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Ein Pater füllt das Theater

Anselm Grün kam das siebte Mal zum Vortrag nach Meißen. Wieder war die Nachfrage um ein Vielfaches größer, als es Plätze gab.

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© Claudia Hübschmann

Von Ulrike Keller

Meißen. Ein Benediktinerpater schafft die Ausnahme. Mit einem Vortrag füllt Anselm Grün das Meißner Theater am Donnerstagabend bis auf die Rangplätze. Sogar die Bühne ist bis kurz vors Rednerpult mit Stühlen vollgestellt. Etwa 500 Menschen aller Altersgruppen wollen hören, was der 71-jährige Ordensmann aus dem fränkischen Kloster Münsterschwarzach zu sagen hat. Sein Thema: Das Leben und die Gefahr, es zu versäumen.

Rund 1 000 weitere Leute säßen liebend gern im Publikum. So viele Interessenten für Karten stünden auf der Warteliste, wäre diese nicht irgendwann geschlossen worden. Das wahre Phänomen jedoch ist, dass die immense Nachfrage seit 2003 anhält. Die aller zwei Jahre stattfindende Veranstaltung hat inzwischen eine Tradition begründet.

Diese scheint ein großer Teil des Publikums zu pflegen. Ein Ehepaar aus Weinböhla ist bereits zum vierten Mal dabei. Und entdeckt viele bekannte Gesichter. Die Erzieherin und der Ingenieur haben den Pater auch schon im Kloster besucht. Auch diese Erfahrung teilen etliche Zuhörer.

Wie die ehrenamtlichen Organisatoren selbst: Markus Banowski – sonst Hauptamtsleiter der Stadt – und Ehefrau Angelika. „Wir sehen die Veranstaltung als Lebenshilfe für die Menschen in unserer glaubenslosen Gegend“, sagen sie. Um niemanden auszuschließen, verzichten sie auf Eintritt. Die anfallenden Kosten im unteren vierstelligen Bereich versuchen sie, über Spenden am Ende des Vortrags zu begleichen. Der charismatische Mann mit dem Rauschebart und den leuchtenden Augen tritt zurückhaltend ans Mikro. Er setzt an bei etwas, das er die verbreitete „Angst, das Leben zu wagen“ nennt – eng verknüpft mit dem Bestreben sich abzusichern. Als Beispiel bringt er Mitarbeiter in Firmen, die eine Weiterbildung nach der anderen besuchen, aber ihr Leben nicht in die Hand nehmen. Aus Furcht, sich dabei die Finger zu verbrennen. Bei einer anderen Gruppe der Gesellschaft macht er eine große Angst aus, das Leben zu verpassen. Er berichtet von einer jungen Frau, die sich unendlich gestresst an ihn wandte. Durch Facebook fühlte sie sich verpflichtet, ständig am Leben all ihrer Freunde teilzunehmen. Ohne dass von diesen jemand real für sie da war.

Zur eigenen Mitte kommen

„Wir haben heute viel, wovon wir leben können, aber wenig, wofür wir leben können“, sagt Anselm Grün. Nur wenn man einen Sinn in seinem Leben sehe, könne man auch schwierige Situationen durchstehen. „Heute laufen viele Gefahr, sich immer als Opfer zu fühlen“, erklärt er. „Schuld sind immer die anderen.“ Jeder werde im Laufe seines Lebens natürlich mal Opfer, doch man dürfe es nicht bleiben. „Denn das macht aggressiv.“

Ein weiterer Aspekt des Themas: die traurige Erkenntnis im Alter, das Leben versäumt zu haben, weil man nur tat, was andere wollten. Der Pater bestärkt darin, bei dieser Einsicht dennoch das Gewesene und Gewordene zu würdigen. Und von nun an bewusst den Moment zu leben. „Der Sinn einer Krise in der Lebensmitte ist zu spüren: Ich kann nicht noch mehr arbeiten. Ich soll nach innen gehen und zu meiner Mitte kommen“, sagt er.

In der Quintessenz all seiner Gedanken macht er Mut. Mut, sich dem Leben mit Höhen und Tiefen zu stellen statt Trauer, Konflikte, Ängste mit Ablenkung und Medikamenten wegzudrücken. Denn nur an seinen Bruchstellen könne jeder Einzelne wachsen. Die Hoffnung darauf hält Anselm Grün für die innere Kraft der Veränderung.

Der promovierte Theologe spricht etwa eine Stunde. Bei absoluter Stille im Theater. Dann besteht die Möglichkeit Fragen zu stellen. Schweigen im Saal. Es scheint alles gesagt. Wie viele werden das Gehörte auch ins Leben mitnehmen können?