Von Dieter Hanke und Ulf Mallek
Das Haus der Familie R. steht auf einem Hügel. Recht abgeschieden, nur wenige Hundert Meter Luftlinie von der Stelle entfernt, an der Anneli entführt wurde. Ein Weg führt hinauf zu dem Gebäude. Bisher fahren dort nur die R.s und manchmal Gäste der Familie.
Der Fall Anneli-Marie
Jetzt ist mehr Betrieb. Das Tor ist weit geöffnet, einladend. Freunde kommen, Bekannte, auch fremde Menschen, um zu trauern. Familie R. hat eine Gedenkecke auf ihrem Grundstück eingerichtet. Angekündigt hat das ein Verwandter von Anneli auf Facebook: „Stellvertretend für unsere Familie möchte ich mich für die große Anteilnahme bedanken. Die Eltern haben mich gebeten, euch über diesen Weg mitzuteilen, dass sie vor ihrem Haus eine Gedächtnisecke für Ihre geliebte Tochter Anneli-Marie eingerichtet haben.“ Ein Holzkreuz, Blumen liegen dort, Kuscheltiere, Kerzen flackern. Die Region trauert um die 17-jährige Anneli-Marie R.
Besonders groß ist die Betroffenheit in der Gemeinde Klipphausen. Hier wohnen die R.s und hier wurde Anneli vergangene Woche entführt.
Sylvia Keil, Vorsteherin der Kirchgemeinde Sora, sagt: „Die Menschen sind erschüttert. Wir müssen ihnen in ihrer Trauer beistehen.“ Deshalb lädt sie für morgen 18 Uhr zu einer Andacht in die Kirche Sora ein. Es liegt ein Kondolenzbuch aus. Mitglieder der Kirchgemeinde Sora verteilen jetzt in den Häusern von Lampersdorf, Lotzen und Sora Flyer dafür. Pfarrer Christoph Rechenberg von der Kirchgemeinde Röhrsdorf sieht das ähnlich. „Die Menschen sind aufgewühlt. Wir begleiten sie in ihrem Schmerz, sprechen Trost zu. Die Familie R. ist sehr beliebt in den Dörfern.“ Das Dorffest am 5. September von Lampersdorf und Lotzen ist abgesagt worden. Das beschloss die Dorffestgemeinschaft bereits am Dienstag. Lotzen hat etwa 80 Einwohner, Lampersdorf 130.
Die Polizei hat das Grundstück des Täters in Lampersdorf noch immer abgesperrt. Es laufen weitere Untersuchungen, so am Spielplatz im Hof. Nebenan wohnt die Familie von Wolfgang Höher. Die Nachbarn halten engen Kontakt zu den Polizisten, helfen ihnen, kochen Kaffee. Höher zog mit seinem Traktor sogar ein Polizeiauto aus dem Schlamm. Auf den mutmaßlichen Täter Markus B. ist er nicht gut zu sprechen: „Er ist großspurig gewesen, ein Aufschneider, kaum einer im Dorf wollte mit ihm was zu tun haben. Er beleidigte Menschen. Aber so eine Tat haben wir ihm nicht zugetraut.“ Höher, der einen Bio-Hof betreibt und Galloway-Rinder züchtet, kennt Markus B. schon länger. Vor vielen Jahren war er Koch in einem Hotel in Weinböhla, sagt er. Es gab wohl Unstimmigkeiten beim Wareneinkauf. B. ist gebürtiger Schwabe. Zuletzt wohnte er wohl in Bayern und pendelte nach Lampersdorf.
Offensichtlich hatte er vorher andere Pläne. Er wollte den Dreiseithof der Schwiegermutter sanieren, ein altes Gebäude abreißen und auch ein neues Haus an einer freien Stelle im Hof errichten. Die positive Bauvoranfrage zog das Landratsamt allerdings wieder zurück. Es gab wohl wieder mal Ungereimtheiten. Dann sollte das Haus verkauft werden.
Manfred Kümmel besitzt eine Pension in Lampersdorf, zwei Grundstücke hinter dem Tat-Grundstück. Er kannte den Nachbarn, traf diesen manchmal beim Spazieren mit seinem Hund. Wegen einer Krankheit bezog der Täter Markus B. angeblich eine EU-Rente, sagt Kümmel. Die Schwiegermutter und seine Frau arbeiten schon einige Zeit bei Bamberg, sind wegen der Arbeit weggezogen, kamen nur am Wochenende nach Lampersdorf. Kümmel: „Wenn der Vater noch gelebt hätte, wäre so ein Scharlatan nicht in diese Familie gekommen.“
Der Dresdner Ronald Lohse hat vor sieben Jahren während einer Radtour zufällig jenen Feldweg fotografiert, auf dem Anneli nun überfallen wurde. Ein Baum, ein Feldweg, etwas Gras, am Himmel viele Wolken. Es war Mai. Er schreibt: „Schon damals befiel mich dort eine Stimmung trauriger Einsamkeit.“