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Ein Dorf wird angehoben

Ob Kirche, Wohnhaus oder Schuppen – in Brockwitz soll alles nach oben. Forscher zeigen, wie das klappt.

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© Arvid Müller

Von Jana Mundus

Ein Haus ein Stück nach oben setzen. Bei Olaf Lier und seinem Sohn ging das ganz schnell. Einfach mit Daumen und Zeigefinger am Dach anfassen, hoch damit und Kleber drunter. Schon stand das weiße Kunststoff-Häuschen zwei Meter höher. Zumindest im Modell. Vor drei Jahren bastelte Familie Lier im heimischen Wohnzimmer an einem neuen Brockwitz. Mit Bleistift, Schere und Cuttermesser. Vater und Sohn hatten eine Idee. Olaf Lier ist Ordnungsamtsleiter der Stadt Coswig. 2002 und 2013 hatte er mit ansehen müssen, wie die Niederseite der Coswiger Ortschaft Brockwitz im Elbe-Hochwasser versank. Die Fluten machten keinen Unterschied. Ob Neubau-Einfamilienhaus oder historisches Fachwerkhaus – Wohnzimmer, Schlafstuben und Küchen liefen voll Wasser. Gut 40 Grundstücke waren betroffen. „Wir überlegten damals, wie den Brockwitzern geholfen werden kann“, sagt Olaf Lier. Zum Glück studierte sein Sohn damals gerade Stadtplanung in Nordrhein-Westfalen. Die Idee der beiden: eine Anhebung nicht nur eines Hauses, sondern der ganzen Siedlung. Der Gedanke klingt verrückt. Doch seit einem Jahr beschäftigt er Dresdner, Nürnberger und Detmolder Wissenschaftler. Und die meinen: Ein Dorf anzuheben – das kann klappen.

m Juni 2013 überflutete die Elbe Brockwitz – schon wieder.
m Juni 2013 überflutete die Elbe Brockwitz – schon wieder. © Olaf Lier

Mit einem Mausklick ist Robert Schwarze in Brockwitz. In seinem Büro im modernen Gebäude der Chemie und Hydrowissenschaften der TU Dresden an der Bergstraße scrollt er sich durch die Ortslage. „Eigentlich ist die Elbe ein ganzes Stück weg von den Häusern“, sagt er, und der Mauszeiger fährt über die Karte von Brockwitz. Fast ein halber Kilometer liegt zwischen Häusern und Fluss. Die Staatsstraße 82 zwischen Coswig und Meißen, die Dresdner Straße, teilt Brockwitz – im Hochwasserfall auch in Gut und Böse. Wer nördlich der Straße auf der Oberseite des Dorfes wohnt, hat Glück. Der bleibt weitestgehend trocken. Den Bewohnern im Süden, auf der elbzugewandten Seite, läuft die Katastrophe dann buchstäblich ins Haus. Wie genau das Wasser kommt, haben Schwarze und seine Kollegen vom Lehrstuhl für Hydrologie in den vergangenen Monaten ganz exakt berechnet, und auch, welche Strömungen es dann gibt. Die Wissenschaftler sind Teil des Projekts „Huebro“ des Bundesumweltministeriums. Es soll zeigen, wie eine Haushebung als Hochwasserschutzmaßnahme helfen kann. Brockwitz wird zum Musterdorf.

Die Coswiger Stadtverwaltung bemühte sich um eine Finanzierung durch den Bund. 300 000 Euro gab es letztlich für zwei Jahre. Nicht nur die Hydrologen der
TU Dresden sind dabei. Auch Architekten und Denkmalpfleger der Universität sowie das Dresdner Leibniz Institut für ökologische Raumentwicklung. Zum Forschungsverbund gehört außerdem das Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft der Technischen Hochschule Nürnberg und die Detmolder Schule für Architektur und Innenarchitektur der Hochschule Ostwestfalen-Lippe. Seit April 2017 sammeln die Forscher gemeinsam alle wichtige Daten rund um Brockwitz und ein mögliches Anheben der Siedlung.

An der Nürnberger Hochschule beschäftigte das Projekt einen, der die Region um Brockwitz gut kennt. Dirk Carstensen ist Radebeuler, arbeitete lange an der TU Dresden. Mit Kollegen entwickelte er vor einiger Zeit ein computergestütztes Hochwassermodell für die Elbe. Damit können Flutszenarien simuliert werden. Gute Grundlage für die Aufgabe in Brockwitz.

In Nürnberg schaut er sich mit seinem Team nun an, wie hoch die Häuser gehoben werden müssten, um vor der Elbe sicher zu sein. Denkmalpfleger der TU Dresden überlegen derweil, wie der 1000 Jahre alte Ortskern und die vielen denkmalgeschützten Gebäude Teil des Mammutvorhabens werden können. Schließlich muss am Ende alles auch genehmigungsfähig sein. Das Leibniz Institut analysiert die betroffenen Gebäude genau und kartiert die Tier- und Pflanzenwelt drumherum. Architekten schauen sich an, wie die Häuser gebaut sind und welche Möglichkeiten der Hebung es für jedes Einzelne gibt. Andere kümmern sich um das Einbeziehen der Bürger, sorgen dafür, dass sie informiert werden. Wie am kommenden Freitag etwa, wenn die neusten Zwischenergebnisse der Studie bei einer Bürgerversammlung vorgestellt werden.

Bei der ist auch Ordnungsamtsleiter Olaf Lier dabei. Sein gebasteltes Modell kennt in Brockwitz heute fast jeder. Vor Jahren überzeugte es viele Bürger, sich die Idee einer Haushebung zumindest einmal durch den Kopf gehen zu lassen. Auch Politiker wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière konnte er so für die Sache begeistern. Letztlich wurde Brockwitz zum Forschungsgegenstand. „Wir machen das aber nicht nur für uns“, sagt Lier. Von den Ergebnissen der Untersuchung sollen in Zukunft auch andere Orte profitieren, deren Lage ähnlich ist. Eine Haushebung als Alternative, wenn es um Hochwasserschutz geht. Auch ein Deich würde helfen. Doch das sächsische Umweltministerium signalisierte der Stadt Coswig schon vor einiger Zeit, dass solch ein Deich wohl erst in vielen Jahren oder Jahrzehnten in Brockwitz gebaut werden könnte. Andere Orte in Sachsen brauchen so ein Bauwerk dringender. Brockwitz bleibt vorerst chancenlos.

In gut einem Jahr wollen die Wissenschaftler fertig mit ihren Analysen sein. Bis jetzt sieht es so als, als ob am Ende eine Empfehlung pro Hebung steht. Für 25 Häuser in Brockwitz würde das laut jetzigem Stand sinnvoll sein. Um die zwei Meter müssten sie gehoben werden. „Einzelne Haushebungen sind heute keine Seltenheit mehr, dafür gibt es Spezialfirmen“, sagt Hydrologe Robert Schwarze. Die Häuser werden dafür hydraulisch angehoben. Die dadurch entstandene Lücke wird abgestützt und entweder verfüllt oder zu einem Stockwerk ausgebaut. Wohnraum soll dabei nicht verloren gehen. Das Gelände drumherum wird danach aufgeschüttet und angeglichen. Eine ganze Siedlung anzuheben, das wäre laut Schwarze aber etwas Neues. Der Knackpunkt: Historisch gewachsene Sichtbeziehungen zwischen Gebäuden müssten auch danach wieder funktionieren.

Ob und wann die Hebung nach dem Ende des Forschungsprojekts erfolgt, ist unklar. Das Geld könnte ein Problem werden. Einige Hausbesitzer haben sich schon informiert. Gut 80 000 Euro würde sie eine Hebung kosten, noch einmal so viel ist für das Angleichen der Flächen rundherum notwendig. „Letztlich ist die Frage, ob es dafür, wie für den Deichbau, nicht auch Fördermittel geben kann“, sagt Lier. Dafür müssten aber neue Regelungen her. Bis das Musterprojekt Realität wird, könnte es also noch dauern. Es sind eben keine Kunststoff-Häuschen auf einem Modell.