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Ein letzter Versuch

Die Bundestag-Mehrheit will Verhandlungen mit den Griechen über ein Hilfspaket – es gab aber auch viele Nein-Stimmen.

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© dpa

Von Peter Heimann, Berlin

Berlin. Sigmar Gabriel ist überpünktlich. Schon mehr als eine halbe Stunde vor Beginn der Sondersitzung sitzt der Vizekanzler und SPD-Chef allein auf der Regierungsbank im Reichstagsgebäude – neben sich einen großen Strauß bunter Sommerblumen. Er ist für Angela Merkel, die er zwar sehr schätzt, aber noch lieber im Amt beerben würde. Die Kanzlerin wird an diesem für sie politisch ziemlich schweren Tag 61 Jahre alt. Bevor sich alle wichtigen Politiker brav anstellen, um ihr gratulieren zu dürfen, reicht ihr der Ober-Sozi seinen Strauß. Oben auf der Tribüne klicken alle Kameras – es ist ein nettes, aber nicht ganz ehrliches Bild der Harmonie.

Die Abgeordneten sind eigens aus dem Urlaub zurück nach Berlin gekommen: Griechenland soll wieder mal vor der Staatspleite gerettet und Europa vor der Spaltung bewahrt werden. Doch obwohl die Kanzlerin in den Umfragen Spitzenwerte erreicht, ihre Macht so groß wie nie scheint, wird es für sie immer schwerer, die eigenen Reihen in dieser Frage von ihrer Politik zu überzeugen. Am Ende, knapp vier Stunden später, bekommt Merkel so viele Nein-Stimmen wie noch nie aus ihrer Fraktion: 60 CDU- und CSU-Parlamentarier verweigern ihr die Gefolgschaft, fünf enthalten sich, aber immerhin noch 241 stimmen mit Ja. Insgesamt bekommt die Bundesregierung wegen der riesigen Mehrheit der Großen Koalition immer noch eine klare Zustimmung von 439 Abgeordneten für den Griechenland-Kurs. 631 Sitze hat der Bundestag.

Merkel geht kurz nach zehn als Erste ans Rednerpult. Sie geht auf die Zweifel in ihrer Union ein, dass Griechenland es mit einem dritten Hilfspaket schaffen kann. Sie spricht von einem griechischen Scherbenhaufen und harten Bedingungen für das Land und die anderen 18 Euro-Partner. Wie eine Physikerin in der Politik analysiert sie aus ihrer Sicht, dass der Brüssler Euro-Gipfel genau drei Möglichkeiten in der dramatischen Nachtsitzung voriges Wochenende gehabt habe. Erstens: Verbiegung der europäischen Verträge bis hin zu einer Schuldentransfer-Union. Zweitens: Verweigerung eines letzten Rettungsversuchs und Inkaufnahme von Chaos und Gewalt angesichts von Geldnot in Griechenland. Und drittens: Trotz aller Rückschläge die Voraussetzung für neue Finanzhilfen zu schaffen.

So haben die sächsischen Abgeordneten gestimmt

JA

Günter Baumann, CDU
Carsten Körber, CDU
Michael Kretschmer, CDU
Bettina Kudla, CDU
Katharina Landgraf, CDU
Yvonne Magwas, CDU
Thomas de Maiziere, CDU
Maria Michalk, CDU
Marco Wanderwitz, CDU
Wolfgang Gunkel, SPD
Daniela Kolbe, SPD
Detlef Müller, SPD
Simone Raatz, SPD
Susann Rüthrich, SPD

NEIN

Veronika Bellmann, CDU
Klaus Brähmig, CDU
Heinrich Frank, CDU
Robert Hochbaum, CDU
Andreas Lämmel, CDU
Arnold Vaatz, CDU
Marian Wendt, CDU
Thomas Jurk, SPD
Andre Hahn, Die Linke
Katja Kipping, Die Linke
Caren Lay, Die Linke
Axel Troost, Die Linke
Jörn Wunderlich, Die Linke
Sabine Zimmermann, Die Linke

ENTHALTEN

Stephan Kühn, Bü90/Grüne
Monika Lazar, Bü90/Grüne

NICHT ANWESEND

Susanna Karawanskij, Die Linke
Michael Leutert, Die Linke
Thomas Feist, CDU

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Merkel wirbt für ihre Verhältnisse schon beinahe emotional für die dritte Variante. Sie beschwört die Euro-Zone als Schicksalsgemeinschaft, die mit Griechenland zusammenhalten müsse, auch um ganz andere Probleme wie die Aufnahme von Flüchtlingen und die Abwehr von Terror bewältigen zu können: „Europa braucht die Fähigkeit zum Kompromiss genauso wie der Mensch die Luft zum Atmen.“ Die Notwendigkeit, noch mal über den eigenen Schatten zu springen, begründet sie so: „Wir tun das für die Menschen in Griechenland, aber wir tun es genauso für die Menschen in Deutschland.“ Kurz geht die Chefin auf den Streit um einen Grexit auf Zeit ein, der zuletzt auch die Koalition erreicht hatte: „Weder waren alle 18 anderen Euro-Länder, noch war Griechenland dazu bereit. Deshalb war dieser Weg nicht gangbar.“ Punkt, Schluss und Ende der Debatte soll das wohl heißen. Demonstrativ dankt sie dennoch ihrem Finanzminister Wolfgang Schäuble für seine konsequente Haltung, die eben ein zeitweises Ausscheiden Griechenlands aus dem Euro als Plan B einschloss. Langer Beifall bei der Union. Bei der SPD regt sich kaum eine Hand.

Das liegt an dem Zusammenprall Schäubles mit Gabriel. Laut Finanzminister soll auch der SPD-Chef in den Plan eines zeitweiligen Grexits eingebunden gewesen sein. Der aber bestreitet, Kenntnis von dem konkreten Papier gehabt zu haben. Daran hat sich der Krach entzündet. Bei der SPD ist die Wut über Schäuble und sein „Grexit-Gerede“ groß, freilich lässt sich so auch der Frust über den Schlingerkurs des eigenen Vorsitzenden in der Griechenland-Frage überdecken. Gabriel sieht sich von Schäuble getäuscht, Schäuble fühlt sich von dem SPD-Chef verraten.

Lange verschränkt der CDU-Mann die Hände vor seinem Gesicht. Er wirkt verbittert. Annäherungsversuche Gabriels wehrt er ab, gibt ihm nur kurz die Hand bei der Begrüßung oder winkt ab, als ihm der Wirtschaftsminister etwas erklären will. Zwischendurch muss sich Schäuble auch noch scharfe Attacken von Linksfraktionschef Gregor Gysi anhören: „Herr Schäuble, es tut mir leid, aber Sie sind dabei, die europäische Idee zu zerstören.“ Schäuble, Merkel und Gabriel betrieben eine unsoziale, undemokratische und antieuropäische Politik. „Sie schaden unserem Land.“ Die Linke verweist auf den internationalen Aufschrei von Politikern, Ökonomen und Medien, unter denen die deutsche Härte Angst und Wut verbreitet. Und dann erklärt Gysi noch, was linke Prinzipienfestigkeit auch bedeutet: An der Stelle eines griechischen Abgeordneten hätte er Ja zu den Reformen gesagt. Im Bundestag sage er Nein, weil er nicht zu den Erpressern gehören wolle. Dialektik für Schlichte.

Als Schäuble antwortet, ist Gysi nicht mehr im Parlament. Erst am Schluss wendet er sich gegen die „verzerrende Polemik“, die über ihn ausgeschüttert worden ist. Aber: „Ich bin so abgehärtet in einem langen politischen Leben, dass mich das nicht aus der Bahn wirft.“ Was ihn „quäle“, sei, dass er an einer Lösung mitwirken müsse, von der er nicht wisse, ob sie funktioniere. Griechenland müsse dafür „harte Anstrengungen“ unternehmen „und zwar kurzfristig“. Weil ihn die Verantwortung für Deutschland und Europa umtreibe, werde er aber jetzt mit aller Kraft verhandeln: Es sei „ein letzter Versuch“. (dpa)