Von Steffen Neumann,SZ-Korrespondent in Usti n.L.
Zdenek Zakutny ist Geschichtslehrer und lebt im nordböhmischen Louny. Ein Jahr hat er mit seinen Schülern den schrecklichen Ereignissen nachgeforscht, die sich kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges im nur acht Kilometer entfernten Postoloprty abspielten. Hunderte Deutsche wurden von tschechischen Milizen umgebracht. „Wie sollen meine Schüler davon erfahren, wenn nicht mal ihr Geschichtslehrer davon wusste?“, gibt Zakutny offen zu. Im regulären Lehrplan ist das Thema nicht vorgesehen.
Initiiert hat das außerschulische Projekt die Organisation Collegium Bohemicum, die in Usti nad Labem die erste ständige Ausstellung zur Geschichte und Kultur der Böhmendeutschen vorbereitet. Das tragische Ende dieser mehr als 600 Jahre währenden Symbiose deutschen und tschechischen Zusammenlebens wird dabei nur ein Teil der Ausstellung sein.
„Selbstverständlich ziehen sich die Jahre 1938 bis 1945 durch die gesamte Ausstellung. Unser Hauptanliegen ist aber, den Reichtum des Zusammenlebens darzustellen“, sagte die Direktorin des Collegium Bohemicum, Blanka Mouralova, bei der Vorstellung der Konzeption für das Museum, das im Sommer nächsten Jahres eröffnet werden soll. Denn nicht nur die brutale Vertreibung der Deutschen ist bis heute in Tschechien für viele noch tabu. Auch das Wissen über das Erbe, das die Deutschen hinterlassen haben, ist spärlich.
„Die meisten Tschechen sind sich nicht im Klaren darüber, dass die Geschichte der Deutschen auch ihre eigene Geschichte ist“, nennt die Kunsthistorikerin Milena Bartlova, die die Konzeption mit erarbeitet hat, einen Grund dafür.
Dabei sind die Spuren jener Menschen, die früher von den Tschechen nur „unsere Deutschen“ genannt wurden, bis heute noch greifbar. Um diese sinnliche Erfahrung dieses Lebens geht es den Ausstellungsmachern, weshalb derzeit in ganz Tschechien, aber auch in Deutschland und Österreich, geeignete Exponate gesammelt werden.
Das reicht von einer Kiste „Schicht“-Seife, die auf dem Boden eines Hauses in Decin gefunden wurde, über einen dreiseitigen Brief von Max Brod an seine Prager Redaktion bis zu einem Gemälde des ersten Präsidenten der Tschechoslowakei, Tomas Masaryk, aus der Hand des deutschen Malers Emil Orlik. „Gerade Sudetendeutsche stellen uns viele Exponate zur Verfügung. Für sie ist dies eine Art Genugtuung für das erlittene Leid“, sagt Bartlova.
Die Heimatvertriebenen können das Museum durchaus als eine Art Rehabilitation ansehen. Denn in dieser Breite und Komplexität wurde bisher noch nie in Tschechien auf das Wirken der zuletzt 3,5 Millionen Deutschen eingegangen.
Doch auf welch unsicherem Boden sich das Museum bewegt, zeigt schon sein offizieller Titel. So soll sich die Ausstellung allen Deutsch Sprechenden widmen. Das schließt verständlicherweise Juden, aber auch Tschechen, die ausschließlich Deutsch publiziert haben, mit ein. Denn weit bis ins 19. Jahrhundert hinein war Deutsch in Tschechien die Gelehrtensprache.
Diese Entscheidung basiert wie die gesamte Konzeption auf dem Konsens eines wissenschaftlichen Rates aus 20 Experten. Milena Bartlova, die diesem Rat angehört, nimmt diese Kompromisse unter der Bedingung in Kauf, „dass die Unparteilichkeit gewahrt bleibt.“
Die gesamte Ausstellung auf 1500 Quadratmetern Fläche wird auf Tschechisch und Deutsch betitelt sein. Zusätzlich sind wechselnde Ausstellungen geplant. Zu den Partnern des Projektes gehört auch das Sächsische Institut für Geschichte und Volkskunde.
Auf jeden Fall wird das Museum kein totes Gebäude werden, sichert Blanka Mouralova vom Collegium Bohemicum zu. Auch in Zukunft sollen Seminare und Workshops vor allem für Schüler durchgeführt werden. Die Kontakte zu Lehrern wie Zdenek Zakutny werden sich dann auszahlen.