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Ohne Beine

Innerhalb von drei Monaten wurde Theo Peschges zweimal amputiert. Trotz Handicap hat der Bautzner einen Traum.

Von Ina Förster
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Theo Peschges (53) und seine Lebensgefährtin Simone Knoll (51) führen ein bescheidenes Leben. Das Schicksal hat die Beiden arg gebeutelt. Gemeinsam meistern sie den Alltag auf mittlerweile nur noch zwei Beinen.
Theo Peschges (53) und seine Lebensgefährtin Simone Knoll (51) führen ein bescheidenes Leben. Das Schicksal hat die Beiden arg gebeutelt. Gemeinsam meistern sie den Alltag auf mittlerweile nur noch zwei Beinen. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Theo Peschges schaut am Dienstmorgen aus dem Küchenfenster. Draußen fällt der erste Schnee für diesen Winter. Den Bautzener interessiert das nicht sonderlich. Er kann sowieso nicht raus. Kein gutes Wetter für einen Elektro-Rollstuhl. Im Sommer ist der 53-Jährige fast jeden Tag durch die Straßen in Gesundbrunnen gefahren. Einfach, um mal etwas anderes sehen, als nur die Wohnstube mit dem sperrigen Pflegebett und dem Fernseher. Ein bisschen Abwechslung braucht der Mensch. Auch und ganz besonders ein kranker.

Vor drei Jahren hat man ihm beide Beine amputieren müssen. Am 16. September das linke. Am 16. Dezember das rechte gleich hinterher. Seitdem ist alles anders. Und nicht mehr richtig gut. „Ich stehe nicht mehr im Leben“, versucht der Frührentner es mit einem Scherz. Sein Lachen kommt nicht im Gesicht an. „Das war kein schönes Weihnachten 2015. Fast viereinhalb Monate war der Theo im Krankenhaus. Ich habe den Kartoffelsalat und die Würstchen zum Heiligabend mit hingenommen, damit überhaupt ein bisschen weihnachtliches Gefühl aufkam“, erzählt seine Lebensgefährtin Simone Knoll.

Vor acht Jahren lernten sie sich erst kennen. Theo Peschges weiß noch genau den Tag: 10. Dezember. Seitdem sind sie zusammen. Dem Internet sei Dank. Eigentlich stammt er aus der Eifel, lebte aber schon lange Jahre in Dresden. Simone Knoll kam 1986 nach Bautzen, hat eigentlich sachsen-anhaltinische Wurzeln. Ihre erwachsenen Söhne aus erster Ehe leben noch mit in der Wohnung im Gesundbrunnen. 70 Quadratmeter. Es reicht zum Leben. Doch das Paar braucht sowieso nicht viel Platz. Das gemeinsame Schlafzimmer kann man sich mittlerweile sparen, denn dort passte das Pflegebett nicht hinein. Die 51-Jährige schläft seitdem Nacht für Nacht auf der Couch neben ihrem Theo.

Der ist auf Pflege angewiesen seit den Amputationen. Aller zwei Tage kommt der Pflegedienst zum Verbandswechsel. Mit der Stufe III ist nicht mehr drin. Die Stümpfe sind nicht gut verheilt. „Eine starke Wundheilungsstörung ist das“, erklärt Simone Knoll. Seit Beginn der Krankheit ist sie an seiner Seite, kümmert sich um ihren Mann. Zuerst konnte sie noch weiter arbeiten gehen. Die gelernte Schuhfacharbeiterin jobbte zum Schluss bei einer Reinigungsfirma als Springerin. Doch die Arbeitszeiten waren zu unflexibel. „Ich musste da immer schnell reagieren, aber das hat nicht zusammen gepasst mit der intensiven Pflege“, sagt sie.

Dass man dem ehemaligen Maurer beide Beine aufgrund einer Blutgefäß-Erkrankung abnehmen musste, hat das Paar erschüttert. Aber alle anderen Behandlungen fruchteten nicht. Die Ärzte setzten mehrere Stents, legten Beipässe. Doch erfolglos. „Mir war 2013 plötzlich der Fuß eingeschlafen, ich konnte nicht mehr stehen. Bin einfach umgekippt. Damals habe ich noch in einer Modellbauwerkstatt gearbeitet“, erzählt Theo Peschges. Die Diagnose: Die Schlagader im rechten Bein war zugesetzt. Nichts ging mehr. Und dennoch war da Hoffnung am Anfang. Nach einer Operation ging es zur Reha. Zwei Jahre später war es mit der Hoffnung vorbei. Auch das linke Bein war betroffen. Und musste sogar noch eher amputiert werden. „Ihm ging es richtig schlecht“, erzählt Simone Knoll. „Wir haben nach der ersten Operation nicht viel Hilfe bekommen. Keiner hat uns gesagt, was zu tun sei. Ich musste vieles allein regeln. Das war schon hart“, sagt die 51-Jährige.

Nur mit Nachdruck forderten sie sich nach der mittlerweile zweiten Amputation psychologische Betreuung ein. Da waren ja plötzlich beide Beine weg. Wie sollte man so einfach weiterleben? „Ich habe außerdem große Probleme mit der Balance. Am linken Bein musste ja später noch einmal etwas weggenommen werden, weil es einfach nicht heilte“, sagt der Bautzner. Sehr anstrengend sei der Alltag für ihn. Alles muss mit den Armen und Händen abgestützt werden. Was mittlerweile schwerfällt, denn der 53-Jährige erkrankte noch an Rheuma. Vor allem der Gang auf Toilette und ins Bad fällt schwer. „Eine Rampe am Haus hatten wir über die Krankenkasse finanziert bekommen. Sonst hätte Theo die Wohnung gar nicht mehr verlassen können“, sagt Simone Knoll. Auch die behindertengerechte Dusche war dringend notwendig, allerdings kostete diese 4 735 Euro – 735 Euro über dem Zuschuss der Kasse. „Wir hatten das Geld einfach nicht, da gab uns der Caritasverband den Tipp mit dem Lichtblick. Wir sind so dankbar dafür, dass alles unkompliziert geklappt hat“, sagt das Paar.

Wenigstens etwas! Theo Peschges ist vom Schicksal gebeutelt. 2017 wurde noch Grauer Star diagnostiziert, und eine Fistel musste aus einem der Beinstümpfe entfernt werden. Dass er sich nicht die Lebenslust nehmen lässt, ist erstaunlich. Der große Kiss-Fan will nächsten Sommer nach Leipzig zum Open Air seiner Lieblingsband – komme, was da wolle. „Die Karte habe ich mir gesichert. Ich komme schon irgendwie hin“, sagt er mit strahlenden Augen.