben Riesa hin und her.

Christian Kempel leitet das international besetzte Seminar.
Christian Kempel leitet das international besetzte Seminar. © Sebastian Schultz
2010 wurde das Kompetenzzentrum in Gröba eingeweiht.
2010 wurde das Kompetenzzentrum in Gröba eingeweiht. © Vallourec

Vallourec schickt seine Ingenieure aus aller Welt nun schon seit fast zehn Jahren nach Riesa – um einer Maschine bei der Arbeit zuzusehen, die in den letzten Zügen der DDR entstanden ist? Seit das Rohrforschungswerk in Gröba 2010 in Betrieb ist, mietet Vallourec das Schrägwalzwerk vom Riesaer Verein zur Förderung der Umform- und Produktionstechnik. Dessen Chef Frank Gerlach hatte damals zusammen mit Ex-Oberbürgermeisterin Gerti Töpfer (CDU) dafür gesorgt, dass die Anlage in Riesa bleibt. „Vallourec hätte sie auch gern gekauft und in Nordrhein-Westfalen wieder aufgebaut. Aber wir wollten, dass die Rohrforschung in Riesa bleibt.“

Nach wie vor habe der Konzern ein Interesse daran, die Anlage zu kaufen. „Vor zwei Jahren hatten wir eine Option dafür, aber unsere Vereinsmitglieder waren zum Glück dagegen. Der Mietvertrag läuft vorerst noch bis 2025 und wird sicherlich rechtzeitig neu verhandelt werden“, erklärt Frank Gerlach. Das Geld, das durch die Miete reinkommt, investiert der Riesaer Verein, der in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag feiert, in sein Weiterbildungsprogramm. Wieso baut sich der weltweitagierende Konzern Vallourec nicht einfach ein eigenes Schrägwalzwerk? „Unsere Anlage ist ein Unikat. Ein Nachbau wäre nicht nur wegen patenrechtlicher Fragen schwierig, sondern auch extrem teuer.“ Konstruiert worden sei die Maschine Ende der 80er für die Forschung im Rohrkombinat Riesa. „Gebaut wurde sie im tschechischen Vítkovice. Im Mai 1991 ging sie hier in Riesa in Betrieb“, erklärt Gerlach.

Grundsätzlich habe sich an dem Verfahren der Rohrherstellung in den letzten Jahrzehnten nichts geändert, sagt Jean-Luc Lambert. „Deswegen ist es nicht entscheiden, wie alt die Anlage ist. Der Vorteil ist, dass wir hier in Riesa alle möglichen Konfigurationen testen können.“ Es wird mit Material und Einstellungen experimentiert, um möglichst effizient herzustellen. „Um sich auf dem Weltmarkt behaupten zu können, müssen wir hohe Qualität liefern und die Kosten so gering wie möglich halten“, so Lambert. Bevor ein neuer Stahl in irgendeinem Vallourec-Werk der Welt verwendet wird, wird es in Riesa getestet. Die Ingenieure können die Produktion zwischendurch anhalten oder fertige Rohre aufschneiden und untersuchen. Ständig vor Ort ist ein Team aus 13 Mitarbeitern unter der Leitung von Johannes Kowski. Er trat in die Fußstapfen des ehemaligen Kreis- und Stadtrats Thorsten Anke, der Riesa verlassen hat.

Inzwischen hat die Gruppe der jungen Ingenieure die Werkhalle verlassen, es kehrt Ruhe ein, alle Maschinen stehen still. Die Gespräche aber gehen weiter. Und genau darauf kommt es Jean-Luc Lambert an. Im Grunde könnten die Teilnehmer die Tests in Riesa auch per Livestream verfolgen – egal, ob sie in den USA sind oder in Brasilien. Jeder einzelne Schritt wird gefilmt. Doch Digitalisierung hat auch seine Grenzen. Dann nämlich, wenn es um persönliche Kontakte geht. „Die Leute lernen sich hier in Riesa wirklich kennen, beim Frühstück im Mercure, hier im Lab und abends beim Bowling spielen.“