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Ein Pakt mit Putin

Der Westen kommt nicht weiter, wenn er Russland immer nur als Feind betrachtet. Ein Gastbeitrag des Politologen Klaus von Beyme.

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Putin am Apparat.
Putin am Apparat. © Mikhail Metzel/Sputnik/Kreml/Rex/Shutterstock

Das Verhältnis zwischen Ost und West ist gestört, und dafür gibt es mehrere Gründe. Die wichtigsten scheinen mir folgende fünf zu sein:

Erstens: Die Unkenntnis der russischen Traditionen in der Geistesgeschichte. Die mangelnde Berücksichtigung der historischen und psychischen Grundlagen der russischen Machtpolitik aufgrund ihres „verlorenen Sieges“ von 1945 und die ungeplante Niederlage durch den Zerfall der Sowjetunion. Viele Großreiche sind in der Geschichte verfallen, aber kaum je so plötzlich wie die Sowjetunion. Schuld daran ist vor allem das ideologische System des Kommunismus, das in einigen Bereichen gewaltig modernisiert hat, in anderen durch die bürokratischen und autokratischen Strukturen archaisch blieb und keinen echten Pluralismus aufkommen ließ. Putin wird häufig als rücksichtsloser Machtpolitiker dargestellt. Es wird wenig beachtet, wie er – der um 2000 noch als „Westler“ galt – durch mangelnde Einfühlung des Westens dazu gebracht worden ist. Mit etwas Verständnis für die Traumata Russlands hätte man seine Offenheit für den Westen erhalten können. Ihm half sicher gegen russischen Provinzialismus, dass er jahrelang in der DDR gelebt hatte.

Zweitens: Die Verschiebungen im Verhältnis zwischen den USA und Russland sind zu wenig verarbeitet worden. Die Europäer könnten in EU und Nato zur Entspannung dieser Verhältnisse beitragen und die geforderte „Augenhöhe“ für Russland wieder herbeiführen.

Drittens: Die Bemühungen, die abgesprungenen Republiken der alten Sowjetunion wieder stärker an Russland zu binden, sind nicht bloß schamloser Imperialismus. Schwierigkeiten entstehen freilich durch das Selbstbestimmungsrecht dieser Gebiete, die von den Baltischen Staaten mit völliger Unabhängigkeit und Westorientierung bis zu Kasachstan mit einer vergleichsweise größten Bereitschaft der Bindung an Russland reichen.

Viertens: Die territorialen und machtpolitischen Verluste werden durch neue Einkreisungsängste verstärkt. Vergessen sind die Hilfen, die Russland anfangs Amerika im Afghanistan-Krieg geleistet hat.

Fünftens: Der Ukraine-Konflikt hat die andersartigen Vorstellungen von Staat, Nation und Volk in den slawischen – der russischen Sprache nahen – Gebieten sichtbar werden lassen. Die alte Debatte von Slawophilen und Westlern lebte wieder auf. Sie ist jedoch nicht eine so exotische Besonderheit, wie viele westliche Betrachter glauben, da russische und ukrainische Wissenschaftler durchaus Parallelen zum Nation-Building in Mittel- und Westeuropa gefunden haben.

Mit der Vorstellung, dass der Westen einiges zur Verbesserung des Verhältnisses zu Russland versäumt hat, stehe ich nicht allein. Die Zuspitzung der Konflikte zwischen dem Westen und Russland ist nach Ansicht von entschiedenen Russland-Verstehern vermeidbar gewesen. Meine These lautet: Der Westen sollte vor allem die slawischen Republiken zu einer Eurasischen Konföderation unter Führung Russlands ermutigen und geistigen Geländegewinn durch gute ökonomische und politische Beziehungen zwischen den West-Bündnissen und dieser Eurasischen Union anstreben.

Eine große Lösung wäre die Gewinnung der Ukraine für die Eurasische Konföderation mit besonderen Zugeständnissen an das Souveränitätsbedürfnis der Ukraine. Sie würde den Abschied von Versuchen der Anbindung an die EU und die Nato bedeuten. Die kleine Lösung wäre die Schaffung eines neutralen Pufferstaates zwischen Russland und dem Westen. Der Westen sollte nach diesem Konzept mit Russland wenigstens eine neutrale Ukraine aushandeln, die eine Brückenfunktion zwischen Ost und West entwickeln könnte. Diese Alternative entfernt sich jedoch zunehmend von dominanten Vorstellungen Moskaus.

In Putins erster Amtszeit wären wichtige Entspannungsschritte möglich gewesen. In Afghanistan und in Amerikas Kampf gegen den Terrorismus kam es durchaus zu Unterstützungsaktionen Moskaus für die USA. Der Westen hat diese Ansätze zur Kooperation nicht hinreichend honoriert. Russland ist zu groß, um den Anschluss an die EU anzustreben, konnte aber die Ausdehnung Europas nicht verhindern und angeblich keine Gegenallianzen schmieden.

Die Eurasische Union ist der Gegenpart, ist aber bisher schwach entwickelt und droht neuerdings sogar die wichtigste Komponente mit der Ukraine zu verlieren. Insofern schießt Putin ein Eigentor, wenn er die Ukraine zunehmend mit Maßnahmen zu ihrer Destabilisierung bedenkt. Russland und die Ukraine hätte man mit Angeboten zur Wirtschaftshilfe vermutlich verhandlungsbereiter machen können, als sie heute erscheinen. Verglichen mit den Investitionen in Griechenland sind bisherige Hilfen an Russland und die Ukraine eher dürftig.

Es werden zunehmend auch pessimistische Niedergangs-Szenarien publiziert. Paul Kennedys Klassiker „Aufstieg und Fall der großen Mächte“ basierte auf der Annahme, dass die Schere der Ausgaben für innere und äußere Sicherheit und die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Landes nicht zu groß werden darf. Das droht Russland durch die Alimentierung von Nachbarstaaten wie Weißrussland, die Subventionierung von Separatistengebieten wie Südossetien, Abchasien, Transnistrien, die Volksrepubliken Doneck und Lugans und die kostspielige Annexion der Krim. Russland erscheint in der Weltrangliste auf Platz 9 hinter den USA, China, Indien, Japan, Deutschland, Großbritannien, Brasilien und Italien, unterhält aber militärische Kräfte, die dem Westen ebenbürtig sein sollen, aber nicht mehr sind.

Die fixe Idee einer eurasischen Großmacht könnte allenfalls mit Unterstützung des Westens und mit mehr Gleichberechtigung der Gliedstaaten an Plausibilität gewinnen. Putin aber ließ ein längerfristiges Konzept der Ost-West-Politik bisher vermissen.

Russland-Versteher und Russland-Gegner werden immer wieder hin und her gerissen zwischen der Tatsache, dass Putin trotzig die Weltmachtstellung Russlands wieder herzustellen versucht, andererseits aber Pragmatiker ist, der nicht verkennt, dass er in einigen Bereichen – vor allem in Wirtschaft und Wissenschaft – auf den Westen angewiesen bleibt.

Der Westen ist ebenfalls auf Russland und Putin angewiesen, seit er sich den Kampf gegen den IS und den radikalen Islamismus als ein wichtiges außenpolitisches Ziel auf die Fahnen geschrieben hat. Putin könnte der wichtigste Partner werden, denn er ist ein entschiedener Vertreter des Kampfes gegen den Islamismus, der im Nordkaukasus und in Zentralasien Russlands politische Ziele stört.

Eine Allianz von Europa und Russland im Nahen Osten würde auf die Dauer vermutlich auch mildernde Folgen für die Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Ukraine entfalten. Das westliche Interesse an einer russisch geführten Eurasischen Föderation dürfte durch neue Kooperationsgebiete wachsen.

Klaus von Beyme, geboren 1934 in Saarau (heute Zarow in Polen), ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg. Er ist Autor zahlreicher Standardwerke. 2016 erschien sein Buch „Die Russland-Kontroverse. Eine Analyse des ideologischen Konflikts zwischen Russland-Verstehern und Russland-Kritikern“, Verlag Springer VS, 136 Seiten, 19,99 Euro.

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